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Artikel „Roth, Jakob Alois“ von Otto Hunziker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 313–315, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Roth,_Jakob_Alois&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 20:18 Uhr UTC)
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Roth: Jakob Alois R., 1798–1863. „Oberlehrer“ R. wurde am 10. Juli 1798 in Bellach bei Solothurn als jüngstes Kind einer Handwerkerfamilie geboren. Er besuchte die Schulen der Hauptstadt und absolvirte daselbst 1820 sein theologisches Studium. Früh schon entwickelte sich in ihm Zuneigung zur Botanik und Mathematik; noch wichtiger für seine Entwicklung aber war, daß er, um die Kosten für seinen Unterhalt zu vermindern, Privatunterricht ertheilend, damals sich schon zum Lehrerberufe bestimmt und hingezogen fühlte. Für seine theologische Bildung, wie für pädagogische Anregung diente trefflich das Jahr, das er auf der bairischen Universität Landshut als Schüler Sailer’s zubrachte. Nach seiner Rückkehr im Herbst 1821 erhielt er die Priesterweihe und wurde Lehrer an den Stadtschulen Solothurns. Als Schulmann schloß er sich an die Richtung P. Girard’s an und übte sich für die neue Lehrmethode mit seinem ältern Freund und Collegen P. Bonaventura Zweili durch einen Curs bei Girard ein. Die Verbesserungen wurden in die städtischen Schulen eingeführt und schon damals verfaßten R. und Zweili einige der neuen Lehrmethode entsprechende Lehrmittel. Daneben trieb er das Studium der Botanik lebhaft weiter, arbeitete mit dem Engländer Shuttleworth an einer Flora des Jura, sandte Hegetschweiler seine Beiträge für dessen schweizerische Flora, gründete 1823 mit gleichstrebenden Freunden die kantonale naturforschende Gesellschaft und machte auch unter Hugi’s Leitung die naturhistorischen Reisen in die Alpen mit, deren Berichte und Ergebnisse Hugi in seiner „Naturhistorischen Alpenreise“ 1830 veröffentlichte.

Das Jahr 1830 brachte dem Kanton Solothurn eine neue Verfassung, neue Behörden und freie Bahn für eine durchgreifende Reform des Schulwesens. Das Schulgesetz von 1832 bedingte auch eine bessere Lehrerbildung. Unter des aufgeklärten Bischofs Salzmann Zustimmung und Segenswünschen vereinigte die Regierung die Stelle eines „Oberlehrers“, der die Leitung regelmäßiger Lehrerbildungscurse übernehmen sollte, mit derjenigen des Caplans in Oberdorf (1 Stunde von Solothurn); am 20. Januar 1834 wurde R., der schon 1833 mit Zweili einen Lehrerbildungscurs in Solothurn geleitet und nachher die daselbst neugegründete Secundarschule übernommen, mit dieser Doppelstellung betraut. In Oberdorf entwickelte nun R. eine ausschließlich der Schule gewidmete Thätigkeit, die in ihrer Eigenthümlichkeit vielfache Aehnlichkeit mit derjenigen Wehrli’s aufweist, in der Vielseitigkeit des Schaffens dagegen noch an Scharn erinnert. Persönlich äußerst einfach und bedürfnißlos, in seinen Formen „väterlich-rauh“, verstand er es, weniger durch Worte als durch sein Vorbild der unter ihm gebildeten Lehrerschaft der solothurnischen Volksschule in rastloser Thätigkeit und unermüdeter Hingabe seine Begeisterung für die Schule einzuflößen. „Neben der Direction ruhte die Hauptlast des Unterrichtes auf dem Oberlehrer. Er gab oft täglich 6–8 Stunden im Anschauungsunterricht, Leselehre, Sprachlehre, Rechnen, sogar Zeichnen. Der ganze Unterricht war methodisch: sollten doch vierzehn- bis sechszehnjährige, gewöhnlich mangelhaft vorbereitete Knaben (nach einem Vorcurs in einer Musterschule) in acht bis zehn Wochen zu Lehrern umgeschaffen oder (in Wiederholungscursen) ältere Lehrer in noch kürzerer Zeit in die neue Lehrmethode eingeübt werden. R. schuf einen neuen detaillirten Lehrplan für die Primar- und Fortsetzungsschulen, verfaßte Lehrbücher für die Unter- und Mittelclassen und die Realschule, ebenso einen Leitfaden für den ersten Unterricht in der deutschen Sprachlehre, bearbeitete Lese- und Rechnungstabellen, machte Pläne und Risse zu Schulhäusern und Schulbänken. Bei der kurzen, [314] strengmethodischen Vorbereitung der Lehrer mußte der Oberlehrer darauf dringen, daß seine Schulverbesserung genau in allem Detail durchgeführt werde; dafür mußte er aber auch in allem selbst sorgen. In den ersten Jahren öfters, später in zwei bis drei Jahren wenigstens einmal besuchte er alle Schulen des Kantons. Er war ein strenger Inspector und als solcher in seiner derben Manier von Lehrern und Schülern gefürchtet. Der Lehrer, der nicht fleißig arbeitete, der nicht gründlich unterrichtete, der den alten Schlendrian und Mechanismus nicht lassen konnte, der in Disciplin und Reinlichkeit eine Blöße gab, ward unnachsichtlich zurecht gewiesen und bei Widerspruch mit scharfen Worten, zuweilen vor den Schülern ausgescholten. Es gab eine Zeit, in der R. fast allmächtig dastand im Schulwesen des Kantons. Da schnitt er oft tief ein, trotz Schulgesetz und Behörden; aber niemals wollte er ungerecht wehthun. Es galt der neuen Schöpfung Leben und Gedeihen, und dafür setzte der Oberlehrer alles ein, darin war er ein rücksichtsloser Herrscher über seine Schulmeister … Er hielt ernst darauf, daß seine Schulmeister nicht nur tüchtig, sondern auch sittlich brav seien und ihre religiösen Pflichten erfüllen. In der Politik liberal nach der Anschauung der dreißiger Jahre, war er dieses auch im Religiösen und kein Freund kirchlicher Aeußerlichkeiten, aber auch ein abgesagter Feind aller leeren Viel- und Schönrednerei … Oberlehrer R. leistete in seiner Zeit mit seinem persönlichen Eingreifen und Allüberallwirken ohne Reglemente und Paragraphen für den Kanton Solothurn wenigstens ebenso viel, als in andern Kantonen weitläufige und streng gegliederte Schulorganisationen und brachte das Schulwesen auf eine allgemein anerkannte Höhestufe.“

Im Sinne Sailer’s wirkte R. auf seine Lehrerzöglinge – das war der Eindruck, den sie selbst dabei gewannen, – für die Bildung des ganzen Menschen im Geiste des Christenthums. Sein Unterricht gründete auf Anschauung; auf Entwickeln von innen heraus zielend, strebte er alle mechanische Trüllerei zu verbannen; großes Gewicht ward auf einen bestimmten Lehrgang und ein einheitliches sicheres Lehrverfahren gelegt. Besonders wurden die denkbildenden Fächer (Sprachlehre und Rechnen) mit Eifer betrieben; was der Zögling leichter, auch im Berufsleben sich verschaffen konnte, mußte als Nebenfach in den Hintergrund treten. „Es war ein geringes Maß von Wissen“, sagt ein Veteran von Roth’s Schülern, „das der junge Lehrer mit hinausnehmen konnte ins praktische Schulleben und gar mancher strebsame junge Mann hat die Unzulänglichkeit seiner Bildung schwer und bitter empfunden. Allein Oberlehrer R. hat seinen Zöglingen Liebe zum Berufe, Trieb zur Weiterbildung mitgegeben und ihnen durch strenge Angewöhnung in den Lehrcursen die unausgesetzte Arbeit zum Bedürfniß gemacht; sodaß es den pflichttreuen jungen Lehrer nicht ruhen ließ, bis er sich in Wissen und Können eine gewisse Selbständigkeit erworben. Gewiß ist aber diejenige Seminarbildung am höchsten zu halten, welche die meiste Berufsliebe einzuflößen und in den jugendlichen Herzen die heilige Flamme der Begeisterung zu entzünden vermag.“ 1844 wählte die Regierung R. zum Domherrn: aber die Wahl wurde infolge von Conflicten zwischen Staat, Stadt und Stift von kirchlicher Seite nicht anerkannt und R. blieb in seiner einfachen Stellung in Oberdorf.

Das Jahr 1846 brachte für die Lehrerbildung statt der bisherigen kurzen Curse einen zweijährigen Bildungscurs, beseitigte aber das Kantonalinspectorat und lockerte die engen Beziehungen des Seminars zum praktischen Berufsleben.

R. führte das Seminar mit gleicher Liebe fort bis zum J. 1856; den neu eingerichteten Convict übernahm er indeß nicht selbst und blieb in seiner alten Wohnung in der Caplanei. „In dieser Zeit war R. viel milder geworden, und mit seinen älteren Zöglingen, die er in Wiederholungscursen um sich versammelte, [315] in intimere Beziehungen getreten. Der letzte Wiederholungscuts war der von 1854. Als die Curstheilnehmer zum Abschied ihm einen Fackelzug brachten, sprach er in bewegtem Tone die Worte: ‚Ich habe gemeint, man betrachte mich unter der Lehrerschaft als einen Tyrannen, allein ich sehe, daß noch andere Gefühle für mich vorhanden sind‘ – Thränen erstickten seine Stimme. Das war sein Abschiedswort an uns.“ Anläßlich der politischen Umgestaltung des Jahres 1856 legte R., der das Herannahen des Alters fühlte, seine Stelle nieder; noch ließ er sich erbitten, dieselbe bis 1857 weiter zu führen. Dann wurde das Seminar in die Stadt verlegt; R. blieb in Oberdorf, für die Schule als Schulinspector und Mitglied der Bezirksschulcommission Lebern bis 1862 in seiner eifrigen Weise thätig.

Von einer Reise im Herbst 1863 nach England, Frankreich und Belgien zurückgekehrt, fühlte er kurz nachher die Anfänge eines Halsübels, das sich rasch verschlimmerte; sanft und ruhig starb er am 2. November 1863 in seiner Caplanei. Sein Andenken ehren eine Lehrer-Alters- und Unterstützungskasse, die unter dem Namen „Rothstiftung“ von seinen Schülern und Verehrern mit Unterstützung der Staatsbehörden gegründet wurde, sowie ein Denkmal in der Stadt Solothurn, das am 13. September 1884 enthüllt worden ist.

Biographie Roth’s (von Bischof Dr. Fiala) in Hunziker’s Geschichte der schweizerischen Volksschule III, 207. – Festschrift zur Einweihung des Rothdenkmals („dem Andenken des Oberlehrer Roth“) mit der biographisch gehaltenen Gedenkrede des Herrn Schulinspector Schläfli.