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Artikel „Ridinger, Georg“ von Erwin Hensler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 353–356, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ridinger,_Georg&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 13:48 Uhr UTC)
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Ridinger: Georg R. (Rüdinger), Architekt, Erbauer des Aschaffenburger Schlosses, geboren zu Straßburg am 24. Juli 1568, Todesdatum unbekannt. [354] Von seinem Leben ist bis jetzt nur wenig bekannt geworden. Der Geburtstag steht urkundlich nicht genau fest, doch ist das Datum seiner Taufe, die muthmaßlich am folgenden Tage stattfand, erhalten. Sein Vater war Werkmeister des Straßburger städtischen Mauerhofes. „Um Mathis“ (24. Februar) 1586 kam er zu dem Nachfolger seines Vaters Jörg Schmidt in die Lehre. 1590 ging er auf Wanderschaft; wohin sie ihn führte, läßt sich nur vermuthen. Fünf Jahre später bewarb er sich von Ansbach aus, wo er dem Markgrafen „zu erbauung einer Vestung hilfft“, wohl der Wülzburg bei Weißenburg in Franken, um Jörg Schmidt’s erledigte Stelle; doch ohne Erfolg. 1605 taucht er dann plötzlich als Baumeister des Mainzer Erzbischofs Johann Schweickhardt von Cronberg (1604–26) auf, um die seit 1552 zerstörte Winterresidenz der Mainzer Erzbischöfe zu Aschaffenburg wieder zu erbauen; seine Bestallung ist allerdings erst vom 13. März 1607.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß der Aufenthalt in dem Kreis der ansbachischen Baumeister bei R. einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. Hier dürfte er eine Reihe von Anregungen aufgenommen haben, die ihn bei seiner großen Bauaufgabe zu Aschaffenburg ganz wesentlich beeinflußten. Hier lernte er namentlich aus eigener Anschauung jenen Typus von Schloßbauten kennen, die, um einen Binnenhof gruppirt, an den Ecken mit Thürmen versehen waren und den Gedanken des mittelalterlichen Tief- oder Wasserschlosses in der Gesammtanlage vertraten. Womit R. seine Zeit zwischen dem Schluß seines Aufenthaltes im ansbachischen Kreis und seiner Berufung nach Aschaffenburg ausfüllte, ist nicht erwiesen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ließe sich aus seinem persönlichen Verkehr mit Italienern, die am Hofe zu Ansbach theils als Musikkünstler, theils als Festungsbaumeister in jener Zeit Verwendung gefunden hatten, annehmen, daß er selbst sich nach Italien gewandt habe und sowohl in Ober-Italien, namentlich in Genua, als auch in Rom mit Palastbauten und insbesondere mit der glänzenden Entwicklung des Terrassenbaues[WS 1] bekannt geworden sei. Es ist behauptet worden, daß er mit Unterstützung seines Oheims, eines kurmainzischen Hofkammerraths, durch dessen Vermittlung er in Joh. Schweickhardt’s Dienste gekommen sei, Italien, Frankreich und Deutschland bereist habe; Näheres darüber war indeß nicht zu ermitteln. Mit einem Male steht R. als fertiger Meister vor uns, der in dem Aschaffenburger Schloß ein Werk schuf, das seinen Namen aufs innigste mit der Geschichte der deutschen Renaissance-Architektur verbunden hat.

Die Schloßanlage in Aschaffenburg besticht durch die Schönheit ihres Aufbaus wie durch ihre Massenwirkung und gewährt durch den malerischen Gegensatz zwischen der Tönung des zur Verwendung gekommenen rothen Mainsandsteins und der umgebenden Landschaft ein ebenso imposantes als anziehendes Architekturbild. Seltsam erscheint, daß der Schloßbau eigentlich den Gedanken einer Niederburg ausdrückt und ein festungsartiges Gepräge trägt, während er in keiner Weise zu Vertheidigungszwecken im Einzelnen ausgebildet ist. Der Graben mit der Zugbrücke ist ein aus veralteter Anschauung herübergenommenes Inventarstück, so daß ein gewisser Widerstreit zwischen Wehrbau und Wohnbau unmittelbar zu Tage tritt. Der schroffe Absturz des Geländes nach der Mainseite bot Anlaß zur Errichtung eines Stützbaues, der bei seiner beträchtlichen Höhe und Längenausdehnung nicht gewöhnliche Anforderung an die technische Gewandtheit des Baumeisters in Planung und Ausführung stellte. Hier erwies R. seine Meisterschaft. Die mächtigen Bastionen der Wülzburg mochten in mehrfacher Hinsicht ihm greifbare Vorbilder geboten haben, nicht weniger aber kamen ihm wohl auch Eindrücke von künstlerischer Entwicklung des Terrassenbaues zu statten, wie er sie in Italien gewonnen haben wird. [355] Gewiß ist, daß die Terrassenanlage des Aschaffenburger Schlosses eines der mächtigsten und wirkungsvollsten Werke der damaligen Zeit ist, dem sich in Deutschland kein ähnliches an die Seite stellen läßt: es ist darin in jeder Hinsicht eine Großzügigkeit entwickelt, die recht eigentlich als Renaissance-Gedanke zu bezeichnen ist.

Im Aufbau kommt in den gedrungenen Stockwerken ganz vorwiegend die Horizontale durch schwere Zwischenglieder zwischen den einzelnen Stockwerken zum Ausdruck. Die über der Mitte der Flügel aufgesattelten Giebel wachsen unvermittelt über dem Hauptgesims empor. Jede organische Verbindung mit den darunter befindlichen Thoranlagen fehlt. Die Eckthürme werden durch die Geschoßtheilung der zwischenliegenden Flügel in ihren Proportionen bestimmt. Die weiteren drei Geschosse dagegen haben eine geringere Höhe, so daß die Thürme in ihrer Gesammterscheinung einen etwas verkümmerten Eindruck machen. Durch die weit vortretende Galerie mit den mächtigen, aber rohen Kragsteinen wirkt das Ganze nur noch drückender. Aus einem weiteren Geschoß entwickelt sich dann der achteckige Abschluß des Steinbaues, der mit doppelter welscher Haube gekrönt ist. Wenn auch in der Entwicklung der Frontseite der Gedanke der regulären Palastfassade sich geltend macht, den R. vielleicht aus französischen Bauten der Zeit äußerlich kennen gelernt hatte, so ringt sich derselbe doch nicht zu geläuterter Klarheit durch. Dem Bauwerk haftet trotz seiner neuartigen Anlage und der Wucht seiner Erscheinung die Erinnerung an Bauten einer vorausgegangenen Zeit an, so daß R. eigentlich im Wesen noch in den Schuhen einer älteren Richtung steht, während er Einzelheiten einer vorgeschrittenen Zeit weder mit Geschmack wählt, noch sie selbständig zu einer künstlerischen Höhe zu erheben vermag. Belege dafür bieten die Einzelheiten der Fensterarchitektur, namentlich die Abwicklungen und Bekrönungen der Thurmfenster, die verschnörkelten und überladenen Giebel sowie die unfeine Behandlung der Maskaronen an der Thurmgalerie und anderen Bautheilen. (Die Monographie von O. Schulze-Kolbitz über das Aschaffenburger Schloß, Straßburg 1905, ist höchst mangelhaft.)

Es liegt nahe, anzunehmen, daß der Meister während seines zehnjährigen Aufenthaltes in Aschaffenburg außer seiner Beschäftigung am Schloßbau noch Zeit fand, sich privatim zu bethätigen. Insbesondere Baum ist dieser Frage nachgegangen. Er ist geneigt, R. wenigstens bei der Vollendung des Steinheimer Thores in Seligenstadt betheiligt sein zu lassen, was aber meiner Ansicht nach seiner früheren Entstehungszeit wie seiner gothischen Einzelheiten wegen wenig wahrscheinlich ist. Letzteres allein wäre allerdings nicht Grund genug dazu, denn daß R. auch die gothischen Formen beherrschte, läßt deutlich das von ihm in den Jahren 1606–10 erbaute Katharinenspital in Aschaffenburg erkennen. Sein Antheil erstreckte sich bei diesem Werke nicht nur auf die oberste Leitung, sondern auch auf die Durchführung sämmtlicher Einzelheiten. Großen Kunstwerth besitzt der Bau nicht. Er besteht aus vier um einen langgestreckten rechteckigen Hof angeordneten Flügeln. Die Schmuckformen sind ganz schlicht und auf einige Leibungsprofile beschränkt. Auch die flachgedeckte einschiffige Capelle bietet wenig Bemerkenswerthes. – Für die Urheberschaft Ridinger’s an der Aschaffenburger Jesuitenkirche ließen sich urkundliche Nachrichten bis jetzt nicht auffinden. Doch spricht ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür, daß Erzbischof Joh. Schweickhardt, auf den die Stiftung des Jesuitencollegs zurückgeht, seinen Architekten mit der Errichtung beauftragte. Der Architektur fehlt jegliche innere Beziehung zum Schloß wie zum Spital. Die Kirche stellt sich als ein mächtiger, einschiffiger, tonnengewölbter Bau mit je drei Seitencapellen zwischen den Pfeilern dar, im wesentlichen dem Typus [356] des Gesu folgend. Sie ist in den Jahren 1618–21 erbaut. Damit würde die Thätigkeit Ridinger’s bis in dieses Jahr festgelegt und meine Vermuthung, daß er der 1619 am Mainzer Festungsbau betheiligte Aschaffenburger Meisters gewesen sei, gestützt.

In noch spätere Zeit führt eine Angabe, daß R. 1631, als Gustav Adolf in Aschaffenburg einzog, dem König seinen Schloßbau habe erklären und ihm die Pläne des Schlosses, das ihm so sehr gefallen habe, geben müssen. Dieser habe sich dann nach Ridinger’s Rissen ein gleiches Schloß bei Stockholm erbauen lassen. Wenn dies auch nicht der Fall ist, wie Fr. Schneider (in der Frankfurter Zeitung, 27. Septbr. 1906) nachgewiesen hat, so steht aber fest und hat vielleicht zur Entstehung dieser Sage beigetragen, daß der schwedische Reichsmarschall Karl Gustav Wrangel ein Menschenalter später zu dem Neubau seines Schlosses Skokloster Slott das Aschaffenburger Schloß als Vorbild benutzen ließ.

Von Ridinger’s Schicksalen nach Vollendung seines Hauptwerkes wissen wir nichts. Von seinen persönlichen Verhältnissen ist so gut wie nichts bekannt; 1616 spricht er von seinen „kleinen Kindern“. Auch sein Todesdatum fehlt vorläufig noch.

Ausführlicheres in meiner kritischen Studie: „Georg Ridinger. Ein Beitrag zur Künstlergeschichte Straßburgs“ im „Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen“ VI (1906), 157 ff.; seine Bestallung in den Aschaffenburger Geschichtsblättern Nr. 2 (1907). Im Anschluß daran Fr. Schneider, Das Schloß zu Aschaffenburg und sein Erbauer (Mainz 1906) und Jul. Baum, Zur Ridinger-Frage, i. d. Beil. z. Allg. Zeitung 1906, 29. Sept., Nr. 226.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Terassenbaues