ADB:Reitzenstein, Sigmund Karl Johann Freiherr von

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Artikel „Reitzenstein, Sigmund Karl Johann Freiherr von“ von Friedrich von Weech in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 69–70, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reitzenstein,_Sigmund_Karl_Johann_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 15:20 Uhr UTC)
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Reitzenstein *): Sigmund Karl Johann Freiherr v. R., großherzoglich badischer Staatsminister, geboren zu Nemmersdorf bei Bayreuth am 3. Februar 1766, † zu Karlsruhe am 5. März 1847. Nach Vollendung seiner juristischen Studien auf den Universitäten Göttingen und Erlangen begann R. seine Beamtenlaufbahn 1784 als Secretär des brandenburgischen Ministers Frhr. v. Seckendorf in Bayreuth und trat, empfohlen von dem Geheimrath Frhr. v. Edelsheim, im J. 1789 in die Dienste des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, der ihn zum adeligen Hofrath in seinem Hofrathscollegium und 1790 zum Kammerherrn ernannte. Als die französische Revolution begann ihre Wirkungen auf das rechte Rheinufer auszudehnen, war R. (seit 1792) Landvogt der Herrschaft Rötteln mit dem Wohnsitz in Lörrach und machte sich in dieser Stellung, die, so nahe an den Grenzen der Schweiz und des Oberelsaß, die ganze Umsicht und Thatkraft eines Beamten, der gegebenen Falles auch selbstständig zu handeln wagte, in Anspruch nahm, so vortheilhaft bekannt, daß ihm im J. 1796 die Führung der Verhandlungen mit dem commandirenden General der französischen Armee anvertraut wurde. In deren Verfolg schloß er mit der französischen Republik zu Paris am 22. August 1796 im Namen des Markgrafen von Baden einen Separatfrieden ab, welcher die Beziehungen Badens zu Frankreich einleitete, die im Verlauf des nächsten Jahrzehntes die so bedeutende Vergrößerung der Markgrafschaft zur Folge hatten. Von 1797 bis 1803 leitete R. als badischer Gesandter am französischen Hofe die dort zu führenden Geschäfte mit der größten Umsicht und Kenntnis der Personen und Verhältnisse und erreichte für das von ihm vertretene Land die günstigsten Bedingungen, als es galt, die Erbschaft der säcularisirten und mediatisirten Reichsstände anzutreten. Bei Benützung aller Conjuncturen, die der Vergrößerung des badischen Territoriums sich günstig erwiesen, vergab er doch niemals das Geringste der Ehre seines Herrn und seiner eigenen in einer Zeit, in welcher das Buhlen der deutschen Vertreter in Paris um die Gunst der einflußreichen Personen in der französischen Regierung ein klägliches Bild von Charakterlosigkeit und Mangel an Selbstgefühl darbot. Als R. 1803 auf seine Bitte in Rücksicht auf seine geschwächte Gesundheit abberufen wurde, ließ Napoleon sein aufrichtiges Bedauern über den Abgang dieses Diplomaten aussprechen. Schon 1806 betrat R. das ihm so vertraute Terrain des Pariser Hofes wieder, als es galt, die Verhandlungen über die von Kaiser Napoleon gewünschte Verbindung seiner Adaptivtochter Stephanie Beauharnais mit dem Enkel Karl Friedrich’s, dem Erbprinzen Karl von Baden, zu führen. Auch diese leitete R. mit so viel Geschick und Glück, daß Baden abermals einen bedeutenden Länderzuwachs erhielt. Wieder nach Hause zurückgekehrt, widmete R. die nächsten zwei Jahre seine bedeutende [70] Arbeitskraft der Neugestaltung der Universität Heidelberg, welche während der Regierung Karl Theodor’s unter dem Einfluß der Jesuiten in völlige Nichtigkeit verfallen war. Als Vorbild hatte er dabei die ihm aus der eigenen Studienzeit wohlbekannten Verhältnisse der Universität Göttingen vor Augen. Er rief das philologische und das mit demselben verbundene pädagogische Seminar ins Leben, ihm verdanken die Heidelberger Jahrbücher ihre Entstehung, eine Reihe glücklicher Berufungen, durch die bald eine Reihe glänzender Namen in den Lehrkörper der Universität eingeführt wurde, war sein Werk. Wie er selbst weiterstrebte, erzählt uns Creuzer, der uns überliefert, daß der damals 40jährige Staatsmann sich mit solcher Energie auf das Studium des Griechischen warf, daß er nach kaum zwei Jahren die schwersten Schriftsteller kritisch zu lesen verstand. – Schon im October 1809 rief ihn das Vertrauen des Großherzogs wieder aus dem Dienste der Musen ab, um seine bewährte Kraft an die Spitze der Regierung zu stellen. Seine Ernennung zum Staats- und Cabinetsminister durchkreuzte indeß die Pläne der französischen Partei am badischen Hofe, deren Führer, der französische Gesandte Bignon, alles aufbot, das Ministerium, in welchem neben R. sein gleichgesinnter Freund Freiherr v. Marschall der fortdauernd versuchten französischen Einmischung in alle Landesangelegenheiten Widerstand entgegenstellte, zu stürzen. Dem Vertreter des damals auf der Höhe seiner Macht stehenden Kaisers Napoleon an einem Rheinbündischen Hof mußte dies gelingen und schon im December 1810 sehen wir R. wie Marschall den französischen Intriguen weichen. – Wiederum zum Staats- und Cabinetsminister ernannt, übte R. während der Regierung des Großherzogs Karl einen bedeutenden Einfluß auf wichtige Entschlüsse dieses Fürsten, so vermittelte er den Beitritt Badens zu der Allianz gegen Napoleon (1813) und war mit bestem Erfolg für das Zustandekommen der Verfassung des Großherzogthums (1818) thätig. Der Universität Heidelberg widmete R. auch fortan seine vollste Theilnahme. Ohne eine officielle Stellung einzunehmen, beeinflußte er während Jahrzehnten alle wichtigeren Berufungen von Professoren mit dem günstigsten Erfolge. – Noch einmal trat R. an die Spitze der Regierung, als ihn Großherzog Leopold im J. 1832 zum Präsidenten des Staatsministeriums ernannte. Ein Freund echter Aufklärung, unbefangen und vorurtheilslos gegenüber den Forderungen der neuen Zeit, aber ein Gegner des lärmenden seichten Liberalismus, wie er in der badischen Kammer seit 1831 dominirte, benützte R. das große Ansehen, das er an den fremden Höfen genoß, um die Verwicklungen zu beseitigen, welche Baden namentlich seitens des Metternich’schen Oesterreich bedrohten. Es gelang ihm denn auch, namentlich durch seine persönliche Theilnahme an den Ministerialconferenzen von 1834 zu Wien, die Beziehungen Badens zu den deutschen Großmächten wieder günstiger zu gestalten. Im Innern wirkte er, so viel an ihm lag, dafür, daß die Grundsätze des Liberalismus in Gesetzgebung und Verwaltung möglichst zurückgedrängt wurden. Da er sich von den Verhandlungen des Landtags fern hielt, ist in jenen Jahren von seinem Wirken wenig in die Oeffentlichkeit gedrungen. Aber man kann annehmen, daß Großherzog Leopold in keiner wichtigen Angelegenheit seinen Rath einzuholen versäumte. 57 Jahre lang hatte er in den schwierigsten Zeitläuften dem badischen Staate die hervorragendsten Dienste geleistet, als er am 5. März 1847 starb. „Seinem, seines Hauses und des Vaterlandes Rath und Freund“ ließ Großherzog Leopold auf seiner letzten Ruhestätte im Karlsruher Friedhof ein Denkmal setzen, das seine wohlgetroffenen Züge der Nachwelt überliefert.

Bad. Biographien II, 179 ff.

[69] *) Zu Bd. XXVIII, S. 178.