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Artikel „Reichenbach, Peter von“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 672–673, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reichenbach,_Peter_von&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 05:30 Uhr UTC)
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Reichenbach: Peter v. R., einer der wenigen adligen Dichter der Kolmarer Hs. und gewiß der talentvollste Nachfolger Frauenlob’s in der Leichdichtung, stammte höchst wahrscheinlich aus dem schlesischen Adelsgeschlecht der Herren v. R., das erst seit dem 17. Jahrhundert dem Freiherrnstande angehörte. Der Vorname Peter ist in dem Geschlechte selbst wie in der Seitenlinie, die sich de Bela nannte, oft bezeugt; die geistliche Bildung unseres Dichters, der bei der Gestaltung seines Stoffes über die Bibel hinaus auch legendarische Quellen und Commentare zu Rathe gezogen haben wird, läßt eher an Peter v. R., den 19. Abt des Klosters Camenz an der Neiße (1376 bezeugt), als an allerlei gleichnamige Breslauer Senatoren und Schweidnitzer Bürger denken. – Erhalten ist unter Peter’s Namen nur ein einziges Gedicht, noch dazu unvollständig oder unvollendet, ein geistlicher „Hort“, der in mancherlei stilistischen Einzelheiten, weit deutlicher aber in dem ganzen metrischen Aufbau, in der äußeren Form von den religiösen Leichen Frauenlob’s sich beeinflußt zeigt. Complicirte große zweitheilige Strophengebäude, durch Binnenreime reich geschmückt, reihen sich [673] aneinander, ohne daß das Fragment Spuren irgendwelcher Responsion erkennen läßt; nur eröffnet wird es durch drei gleiche Strophen. Der strafferen Tradition der Lyrik dankt P. klangvolle Verse und eine Reimtechnik, die trotz zahlreichen dialektischen und sonstigen Rohheiten an Reinheit und Sicherheit den erheblich älteren Kreuziger seines nahen Landsmanns Joh. v. Frankenstein übertrifft. Um Frauenlobs gleichmäßig exaltirten Hymnenton zu erreichen, fehlt P. freilich die nie versagende Gelehrsamkeit, die üppige[1] wuchernde Phantasie, das raffinirte Pathos jenes Mannes; dafür hält er sich, unserm Geschmack viel gemäßer, verhältnißmäßig frei von Schwulst und Dunkelheit; gesundes Stilgefühl lehrt ihn, die lyrischen und die überwiegenden episch-didaktischen Elemente seines Leichs in Form und Darstellung zu sondern; wenn ihm auch einmal der lyrische Aufschwung mißglückt, so erfreut nicht selten der frische schlichte Ton seiner äußerst knappen Erzählung, der die mitteldeutsche Vorliebe fürs Asyndeton zu Gute kommt. Der adlige Dichter verräth in der Anrede „stolze Degen, werthe Recken“ recht deutlich, für welches Publicum er dichtet; an das Tagelied des ritterlichen Minnesangs knüpft er an, wenn er einleitend den Wächter mahnt, zwei Liebende, den Leib und die Seele, aus ihrer Umarmung im Sündenschlafe aufzuschrecken. Er erzählt, wie die Engel durch Hochmuth, die Menschen als Opfer ihrer Willensfreiheit fallen; die Dreieinigen berathen, wer helfen solle, und der Sohn erbietet sich frei; als Maria gerade über dem Jesaias sitzt, und demüthig wünscht, die Magd der Mutter Gottes zu werden, da trifft sie der englische Gruß. Damit bricht das Gedicht unvermittelt ab. Bartsch wollte R. noch einen zweiten größeren Leich von ähnlicher Anlage zuweisen, der in die Köln. Hs.[2] als Frauenlob’s tougen hort oder[3] sin slozhort aufgenommen ist und unzweifelhaft Anklänge an Peter’s Gesang in sich birgt. Mir sind diese Anklänge nur ein Beweis dafür, daß der unbekannte mitteldeutsche Verfasser, der sich in Reimgebrauch und dichterischem Charakter deutlich von R. unterscheidet, dessen Dichtung geplündert hat, gerade wie er durchweg Frauenlob’s großen Frauenleich höchst ungenirt aus- und umschreibend plagiirte.

Jachmann, Versuch einer Geschichte derer Grafen von Reichenbach. Oels 1781, I, § 37. – Meisterlieder der Kolmarer Handschrift, hrsg. von K. Bartsch, S. 181, 231–245, 630–635.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 673. Z. 7 v. o. l.: üppig. [Bd. 45, S. 670]
  2. S. 673. Z. 23 v. o. l.: Kolm. Hs. [Bd. 45, S. 670]
  3. S. 673. Z. 24 v. o. l.: hort oder. [Bd. 45, S. 670]