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Artikel „Ratdolt, Erhard“ von J. Braun in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 341–343, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ratdolt,_Erhard&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 03:17 Uhr UTC)
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Ratdolt: Erhard R., Augsburgs berühmtester Buchdrucker, entstammte einer dortigen Künstlerfamilie, welche sich durch Anfertigung plastischer Figuren aus Gyps auszeichnete, und soll ursprünglich Armbrustschnitzer gewesen sein. Da sein Name in den Steuerlisten der Stadt Augsburg von 1469–1473 ohne Berufsangabe, 1474 als Buchbinder und 1475 als Buchdrucker erscheint, so ist wohl anzunehmen, daß er in diesem Jahre bereits in einer Augsburger Officin thätig war. Noch in demselben Jahre ging R., vermuthlich in der Absicht sich künstlerisch auszubilden, nach Italien; doch da er in der Heimath auch die Kunst des Bücherdruckes kennen gelernt hatte, wandte er sich ihr in Venedig ausschließlich zu. Gleichzeitig mit R. waren Bernhard Maler oder Pictor aus Augsburg und Peter Löslin oder Löslein aus Langenzenn bei Nürnberg als Drucker nach Venedig gekommen, und diese drei bildeten nun daselbst das berühmte deutsche Buchdrucker-Triumvirat, in welchem Löslin hauptsächlich als Corrector thätig war, während Pictor, der von Hause auch Maler war, als Form- und Metallschneider mitwirkte. Eines der schönsten Werke, welches aus der Officin dieser Druckergesellschaft hervorging, ist unstreitig der „Appianus latine. Impressum hoc opus est Venetiis per Bernardum pictorem et Erhardum Ratdolt de Augusta unacum Petro Loslein de Langencen correctore et Socio MCCCCLXXVII.“ In demselben finden sich sehr schöne Initialen, wie auch in dem 1476 von ihm daselbst gedruckten „Calendarium“ des Johann Regiomontan hübsche Zierleisten angebracht sind. Auf einem von ihm 1478 gedruckten Werkchen des „Francisci Mataratii opusc. de componendis versibus“ lautet die Jahreszahl durch Auslassen eines X irrthümlich 1468. In dem Büchlein finden sich ebenfalls Initialen, mit Blumen und Laubgewinden verzierte Anfangsbuchstaben (litterae florentes), deren Erfindung häufig R. zugeschrieben wird, obgleich Regiomontanus in seinen Werken schon vorher derartige Zierbuchstaben verwendet hatte. Im J. 1480, in dem R. sich von Pictor und Löslin trennte, um seine Werkstatt allein fortzuführen, druckte er eine kleine Schrift in Sachen der von den Türken belagerten Stadt Klausenburg. betitelt: „Jacobus de Curte: De urbis Collosensis obsidione a Turcis tentata.“ In der 1482 von ihm gedruckten berühmten Ausgabe des Euklid, deren Zueignung an den Dogen Mocenigo von Venedig zum ersten Male in Goldschrift gedruckt ist, schuf er das erste mit mathematischen Figuren ausgestattete Buch. Durch dieses Werk hatte R. sich einen solchen Ruf erworben, daß er der Beschützer und Vater der Mathematiker genannt wurde; auch ergingen aus vielen Städten Italiens und Deutschlands infolgedessen die ehrenvollsten Rufe an ihn, besonders die Bischöfe Augsburgs drängten ihn [342] unausgesetzt zur Rückkehr in seine Vaterstadt. Aber R. blieb noch weitere vier Jahre in Venedig, wo er noch verschiedene hervorragende Drucke lieferte, so 1482 eine Einführung in die Astronomie „Joannis de sacro busto sphericum opusculum“, 1483 dann „Eusebii Caesariensis Chronicon id est temporum breviarium. Venetiis, Erhardus Ratdolt 1483“ und in demselben Jahre eines der frühesten in Venedig gedruckten deutschen Werke, nämlich „Das Buch der zehn gepot. Druckts erhart ratdolt von augspurg zu venedig 1483“. Zu den letzten von R. in Venedig gedruckten Werken gehört das „Opusculum repertorii prognosticon in mutationes aeris tam via astrologica quam methodo logica. 1485“. Den wiederholten Aufforderungen des Grafen Friedrich von Hohenzollern und des Bischofs Joh. von Werdenburg zur Rückkehr in seine Vaterstadt folgend, verlegte R. 1486 seine Druckerei von Venedig nach Augsburg, wo er noch viele Jahre mit dem gleichen Ruhm wie in der Fremde arbeitete. Sein früherer Theilhaber Löslin blieb in Venedig, wo er für sich allein druckte, und auch Pictor scheint nicht mit R. nach Augsburg zurückgekehrt zu sein; wenigstens ist sein Name in dem 1460 von Thomas Burgkmair angelegten Handwerksbuch der Augsburger Zunft nicht eingetragen. In Augsburg wurde R. durch den Druck seiner unvergleichlich schönen Chorbücher so berühmt, daß ihm von weit und breit Aufträge aus Klöstern und Stiftern zur Herstellung von Kirchenbüchern zu Theil wurden, die er in schönstem Roth- und Schwarzdruck die 40 Jahre seiner Thätigkeit hindurch gleich ausgezeichnet ausführte. Seine Breviarien und anderen kirchlichen Bücher druckte er vorzugsweise für die Bischöfe von Augsburg, Passau und Constanz, während ein 1488 bei ihm erschienener Abdruck der ungarischen Chronik des Johann v. Thwroz im Auftrage und auf Kosten des Ofener Buchhändlers Theobald Feger erfolgte. Von seinen übrigen Druckwerken verdienen besonders folgende noch angeführt zu werden: „Rituale“ oder „Obsequiale“ von 1487, vermuthlich sein erstes, für die Augsburger Diöcese, hier vollendetes Werk; ein im 9. Jahrhundert verfaßtes astronomisches Buch des arabischen Gelehrten Albumasar oder Aboasar „Flores Albumasaris 1488“, mit ungefähr 70 astronomischen Figuren; das „Liber Missalis Augustensis 1491“, das frühe Proben des Notendrucks mit beweglichen Typen[WS 1] aufweist; dann das „Psalterium cum apparatu vulgari familiariter appresso. Lateinisch psalter mit dem teutschen nützlichen dabey gedruckt“, das 1494 erstmalig und bald darauf in zweiter Ausgabe bei R. erschien; das Chorbuch „Obsequiale sive benedictionale s. eccles. Constantiens. 1502“, in neuer Ausgabe 1510; und endlich das „Missale, s. ritum Augustensis ecclesie cum … officio defunctorum in pergameno etc. Auguste vind. per Erhardum ratclott 1510“, das durch den Druckfehler im Namen des Druckers merkwürdig ist. Das letzte Buch Ratdolt’s ist wahrscheinlich das „Constanzer Brevier“ mit der Unterschrift: „Kalendarium: Psalterium: Hymni: Breviarium: Commune Sanctorum juxta chorum Ecclesiae Constantiensis 1516“. Ebenso widmete sich R. auch dem Druck musikalischer Werke, ja er soll sogar nach Kapp (Geschichte des deutschen Buchhandels S. 130) der Erfinder des Notendrucks mit beweglichen Typen sein, für welche Behauptung jedoch Beweise noch fehlen, denn es ist noch nicht festgestellt, ob die Noten im Liber missalis de 1491 mit gegossenen Typen hergestellt sind, in welchem Falle allerdings der Buchdrucker Oeglin, welcher bisher für den Erfinder des Notendruckes mit beweglichen Typen in Deutschland gehalten wurde (s. A. D. B. XXIV, 178), abgesetzt wäre, jedoch auch R. noch nicht auf die Bezeichnung eines Erfinders Anspruch hätte, da ganz derselbe Notendruck schon vor 1491 bei anderen vorkommt, z. B. im Missale Herbipolense s. l. et a. (Herbipoli, Reyser c. 1481) und in dem Missale ord. Praed. Venet. O. Scoti 1482. Jedenfalls aber kommt R. das Verdienst zu, der erste Buchdrucker gewesen zu sein, welcher besondere [343] Titelblätter in der heute üblichen Weise brachte, und, wie bereits oben erwähnt wurde, der zum ersten Male mit Goldschrift druckte, sowie die Renaissance-Buchstaben durch den Holzschnitt für die Typographie verwendete. Sein Druckerzeichen ist das Sternbild des Herkules auf einem Schilde, über dem sich ein Helm mit zwei Hifthörnern befindet, zwischen welchen ein Stern steht; ein nackter Mann hält in der rechten zwei Schlangen, auf seinem Leib ist ein rother Stern angebracht. R. starb um 1528, in welchem Jahre er zuletzt Steuern zahlt, und zwar die für die damalige Zeit hohe Summe von 30 Gulden Einkommensteuer, als ein sehr angesehener und ebenso vermögender Mann, was unter den zeitgenössischen Typographen eine große Seltenheit war; er soll ein Alter von 85 Jahren erreicht haben. Von dem Umfang und der Schönheit seines Schriftenmaterials zeugt eine von ihm erhalten gebliebene Schriftproben-Liste in der Hof- und Staatsbibliothek zu München.

Falkenstein, Geschichte S. 159; 216. – Klemm, Katalog S. 261. 291. – Kapp, Geschichte S. 130 ff. – Schmid. Fr., die Ratdoltischen Drucke. – Serapeum 1843. S. 349. 364; 1861. S. 360; 1862. S. 57. – Faulmann, Geschichte S. 210. 228. 230. – Lorck, Geschichte S. 59. – Zapf, Annales I, 24, 35. II. 15, 24. – Nagler, Monogrammisten I. S. 714–719. – Goedeke, Grundriß I, 140. – Panzer, Annalen I, 108, 182, 191, 201, 238. – Panzer, Annales I, 112 ff. – Hain, Repertorium Nr. 609, 4034, 5868, 10889, 11260, 13393, 13511 u. s. w.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: beweglichenTypen