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Artikel „Rall, Johann Gottlieb“ von Bernhard von Poten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 191–193, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rall,_Johann_Gottlieb&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 07:18 Uhr UTC)
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Rall: Johann Gottlieb R., landgräflich hessen-kasselscher Oberst, war ein Soldatenkind; die Dienstpapiere nennen als seine „Heimath“ das Regiment des Generalmajors A. M. v. Donop. Vermuthlich war ein Capitän Joachim Rall, aus Stralsund gebürtig, welcher am 1. Mai 1717 in dasselbe eingetreten war, sein Vater. Der Sohn R., dessen Geburtsjahr nicht angegeben wird, ward am 1. März 1740 Cadett, am 25. Juli 1741 Fähnrich, am 28. August 1745 Lieutenant und am 10. Mai 1753 Capitän bei dem nämlichen Regiment, welches damals Oberst Prinz Casimir von Isenburg-Birstein hieß, wurde in demselben, welches jetzt den Namen des Generalmajors J. A. v. Bischhausen führte, am 7. Mai 1760 zum Major befördert und im Januar 1763 in das Garnisonregiment des Generalmajors J. L. F. v. Stein versetzt, in welchem er zum Oberstlieutenant aufrückte. Am 22. April 1771 wurde er aus diesem, welches jetzt der Oberst H. H. Heldring befehligte, als übercompleter Oberst zum Grenadierregiment des Oberst W. v. Mansbach versetzt und im Januar 1772 zum Chef des Regiments ernannt. Er hatte in dieser Zeit während des österreichischen Erbfolgekrieges an Feldzügen in Bayern und am Rhein, in den Niederlanden und in Schottland theilgenommen, hatte 1756 die hessische Entsendung nach England und hinterher den ganzen siebenjährigen Krieg mitgemacht und hatte nach Ausweis seiner Stammrolle 1744 bei der Ersteigung der Kron-Weißenburger Schanzen, 1746 bei Rocourt, 1747 bei Laffeld, 1757 bei Hastenbeck, 1758 bei Sandershausen und bei Lutternberge, 1759 bei Bergen, Minden und Fulda, 1760 bei Zierenberg, 1761 vor Kassel und bei Villinghausen, 1762 bei Grebenstein, Wilhelmsthal und Speele gefochten, war vom September 1771 bis August 1772 nach Rußland beurlaubt gewesen, um am Kriege gegen die Türken theilzunehmen und hatte hier namentlich unter Orlow auf der Flotte gedient. Im Jahre 1776 gehörte das Grenadierregiment R. zu den 12 500 Mann, welche Landgraf Friedrich II. infolge des am 15. Januar mit Großbritannien abgeschlossenen [192] Vertrages in englischem Solde nach Nordamerika sandte. Das Regiment zählte, wie die hessischen Truppentheile überhaupt eine geringe Stärke hatten, nur etwa 500 Mann und wird daher häufig als Bataillon bezeichnet; es gehörte zur 1. Division, welche der General v. Heister (s. d.) befehligte. Am 6. März aus der Heimath abmarschirt, kam es erst am 17. August im Hafen von Sandy-Hook an der nordamerikanischen Küste an. Hier gab es sofort blutige Arbeit; der englische Oberbefehlshaber, Lord William Howe, hatte mit Sehnsucht auf die Ankunft der deutschen Waffengefährten gewartet, um angriffsweise gegen den Feind vorzugehen. Schon am 26. August nahm R. an dem siegreichen Gefechte bei Flatbush theil; sein Regiment hatte das Glück eine Fahne zu erbeuten; der leichte Erfolg legte in seiner Seele den Grund zu der Mißachtung seiner Gegner, welche ihm verhängnißvoll werden sollte. Die nächste Gelegenheit zur Auszeichnung bot sich ihm am 28. October, wo Howe Washington angriff, dessen Heer in den White Plains stand. R. befehligte hier die Brigade Mirbach, besetzte gleich zu Anfang des Gefechtes aus eigenem Antriebe einen von den Amerikanern unbeachtet gelassenen wichtigen Hügel, behauptete diesen gegen die feindlichen Versuche ihn zu nehmen und trug später durch einen ungestümen Angriff gegen den rechten feindlichen Flügel wesentlich zur Entscheidung des Tages bei; der englische General Lord Cornwallis bezeugte, daß Rall’s Benehmen die Bewunderung des ganzen Heeres gefunden habe. Bei der Einnahme des später Fort Knyphausen (vgl. A. D. B. XVI, 243) genannten Fort Washington am 16. November führte R. die eine der beiden Angriffscolonnen, welche den Sturm ausführten. Howe’s Tagesbefehl, welcher den Truppen für ihre Leistungen dankt, nennt auch Rall’s Namen.

Im Laufe der nächsten Wochen brachten die Amerikaner den Delaware zwischen sich und ihre Gegner, worauf die Letzteren Winterquartiere bezogen. R. und seiner aus den Regimentern R., Knyphausen und Loßberg bestehenden Brigade, zu welcher noch 50 hessische Jäger und 20 englische leichte Dragoner stießen, waren dieselben in den am Flusse liegenden Städtchen Trenton angewiesen. Er hatte sich diesen äußersten Posten von Lord Howe, der ihn wegen seiner mehrfach bewiesenen Tapferkeit sehr schätzte und auszeichnete, selbst ausgebeten. Die Vorsichtsmaßregeln, welche er in seiner sehr gefährdeten Stellung traf, waren durchaus ungenügend. Für seine eigene Person erwies er sich höchst sorglos und die Lässigkeit, welche er im Sicherheits- und Aufklärungsdienste zeigte, ging bald auch auf die Mannschaften über. Die Kenntniß, welche er von umlaufenden Gerüchten inbetreff eines von den Amerikanern beabsichtigten Ueberfalls erhielt, bewog ihn ebensowenig Gegenmaßregeln gegen einen solchen zu treffen, wie die Vorstellungen seiner Officiere dies vermochten. Auch die Gefährdung seiner Verbindung mit den nächstbenachbarten befreundeten Truppen durch den Feind und dessen mehrfaches Ueberschreiten des Delaware erschütterten nicht seinen Glauben, daß die Amerikaner keinen Angriff wagen würden. Trotzdem erfolgte dieser in der Morgendämmerung des 26. December. Washington selbst machte ihn mit 2400 Mann und 18 Geschützen, die er in einer bitterkalten Nacht, unter Regen und Schneegestöber, herangeführt hatte. Er gelang vollständig. Die Hessen setzten sich freilich zu heftiger Gegenwehr, aber Rall’s Anordnungen zu derselben waren wenig zweckmäßig; er selbst ward nach kurzer Zeit tödlich verwundet und in zwei Stunden war der ganze Kampf beendet. Die Hessen hatten an Todten, Verwundeten und Gefangenen 933 Mann eingebüßt; 398 Mann und außerdem die Jäger und Dragoner entkamen; die 6 Regimentsgeschütze fielen ebenfalls in die Hände der Sieger. R. erlag am Abend des nämlichen Tages seinen Wunden. „Er starb gern“, sagt das Tagebuch eines Mitkämpfers, „ja vergnügt, daß er nicht genöthigt war seine Ehre zu überleben“. Die angestellte [193] Untersuchung läßt Rall’s Schuld noch größer erscheinen, als sie nach dem Vorstehenden gewesen wäre, indem sie darthut, daß er am Abend vorher der Flasche, die er neben der Musik sehr liebte, stark zugesprochen hatte und annehmen läßt, daß er am anderen Morgen, wo sein Adjutant ihn nur schwer ermuntern konnte, noch unter dem Einfluße des zu reichlich genossenen Getränkes gestanden hat. Bei aller Tapferkeit fehlten ihm überhaupt Geistesgegenwart und Festigkeit des Entschlusses.

M. v. Eelking, die deutschen Hülfstruppen im Nordamerikanischen Befreiungskriege 1776–1783, 1. Theil, Hannover 1863, schildert den Ueberfall von Trenton im Laufe der Erzählung, als wenn derselbe am 25. stattgefunden hätte, während er S. 372 den Hergang auf den 26. verlegt, welcher letztere Tag allgemein als Rall’s Todestag bezeichnet wird. – The Hessians and the other German auxiliaries of Great Britain in the revolutionary war by Edward J. Lowell, New York 1884. – Die Nachrichten über Rall’s Verhältnisse vor dem Jahre 1776 beruhen auf gefälliger Mittheilung des Staatsarchivs zu Marburg.