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Artikel „Radulf, Herzog von Thüringen“ von Ludwig Oelsner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 152–153, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Radulf&oldid=- (Version vom 23. April 2024, 22:00 Uhr UTC)
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Radulf, Herzog von Thüringen seit 633, Sohn des Chamar: ob Thüringer oder Franke von Geburt, ob Christ oder Heide, ist nicht zu entscheiden. Fast genau hundert Jahre, nachdem die Söhne Chlodwig’s das altthüringische Reich unterworfen hatten (530), beschloß ihr Nachkomme Dagobert I., seit 628 Beherrscher des fränkischen Gesammtstaates, zur besseren Wahrung der Ostgrenze desselben nicht nur die erneute Abtrennung Austrasiens unter eigenem Königthum und Majordomat, sondern auch die Einsetzung eines thüringischen Herzogs in der Person Radulf’s. Es galt, die Einfälle der Wenden abzuwehren, die, unter dem Franken Samo seit 624 zu einem starken Slavenstaate geeinigt, von der oberen Elbe her sich in häufigen Verheerungszügen über das ganze Ostreich und in erster Linie über Thüringen ergossen hatten. R. entsprach seiner Aufgabe, indem er zu wiederholten Malen die Wenden schlug und so die germanische Welt gegen das vordringende Slaventhum schützte. Bald jedoch zeigten sich die unglücklichen Wirkungen der damaligen fränkischen Verfassungszustände. Es widerstrebte dem siegreichen R., den arnulfingischen Majordomus Ansegisel, der im Namen des unmündigen Merowingers Sigibert Austrasien regierte, als seinen Gebieter anzuerkennen; allmählich entzweite er sich auch mit dem Könige selbst. Als vollends 639 Dagobert I. und 640 Pippin der Aeltere gestorben waren und Sohn und Schwiegersohn des Letzteren, Grimoald und Ansegisel, in der Behauptung der Majordomuswürde auf den Widerstand einer Gegenpartei am Hofe stießen, glaubte R. die Zeit gekommen, sich vom Frankenreiche völlig loszureißen. Er verband sich zu diesem Zwecke mit dem Agilolfinger Farus, dessen Vater Chrodoald einst auf König Dagobert’s Veranlassung in Trier getödtet worden war; dem [153] austrasischen Staate drohte die Auflösung, dem Germanenthum von neuem die Gefahr slavischer Uebermacht. Soweit sollte es jedoch nicht kommen. König Sigibert rüstete in seinem ganzen Reiche, jenseits wie diesseits des Rheins. Sein erster Ansturm galt Farus; dieser fällt, sein Heer wird theils getödtet, theils gefangen genommen. Sodann drangen die Franken in Thüringen ein, wo R. sich in einem hochgelegenen Castell an der Unstrut, dessen Reste man bei Kloster Memleben gefunden zu haben glaubt, verschanzt hielt. Im Heere der Belagerer herrscht Planlosigkeit, zum Theil auch Untreue. Während Grimoald und Ansegisel die Person des Königs hüten, werfen zwei andre Führer sich gegen das Thor des Lagers, aus dem nun R. mit den Seinen hervorbricht. Ein blutiger Kampf beginnt, in welchem mehrere Tausende umgekommen sein sollen; R. kehrt als Sieger in sein Castell zurück, König Sigibert reitet weinend von dem leichenbedeckten Schlachtfeld nach den nahen Zelten, wo er mit seinem Heere übernachtet. Am andern Morgen gibt er den Kampf auf; er unterhandelt mit R. über friedlichen Abzug und begiebt sich in sein Land zurück. R. behauptet fortan eine wahrhaft königliche Stellung in Thüringen; er tritt zu den Wenden und anderen Nachbarvölkern in ein befreundetes Verhältniß; die Verbindung mit Austrasien aber ist zwar thatsächlich, doch wenigstens nicht dem Namen nach gelöst. So viel meldet über R. unsere einzige Quelle, die Fredegarische Chronik. Von weiteren Thaten und Erlebnissen, sowie von seinem Ende erfahren wir nichts. Noch vier Herzoge Thüringens, wahrscheinlich seine Nachkommen, Hedan I., ein Ungenannter, Gozbert und Hedan II., lassen sich bis 716 verfolgen; in den Tagen des Bonifaz ist jede Spur des Herzogthums erloschen.