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Artikel „Rätze, Johann Gottlieb“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 370–371, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:R%C3%A4tze,_Johann_Gottlieb&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:03 Uhr UTC)
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Rätze: Johann Gottlieb R., geb. in Rauschwitz bei Camenz (wahrscheinlich um das Jahr 1760), † am 30. September 1839 in Zittau, Sohn eines Schullehrers, besuchte die Gymnasien in Camenz und Zittau, worauf er an der Universität Leipzig Philosophie und Theologie studirte. Nach Zittau zurückgekehrt, wirkte er längere Zeit als Hauslehrer, und 1803 fand er eine Anstellung am dortigen Gymnasium, wo er allmählich in die höheren Lehrstellen vorrückte; beginnende körperliche Leiden nöthigten ihn 1832 von seinem Amte zurückzutreten. Er war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller, welcher zunächst von Kant mächtig ergriffen in einer „Beilage zu Kant’s Kritik der praktischen Vernunft“ (1792) auf die sich aufdrängenden Schwierigkeiten hinwies und in zwei weiteren Schriften „Ist Glückseligkeit oder Tugend die Bestimmung des Menschengeschlechtes?“ (1794) und „Die Freiheit des Willens“ (1801) einige Modificationen der kantischen Lehre für nothwendig hielt, während er dasjenige, was er billigte, in eine „Kantische Blumenlese“ (2 Bde., 1799–1801) zusammenstellte und auch in der Schrift „Herder gegen Kant“ (1800) als Vertheidiger der kritischen Philosophie auftrat. Besonders aber schwärmte er für Kant’s Auffassung der Religion und in der Schrift „Betrachtungen über Kants Religion innerhalb der Gränzen der Vernunft“ (1794) schloß er sich vollständig der rein moralischen Begründung an, welche lediglich aus der praktischen Vernunft folgt, und indem er somit einen praktisch verwertheten Rationalismus forderte, hatte er den Standpunkt gewonnen, um welchen sich viele seiner kleineren Schriften als Variationen des gleichen Themas drehen, wie z. B. „Der Thesenstreit oder Harms und seine Gegner, ein Beitrag zur Beendigung des Streites zwischen der Vernunft-Religion und dem Offenbarungs-Glauben“ (1818, es hatte nämlich Harms sich in einer Anzahl Thesen gegen den Rationalismus erklärt, worüber eine Fluth von Streitschriften entstand, s. A. D. B. X, 608 f.). Eine Vereinbarung des moralisirenden Rationalismus mit dem Supranaturalismus hatte nach seiner Ansicht Schleiermacher erreicht, und so schrieb er „Erläuterungen einiger Hauptpunkte in Schleiermacher’s christlichem Glauben“ (1823), worum [371] sich abermals bis zum Jahre 1836 eine Anzahl kleinerer Schriften ähnlichen Inhaltes gruppirte. Neben diesem Lieblingsthema beschäftigte ihn auch (1820) der Uebertritt des K. L. v. Haller zum Katholicismus, sowie desselben Verwerfung der constitutionellen Staatsformen (s. A. D. B. X, 433), und er sprach seine gegnerische Ansicht aus in „Die Constitutions-Scheu des Herrn v. Haller und dessen inspirirte Ansichten von Staat und Kirche“ (1821), womit zusammenhing „Das Vernunftrecht im Gewande des Staatsrechts und der Vorrechte“ (1822), worin er auf kantischem Boden stehend die Machttheorie bekämpfte, unter Vorrecht aber das zum Besten der Bürger geübte Regierungsrecht verstand. Während er die gesammte nachkantische Philosophie – abgesehen von Schleiermacher – nicht mit einem Worte berührte, veranlaßte ihn doch Schopenhauer’s Hauptschrift zu einer Entgegnung unter dem Titel „Was der Wille des Menschen in moralischen und göttlichen Dingen aus eigener Kraft vermag und was er nicht vermag, mit Rücksicht auf Schopenhauer“ (1820). Uebrigens vertrat er seinen sittlich-religiösen Standpunkt mit Wärme auch in mehreren populären Schriften.

Neuer Nekrolog der Deutschen, Jahrg. 1839, Bd. II, S. 836, woselbst seine sämmtlichen Schriften aufgezählt sind.