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Artikel „Pyrker, Anna Maria“ von Karl Damian Achaz von Knoblauch zu Hatzbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 787–790, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pyrker,_Anna_Maria&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 22:59 Uhr UTC)
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Pyrker: Anna Maria P., berühmte Sängerin des vorigen Jahrhunderts, geb. 1717 (nicht 1713), gestorben in Eschenau bei Weinsberg im Würtembergischen am 10. November 1782. Sie heißt nicht, wie C. F. D. Schubart in seiner Autobiographie (Leben und Gesinnungen u. s. w.) angiebt, mit dem Vornamen Marianne, ebenso ist ihr angeheiratheter Name, wie ihn derselbe Autor angiebt, Pirkner, durchaus falsch, endlich kann auch die Schreibung, welche Hänle, Korfinsky, Mendel, Riemann haben, Pirker, nicht bestehen. Anna Maria ist eine geb. Geyereck, dieser Name deutet wohl auf Herkunft ihrer Familie aus dem Salzburgischen hin, wo eine der drei Spitzen des zwischen Salzburg und Berchtesgaden gelegenen Untersbergs „das Geiereck“ heißt. Die Familie des Namens war nach archivalischen Nachrichten zu Graz in Steiermark vor dem „eisernen Thore“ ansässig und zählte zur wohlhabenden Classe. Demungeachtet scheint Anna Maria nicht in dieser Stadt geboren zu sein, Hänle in seinen „Württembergischen Lustschlössern“ nennt sie vielmehr eine Württembergerin, die 1750 (als sie nämlich nach Stuttgart kam) in ihr Heimathland zurückgekehrt wäre. Näheres ist zur Zeit noch nicht bekannt. Anna Maria zeigte von Jugend auf schöne Gesangstalente, heirathete um 1737 den Violinisten Franz Joseph Pyrker und wurde dadurch verwandt mit der Familie, d. h. den Vorfahren des bekannten Dichters und Erzbischofs von Erlau, Joh. Ladislav Pyrker. Etwa ein Jahr nachher, als sich die Eheleute gerade zu Graz aufhielten, wurde ihre Tochter Josepha M. Anna Pürkher (so steht im Taufbuche) geboren, den 21. September 1738; wahrscheinlich um Verwechselung mit einer andern nahen Anverwandten zu vermeiden, hieß diese nachher Rosalie Marianne. Der Ehemann P., der das Gesangstalent seiner Frau vollkommen zu würdigen wußte, veranlaßte sie zu Kunstreisen in seiner Begleitung, sie fallen in die Zeit von 1738–50, Hänle giebt als Orte, wo die P. geglänzt habe, Wien und London, Neapel und Venedig an. 1750 berührte das Ehepaar Stuttgart: im improvisirten Saale wurde die Oper „Artaserse“ gegeben, die Gatten ernteten großen Beifall und wurden vom Herzoge Karl Eugen in Dienste genommen, er als Concertmeister, sie als Hofsängerin. Anna Maria verstand den musikalischen Sinn der Herzogin in besonderem Grade anzuregen und verursachte, daß das herzogliche Lusthaus in Stuttgart alsbald in ein Opernhaus umgestaltet wurde. Sechs Jahre lang ging alles gut, da ließ sich die gefeierte Sängerin von ihrem lebhaften Rechtsgefühl und den Freundschaftsempfindungen für die regierende Herzogin zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen, [788] die sie sogleich büßen mußte und die, weil bald ein wichtiges Moment noch hinzutrat, ihr ganzes ferneres Leben zerstört hat. Herzog Karl Eugen war nämlich in intime Beziehungen zu der Tänzerin Auguste Agata geb. Gardela getreten und die P. berichtete der herzoglichen Gemahlin aus Theilnahme diese Sache in ihren Einzelheiten. Der Herzog brachte heraus, wer seiner Gemahlin den Freundschaftsdienst erwiesen habe, ließ die Sängerin in Stuttgart verhaften und war wahrscheinlich blos Willens, sie einige Zeit im Gefängnisse zu belassen. Die Herzogin nahm sich der Verlassenen an und bat nachdrücklich um ihre Loslassung, als das aber abgeschlagen ward, so dünkte ihr, der Herzogin, die eigene Lage hinfort unerträglich, sie verließ heimlich Hof und Land und rettete sich zu ihren Eltern nach Baireuth, von wo sie nie zurückgekehrt ist. Diese Entweichung geschah im September 1756, nicht 1755, man vergl. darüber Spittler, sämmtl. Werke XIII, 433; Pfaff, Geschichte von Würtemberg III, 2, S. 257. Der aufgebrachte Herzog ließ nun seinen ganzen Zorn auf die Sängerin P. fallen, die zwar Vertraute seiner Gattin gewesen war, aber doch an deren Entweichung nicht Schuld trug; Anna Maria wurde aus ihrem Stuttgarter Gefängnisse nach der Festung Hohenasperg in strengen Arrest gebracht. Schubart in seiner Autobiographie giebt wieder irrig an, ihr Mann, der Concertmeister, sei ebenfalls verhaftet worden und habe lange Jahre auf dem Asperg zugebracht: dies ist ein von Schubart aus Rache über dessen eigene Gefangenschaft geführter Schachzug gegen den Herzog (geradeso wie später das Gedicht „Die Fürstengruft“ gegen ihn gemünzt ist), in Wirklichkeit blieb P. während der ganzen Zeit der Gefangenschaft seines Weibes unangefochten und waltete seines Amtes als Concertmeister in Stuttgart, bis 20. October 1764 Hof und Residenz nach Ludwigsburg verlegt wurden. Was seine Frau, die gefeierte Sängerin betrifft, so saß sie acht und ein halbes Jahr lang (September 1756 bis Frühjahr 1765) auf Hohenasperg ganz allein in einem elenden Kerker; damaliger Commandant der Festung, den mithin das Unglück traf, sie so mißhandeln zu müssen, war erst Obristlieutenant Julius Otto v. Biberstein († 1760), dann Obrist Friedr. Christoph v. Kettenburg (bis 1768). Eine verbürgte Tradition sagt, daß die P. in der ersten Zeit ihrer Gefangenschaft auf Hohenasperg in ihrer Verzweiflung so geschrieen habe, daß eine Stimmbrechung bei ihr eingetreten und ihr prächtiger Sopran in einen tiefern Ton heruntergegangen sei, mit dem sie dann, nach ihrer Befreiung, in Heilbronn den Unterricht hätte ertheilen müssen. Im 8. Monate ihrer Gefangenschaft, am 28. April 1757 verehelichte sich ihre Tochter Rosalie Marianne mit dem Hof- und Kanzleibuchdrucker Christoph Friedrich Cotta: welch’ trauriges Fest zu Stuttgart, während die Mutter der Braut weit weg von ihren Lieben und im Unglücke war! Indessen sollte es noch schlimmer mit ihr kommen. Auf den Verlust der Stimme folgte nach einiger Zeit der des Verstandes, die ewige Einsamkeit und Nichtbeschäftigung, in der sie auf ausdrücklichen Befehl gehalten wurde, machten ihren reich talentirten Geist erliegen. Bei diesen Mißgeschicken der Künstlerin blieb gleichwohl Herzog Karl Eugen unbeweglich, denn er mußte Jemanden haben, an dem er seinen Grimm über den Skandal, daß ihm seine Gattin entwichen war, fortwährend und fühlbar auslassen konnte. Indessen gerieth doch das arme, irre Geschöpf in lichten Augenblicken auf ein Mittel, sich die harte Prüfung etwas zu erleichtern. Sie hatte nichts als das Stroh ihres Bettes, daraus zog sie Halme und nahm von ihrem eigenen Haare zum Festbinden. Mit diesem Material gelang es ihr Blumen zu bilden und als sie dies Spiel einige Zeit getrieben hatte, ließ ihr der Commandant Faden und Draht heimlich zustecken. Die Strohblumen, die sie nun in größerer Anzahl machen konnte, waren sehr künstlich verfertigt und erregten die allgemeine Aufmerksamkeit. Aber auch das nützte ihr nichts beim Herzoge, der ja dafür bekant ist, daß seine wichtigeren [789] Gefangenen immer nur durch fremde Verwendung wieder frei geworden sind. Es würde demnach Anna Maria höchstwahrscheinlich bis zum Tode in ihrer unnatürlichen Einengung und dem ihre Arbeiten öfter unterbrechenden Irrsinn verblieben sein, wenn nicht Intercession von außen gekommen wäre. – Und diese ward ihr durch die gedachte Kunstfertigkeit. Mitleidige Seelen wußten ihre Arbeiten in große Entfernungen hin zu verbreiten und was sie selbst betrifft, so hatte sie gelernt, auch verschiedene Sorten von Blumen nachzuahmen und daraus Sträuße zu bilden. Ein solcher Strauß kam nach Wien vor die Kaiserin Maria Theresia. Diese wunderte sich über das Talent der Künstlerin und ihr erbärmliches Gefängnis, sie verwandte sich alsbald für die Unglückliche. Auch die Kaiserin Katharina II. von Rußland, heißt es, hätte ebenfalls einen solchen Strauß empfangen und sich dadurch zur Intervention bewogen gefunden. Herzog Karl Eugen, der immer gut österreichisch gewesen war, auch wohl glaubte, so hohen Damen gegenüber den Cavalier spielen zu müssen, gab nach und so erhielt Anna Maria, nachdem sie von ihrem 39. Lebensjahre bis zum 47. gefangen gewesen, ihre Freiheit im Frühling 1765. Ihr Gatte, der damals wie die gesammte herzogliche Hofhaltung in Ludwigsburg stand (erst 29. Mai 1775 ward Stuttgart wieder Residenz), durfte sie selbst abholen und brachte die Künstlerin nach Eschenau, einem jetzt würtembergischen Pfarrdorfe östlich von Heilbronn und Weinsberg, auch Station der Bahnstrecke Heilbronn-Oehringen. Hier befand sich ein reichsunmittelbares, dem schwäbischen Rittercanton Kraichgau incorporirtes Rittergut, dessen damalige Besitzer, der brandenburgisch-anspachische Kriegsrath Georg Friedrich von Killinger (geb. 1702) und seine Gattin Anna Elisabeth Sophie geb. v. Muck, schon früher mit dem Concertmeister befreundet gewesen scheinen. Sie nahmen das verfallene irre Geschöpf auf das liebreichste auf, und es folgt nun eine Zeit von zwei Jahren, die Anna Maria still in Eschenau verlebte, um von den Nebeln des Irrsinns wieder zu genesen. Sie wird wol im damaligen Amthaus, jetzigem Pfarrhaus, das dem Schloß gegenüber liegt, gewohnt und den daranstoßenden ziemlich ausgedehnten Amtsgarten (der Schloßgarten ist neueren Ursprungs) zu ihrer Gesundung benutzt haben, indessen hatte sie am 3. Juni 1766 das Ableben des Schloßherrn zu bedauern. Nach ihrer völligen Wiederherstellung, sie war jetzt fast 50 Jahre alt, verließ sie das gastliche Eschenau und zog nach der Reichsstadt Heilbronn, wohin ihr der Gatte, der von dem würtembergischen Herzoge die Entlassung erbeten und erhalten hatte, nachfolgte. Beide ernährten sich durch Musik- und Gesangunterricht. Schubart, der sie, als er Ludwigsburg wegen eines Pamphlets hatte verlassen müssen, im Juni 1773 besuchte, erzählt, daß sich beide Gatten um die Heilbronnischen Privatconcerte sehr verdient machten, das Vorhandensein eines Reichthums von guten Musikalien und gute Besetzung der Stimmen war größtentheils ihr Werk, aber Anna Maria war, wie Schubart sich ausdrückt, „lebendigtodt für den schönen Sang“, obwohl sie im theoretischen Unterrichte noch wichtige Dienste leistete.

Auch in Heilbronn blieb die ehedem gefeierte Künstlerin Gegenstand der Theilnahme Aller, die von ihr hörten. 1780 erlebte sie noch den Tod ihrer Freundin v. Killinger, die in Heilbronn starb und zur Beerdigung nach Eschenau übergeführt wurde. Ihre letzten Tage brachte sie in demselben Eschenau hin, an der Gruft ihrer Freundin weinend und in Erinnerung an die alte Zeit versunken. Sie starb, nur 65 Jahre alt, an einem Gallenfieber am 10. November 1782 (nicht 1783). Am 12. d. M. war ihre feierliche Bestattung. Sie wurde, so erzählt das Todtenbuch der Gemeinde, unter einer ansehnlichen Begleitung zu Grabe gebracht und darauf von dem Pfarrer Ludw. Heinr. Kalb (in Eschenau 1772–99) eine Einsegnungsrede in der Kirche gehalten. Zahlreiche Andenken [790] und Reliquien von ihr sind, dem gleichzuerwähnenden O. Mylius zufolge, bei den Nachkommen ihrer Tochter Rosalie noch vorhanden.

Schubart, Leben u. Gesinnung., von ihm selbst im Kerker aufgesetzt, Stuttg. 1791, I, S. 178. S. 179 Anmerk. – Hänle, württemb. Lustschlösser, Würzb. 1847, I, 175. 180–83. – Vollmer, Briefw. zwischen Schiller u. Cotta, Stuttgart 1876, S. 252 Anm. 4. Dieses sind die gedruckten Quellen über die Pyrker, unbedeutend sind die Erwähnungen bei Korfinsky, geogr. Lexikon von Würtemb. S. 63 (s. v. Eschenau). – Mendel, Musikal. Conv.-Lexikon VIII, 111. – Riemann, Musiklexikon, S. 704. Sonst sind noch benutzt freundschaftliche Mittheilungen vom Männergesangverein in Graz (namens dessen Herrn Secretär Fr. Söllner) und von Herrn Pfarrer Krauß in Eschenau. Die Pyrker ist wegen ihrer Schicksale die Heldin eines zweibändigen Romans geworden: „Die Irre von Eschenau“ von Otfrid Mylius, Stuttg. 1869; der Name O. Mylius ist Pseudonym.