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Artikel „Bibra, Nicolaus von“ von Franz Xaver von Wegele in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 613–614, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nicolaus_von_Bibra&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 13:42 Uhr UTC)
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Bibra: Nicolaus von B. (Bybera), der Zeit Kaiser Rudolfs von Habsburg angehörig. Wie neuestens nicht ohne einigen Grund vermuthet wird, war er zu Geithain im Königreich Sachsen geboren und scheint die frühere Zeit seines Lebens eine ziemlich bewegte gewesen zu sein. Vier Mal ist er in Rom gewesen, in Padua hat er sich, wahrscheinlich den Studien des Kirchenrechts obliegend, kürzere Zeit aufgehalten, dann wurde er Custos an der Kirche zu Bibra (jetzt ein Städtchen d. N. in der preußischen Provinz Sachsen, südlich der Unstrut und von Burgscheidungen, am sogenannten Saubache), lebte aber demungeachtet die meiste Zeit in Erfurt, wo er, wie mit Fug geschlossen wird, vielleicht Stiftsherr an der Marienkirche war und zuletzt sich als Mönch in das St. Peterskloster zurückzog und seine Tage beschloß. Seine Bedeutung liegt in dem Umstande, daß ihm, nach Allem mit Recht, den neuesten Forschungen zufolge die Urheberschaft eines höchst merkwürdigen Gedichtes, des sogenannten „Carmen satiricum occulti auctoris“ zugeschrieben wird, welches zuerst C. Höfler in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie (Bd. XXVIII.) und im J. 1870 Dr. Theobald Fischer in dem I. Bande der Geschichtsquellen der Provinz Sachsen mit kritisch berichtigtem Texte und mit sorgfältigen Erläuterungen herausgegeben hat. Der neueste Herausgeber bezeichnet das Gedicht mit Recht als eine „Quelle des 13. Jahrhunderts“, die zugleich nahezu einzig in ihrer Art ist. In wie wenig [614] günstigem Lichte auch der Verfasser selbst darin erscheint, er führt als Zeitgenosse die Feder, die er freilich gerne in Galle eintunkt, und darf durchschnittlich Glaubwürdigkeit für sich in Anspruch nehmen. Der Hauptwerth des Gedichtes ist in erster Linie ein sittengeschichtlicher in weiterem Sinne, und sind es zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend die Verhältnisse Thüringens, namentlich Erfurts, auf die ein überraschend helles Licht fällt. Das Gedicht ist in (vier) „Distinctionen“ nach der Art von Rechtshandbüchern und juristischen Handschriften eingetheilt. Die erste Distinction ist eine beißende Satire auf M. Heinrich von Kirchberg, den juristischen Beistand der Stadt Erfurt gegen den Erzbischof von Mainz; die zweite ergeht sich mehr in allgemeinen bitteren Klagen über den Lauf der Welt, die Sittenlosigkeit der verschiedenen Berufsstände und die traurigen Zustände im Thüringer Lande. Die dritte Distinction beschäftigt sich mit Vorliebe mit den Verhältnissen und Einrichtungen der Stadt Erfurt, die in einem höchst günstigen Lichte erscheinen und die Nikolaus mit behaglichem breiten Pinsel malt. Dieses Stück ist leicht das werthvollste des Ganzen, weil jene Zeit so ziemlich nichts Aehnliches der Art aufzuweisen hat. Die vierte Distinction bietet an allgemein interessantem Inhalt weniger, der Dichter läßt hier mehr seine Person hervortreten und sucht den Lohn für seine Leistungen nur darin, sich mit seinen Mandanten aus einander zu setzen, denn er schrieb nicht, ohne von dritter Seite dazu veranlaßt zu sein. – Zu vergleichen die lehrreiche Einleitung Th. Fischer’s zu seiner gediegenen Ausgabe des Carmen satiricum.