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Artikel „Mitterer, Franz Xaver“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 418–421, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mitterer,_Franz_Xaver&oldid=- (Version vom 28. November 2024, 07:15 Uhr UTC)
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Mitterer: Franz Xaver M., Vorkämpfer des Deutschthums in Oesterreich, wurde am 28. Juli 1824 zu Laurein auf dem deutschen Nonsberge in Südtirol geboren, wo seine Eltern ein schönes Bauerngut besaßen. Der hochbegabte Knabe erledigte 1838–44 die Gymnasialstudien in Meran, wo damals der bekannte Tiroler clericale Litterat Beda Weber als Professor seine Schüler zu wissenschaftlichem Ernst begeisterte, die zwei sog. philosophischen Curse 1844 bis 1846 in Trient, wo er sich das Italienische mündlich und schriftlich vollkommen aneignete und auf dem bischöflichen Seminar, sich den geistlichen Beruf erwählend, 1846–50 seine theologischen Studien machte. Was er in den stürmischen Zeiten von 1848, da in seinem Vater- und Heimathlande Fortschritt und Rückschritt, Deutschthum und Welschthum heftig miteinander rangen, mit angesehen hat, damals, als man die deutschen Theologen in Trient, wie M., nach eigenen Erfahrungen bei der deutschen Kirche Trients, St. Marcus, mit köstlichem Humor zu erzählen wußte, oft als „Wache ohne Waffe“ verwendete, das mag seine innige Liebe zu seinem Volk und Volksthume, zumal auf dessen vorgeschobenstem Posten, für das ganze Leben bestimmend befestigt haben. Unmittelbar nach der Priesterweihe hielt er im Geburtsorte am 16. Juli 1850 seine Primiz und kam drei Wochen später als Cooperator nach dem benachbarten abgelegenen Bergdorfe Proveis, 1227 Meter über dem Meere, einer der vier allein deutsch gebliebenen Gemeinden am Nordrande des Nonsberggebietes. Hier hat M. dann, seit 1856 provisorischer, seit 1865 definitiver Pfarrcurat, über 49 Jahre als Seelsorger von Proveis, hingebender Berather des ganzen deutschen Nonsberges in allen Fragen geistigen, socialen und leiblichen Wohls, als wahrer Vater überaus segensreich gewirkt. Aufforderungen, eine angenehmere Pfarrei oder im fürstbischöflichen Ordinariate von Trient ein bedeutenderes Amt anzutreten, verfingen bei dem überzeugungstreuen Manne nie, welcher mit Wort und That die gefährdete völkische Zukunft seiner weltfernen heimathlichen „Deutschgegend“ (so der Eingebornen Name für sie) nach Kräften zu schützen bis zum letzten Atemzuge als unverbrüchliche, heiligste Pflicht betrachtet und geübt hat. In seinem halbjahrhundertlangen Wohnsitze Proveis ist M. am 5. November 1899 gestorben.

In der noch während des 15.–17. Jahrhunderts in den Bezirken von Fondo und Cles viel ausgedehnter deutschen, allmählich fast ganz italienisch gewordenen Hochland-Landschaft südwestlich Bozens zwischen dem Ultenthale und der Mendel einer-, der Presanellagruppe andererseits, hat M., von innigstem Nationalbewußtsein und überlegter Hülfsbereitschaft erfüllt, lange vor den Bestrebungen der deutschen „Schutzvereine“ die Fahne des Deutschthums hochgehalten und nicht etwa sich begnügt, durch Rede und Beispiel das nationale Gewissen zu wecken und zu schärfen. Vielmehr ist er in erfolgreichster Praxis immer mehr der eifrigste Hüter deutschen Wesen in den Tiroler Grenzbergen geworden. Ein Auskunftsbrief des wackern Mannes, vom 15. Januar 1892, unterrichtet unmittelbar, ungeschminkt und bescheiden über die Anfänge seines zielklaren Auftretens. Letzteres setzte demzufolge schon mit dem Amtsantritte des 26jährigen Jünglings 1850 ein. Das Deutsche für die Schulen der Gemeinden Proveis, Laurein, Unsere Frau im Wald (Frauenwald), St. Felix gesichert, für den gesammten amtlichen Verkehr der Behörden sowie deren Verfügungen, was der berühmte ausgezeichnete Germanist Ign. Zingerle aufs wärmste nach oben und öffentlich verfocht, durchgedrückt zu haben, das Verdienst leuchtet aus einem Ueberblicke seiner weitausgreifenden Thätigkeit nicht in dem Maaße hervor wie die allsichtbaren Anstalten, welche er ins Leben rief, besitzt aber schon deshalb die einschneidendste Wichtigkeit, weil das deutschnationale Wirken Vorbedingung für das folgerichtige wirthschaftliche sein mußte. Ignaz Zingerle [419] versammelte, auf Mitterer’s Anregungen, in Innsbruck eine Gesellschaft deutschgesinnter Männer, aus der (1867) die dortige Deutsche Schulgese1lschaft hervorging. Anderntheils machte der Frankfurter Psychiater Dr. Aug. Hans Lotz – theils anonym, theils unter dem Pseudonym Dr. Mupperg – seit 1875, besonders durch den Nothschrei „Aus den Bergen an der deutschen Sprachgrenze in Südtirol“ 1880, auf das mustergültige Verhalten Mitterer’s eindringlichst aufmerksam, Dieses Schriftchen fiel dem bekannten E. Pernerstorfer, des Wiener „Deutschen Vereins“ Vertrauensmann für Südtirol, in die Hände und aus dessen bezüglichem Bericht erwuchs nicht allein eine dauerhafte Förderung der Proveiser Volksschule Mitterer’s, sondern auch, angelehnt ans Vorbild des Innsbrucker Unternehmens und Lotz’ Weckruf, der „Deutsche Schulverein“, 13. Mai 1880 zu Wien, danach dessen jüngerer Bruder, der „Allgemeine Deutsche Schulverein“, 14. Juni 1881 zu Berlin entstanden. So wurde M. in doppelter Linie der Pfadweiser, ja, der unbewußte Veranlasser des großartigsten Zusammenschlusses der Volksgenossen in Oesterreich und im Deutschen Reiche, die Bedrängniß deutscher Vorposten an der Sprachgrenze zu lindern, wenn möglich zu beheben. Geradezu maßgeblich für die Aufgaben der beiden Vereine wurde Lotz’ Schilderung, wie die Bemühungen Mitterer’s, Proveis nebst den drei Schwesterortschaften vor der Gefahr, im Italienerthum aufzugeben, bewahrt hatten, indem er für eine ausgebaute deutsche Schule und andere gemeinnützige Schöpfungen, zu denen keine öffentlichen Mittel erlangbar waren, mögliche Bestandswege fand. Den wohlthätigsten Rückschlag davon verspürten Mitterer’s eigene Pläne und Anlagen. Mit Spenden des „Deutschen Schulvereins“, auch der Regierung und aus Deutschland erbaute M. 1880–82 das von der armen Gemeinde durch Holz- und Fronarbeit geförderte neue Schulhaus zu Proveis, während ihm der „Allgemeine Deutsche Schulverein“ seit 1884 eine winterliche Suppenanstalt daran anzugliedern und Christbescheerungen im deutschen Nonsberglande einzuführen ermöglichte. 1850–92 war M. Ortsschulinspector, von 1892 bis zum Tode Vorsitzender des Ortsschulraths. Unermüdlich hob er das Schulwesen, auch regte er dafür Neubauten in den vier deutschen Gemeinden an; um Lehrerbesoldungen u. s. w. daselbst zu verbessern, schuf er mit dem Frauenwalder Pfarrer Ambros Steinegger einen „Schulfonds“. Aus verständigen ökonomischen Erwägungen begründete er in Proveis eine Spitzenklöppelschule und gleich dieser eine bald weithin nachgeahmte Lerngelegenheit in der Korbflechterei, nach deren Vorbild man gewerbliche Fachschulen in den drei Parallelgemeinden, ähnliche Nebenanstalten ja selbst zu Lusern, Cles, Malé u. A. einrichtete, und damit der wenig mit Glücksgütern gesegneten Bevölkerung eine entwicklungsfähige sichernde Hausindustrie.

Wie es M. zu verdanken, daß es bessere deutsche Landschulen als dort in Tirol nicht gibt, so ging er auch in der Kirche vorbildlich vor, indem er deutsche Katechese und Predigt auf dem Nonsberg neu einführte, während bis auf seine Zeit in dessen deutschen Dörfern meist italienischer Clerus gesessen hatte. Dieser Vater der selbstverständlichen deutschen Kirchensprache seines Heimathsbezirks „war ein vorzüglicher Lehrer: die Kinder hingen an seinem Munde! Seine Predigten besaßen in ihrer schlichten Einfachheit und Klarheit eine unwiderstehliche Kraft. Er predigte gerne und oft. Am 26. October (eine Woche vor dem Tode) hielt er zum letzten Male Predigt, Amt und Christenlehre“. Sein feucht-baufälliges Kirchlein, das er später, langgehegter Absicht gemäß, zum Gemeinde- und Schulgebäude umgestaltete, durch einen prächtigen gothischen Ersatz abzulösen, bereiste er 1869–74 die deutschen Alpenländer Oesterreichs und Baierns und 1876 konnte der mit den gesammelten 30 000 Gulden ausgeführte Neubau aufgeführt werden, als eines der schönsten Gotteshäuser, ja [420] eine Zierde des Nonsbergs, wobei der alte Kirchthurm, angeblich ein Wartthurm altgothischen Ursprungs, Verwendung fand. Als wahrer Hirt seiner Pfarrkinder erfüllte er Priesterpflichten aber auch außer der Kirche im öffentlichen Alltagsleben. 35 Jahre hindurch Gemeinderath, verfaßte er, ohne dessen Rathschlag nichts in der Gemeinde geschah, wichtige Schriftstücke selbst auch unzählige Eingaben für viele Private der ganzen Gegend und schlichtete oft Streitigkeiten. Den wirthschaftlichen Verhältnissen ließ er rastlose Hülfe angedeihen. Nicht nur zur Zeit der Grundablösung und der Blüthe des Holzhandels seinem Proveis; sondern er regte für die vier deutschen Gemeinden Raiffeisencasse, Consumverein, eine landwirthschaftliche Bezirksgenossenschaft an, welche gemeinsam die entwaldeten Berge aufforsten, Gemeindemolkereien anlegen sollte u. dergl. Auch hier hing der nationale Gesichtspunkt bei ihm aufs engste mit dem ökonomischen zusammen: M. erreichte ein eigenes Gesetz, welches die vier Gemeinden in landwirthschaftlicher Hinsicht von Welsch- an Deutschtirol überschrieb, so wie er den, seitens Luserns und des Fersenthals nachgeahmten Einspruch seiner „Deutschgegend“ wider die Einverleibung in das italienischerseits beabsichtigte „Trentino“ veranlaßte. Volksbücherei und Schießstand bescheerte er seinen lieben Gemeindeleuten, Sägmühlen und Kalköfen, im Widum Krämerei, Tabaktrafik, Weinstüberl eingerichtet. Durch regelrechten Anschluß des durchgesetzten eigenen Postamts den Verkehr zu erschließen, die bisherigen Fußwege und steil-steinigen Saumpfade nach dem nordwärts benachbarten deutschen Ultenthale sowie nach dem Bezirkshauptort Cles zu verbessern und zu markiren, die passendste Straßenverbindung nach Meran hin, die nun, nicht nach seinem Wunsche, über den Gampenpaß nach Frauenwald geht, genehmigen zu lassen, all das bemühte er sich redlich bis in seine siebziger Jahre. Den deutschen Touristenstrom nach der Romantik des weltverlorenen Thales abseits der Heerstraße hinzulenken bestrebte sich M. seit Anfang, stand bei der Section Nonsberg des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins, dem er auf die Dauer ein hochverdienstlicher Helfer ward, mit dem Sitze in Proveis Pathe und blieb viele Jahre ihr Obmann, zahllosen deutschen Alpenwanderern freundlicher Wirth und Beirath. Als die deutschen „Schulvereine“ ins Leben traten, hat sich natürlich M. lebhaft daran betheiligt, an dem hartumbrandeten Fels des Deutschthums, wohin ihn die Vorsehung gestellt, die theure Muttersprache in Laut und Art zu schützen. Es hieß öfters, wenn auch zu Unrecht, der vortreff1iche deutsche volksthümliche Priester habe es der Entschlossenheit, der anstürmenden romanischen Irredenta die Stirne zu bieten, zuzuschreiben, daß er simpler Curat von Proveis blieb. Jedenfalls haben sein Muster und Einfluß eine ganze Anzahl deutschgesinnter Amtsbrüder Südtirols zu mannhafter Abwehr italienischer Sprachanmaßungen aufgerufen und „sprechendes Zeugniß dafür abgelegt, daß ein tüchtiger katholischer Priester sich auch als guter Deutscher bethätigen dürfe. Leider sind die Mitterers in der katholischen deutschen Geistlichkeit Oesterreichs selten!“ So heißt’s im ehrenden Nachrufe, den ihm 3. Juni 1900 Obmann Dr. Moriz Weitlof (†) auf der Hauptversammlung des „Deutschen Schulvereins“ zu Graz, der ersten nach Mitterer’s Tode, widmete.

Franz Xaver Mitterer’s unvergängliche Thaten, durch unermüdliches Eintreten für deutsche Sprache und Sitte und die Reihe gemeinnütziger Anstalten seinen und den 3 Nachbargemeinden am meisten ihr Volksthum gerettet, anderwärts zum Nacheifern angestachelt und, soweit die deutsche Zunge klingt, ein strahlendes Vorbild geliefert zu haben, sind durch den Franz Josefs-Orden, das goldene Verdienstkreuz mit der Krone, den Titel eines Directors der k. k. Fachschulen für Spitzenklöppeln und Korbflechten in Südtirol u. s. w. staatlicherseits [421] geehrt worden. Der Ruhm seines selbstlosen Thuns und Treibens lebt in den Kreisen der beiden Schulvereine und des Alpenvereins fort und des letzteren Section Bozen hat sofort nach dem Hinscheiden ergebnißreich verlaufene Sammlungen für ein Mitterer-Denkmal und eine Mitterer-Stiftung, beide in Proveis aufzustellen, angeregt. Und das mit vollstem Recht! Denn durch M. ist das Deutschthum in der „Exclave“ des Nonsberg-Nordrandes vorbildlich ein für alle Mal fest auf eigene Füße gestellt worden. Echtes Priestergemüth aber hat er damit bewiesen, daß er, obwol er natürlich die wiederholte Zumuthung, italienisch zu predigen und eine italienische Schule zu errichten, schroff abgelehnt hatte, doch freundnachbarliches Einvernehmen mit den welschen Angrenzern den deutschen Nonsbergern gewahrt hat.

Hauptquelle: Stadtschulrath Dr. Wilh. Rohmeder’s (München) authentisches Charakterbild i. d. Januar-Nr. der Mittheilungen des Allg. Dtsch. Schlvrns. „Das Deutschthum im Ausl.“ v. 1900, S. 1 f.; vgl. ebd. April-Nr. 1900, S. 25 f., den obenerwähnten Brief Mitterer’s von 1892, und April-Nr. 1906, S. 43 f., Groos’ Daten über jene Gründungsvorgänge von 1880, sodann Rohmeder’s Buch: Das deutsche Volksthum und die deutsche Schule in Südtirol (1898), besonders S. 98–100. Vgl. ferner Dr. Mupperg (= Lotz; Steub meinte Med.-Rath Aug. Hedinger, Stuttgart), Für Tirol und dessen Freunde, in: Museum, Beiblatt zur Neuen Frankfurter Presse, 1875, Nr. 8–12, 14, 16. – Ders. (anonym), Aus den Bergen an der deutschen Sprachgrenze in Südtirol. Eine Bitte an alle Alpenfreunde von mehreren Alpinisten (1880), S. 23–36 (vgl. dazu V. Blüthgen’s Artikel über den Schulverein, i. d. Gartenlaube 1906, Nr. 1, S. 10). – Fr. Nibler, Deutsche Bilder aus welschen Bergen (1888) S. 44. - Karl Neumann, Zehn Jahre deutscher Arbeit. Gedenkschrift des Deutschen Schulvereins (1890), S. 7, u. A. v. Wotawa, Der deutsche Schulverein von 1880–1905 (1905), S. 8 u. 22. – Nekrolog (mit Bildniß) vom kundigen J. C. P(latter) i. d. Gartenlaube, Beilg. zu Nr. 49 von 1899. Lebens- und Charakterskizze von L. Fränkel in Biograph. Jhrbch. u. Dtsch. Nekrolog IV, 267 f. – Die Stelle aus M. Weitlof’s Grazer Rede i. d. Berichten aller größeren österreich. und süddeutschen Zeitungen von Anfang Juni 1900 (oben nach Augsb. Abendztg. Nr. 153, S. 2). – Bozener Sectionsbericht über die Mitterer-Sammlungen, Münch. N. Nachr. 1900, Nr. 601, S. 5. – K. R. Kreuschner i. Wochenschrift Daheim, 41. Jahrg., Nr. 33, S. 17. – L. Steub, Drei Sommer in Tirol4 II, 439, 305, 443/6. – Woerl’s Tirol, Neubearbeitung 1906, S. 246, 266 f., 16.