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Artikel „Merkel, Adolf“ von Fritz van Calker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 327–329, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Merkel,_Adolf&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 20:50 Uhr UTC)
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Merkel: Adolf Joseph Matheus M., Criminalist und Rechtsphilosoph, Sohn des in Darmstadt 1866 verstorbenen Oberappellationsgerichtsrathes Johann Baptist M., ist geboren am 11. Januar 1836 zu Mainz; er studirte die Rechtswissenschaft an den Universitäten Gießen, Göttingen und Berlin, promovirte in Gießen am 12. Februar 1858 und habilitirte sich an der gleichen Universität am 22. Februar 1862. Am gleichen Tage des Jahres 1868 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt und am 11. Juli desselben Jahres als ordentlicher Professor nach Prag, von dort am 7. Juli 1872 nach Wien und von dort am 14. Februar 1874 nach Straßburg berufen. Der Kaiser Wilhelms-Universität blieb er trotz mehrfach an ihn gerichteter Berufungen bis zu seinem Lebensende treu; er starb in Straßburg nach längerem Leiden am 30. März 1896.

M. lehrte in Straßburg die Fächer der Rechtsphilosophie, des Strafrechts und der Politik, und auch seine wissenschaftlichen Arbeiten erstrecken sich über diese drei Gebiete. Von seinen Werken sind insbesondere folgende zu nennen: „Zur Lehre vom fortgesetzten Verbrechen“ (1862), „Criminalistische Abhandlungen“ (1867) (Bd. 1: Zur Lehre von den Grundeintheilungen des Unrechts und seiner Rechtsfolgen; Von den Unterlassungsverbrechen; Ueber vergeltende Gerechtigkeit. Bd. 2: Die Lehre vom strafbaren Betrug). Zahlreiche Beiträge in v. Holtzendorff’s Handbuch des deutschen Strafrechts (1871–74). „Ueber [328] das Verhältniß der Rechtsphilosophie zur positiven Rechtswissenschaft und zum allgemeinen Theil derselben“ (1874); „Ueber den Begriff der Entwicklung in seiner Anwendung auf Recht und Gesellschaft“ (1876); „Ueber das gemeine deutsche Strafrecht von Hälschner und den Idealismus in der Strafrechtswissenschaft“ (1881); „Juristische Encyklopädie“ (1885); „Ueber den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Strafrechts und der Gesammtentwicklung der öffentlichen Zustände und des geistigen Lebens der Völker“ (Rectoratsrede 1889); „Lehrbuch des deutschen Strafrechts“ (1889); „Elemente der allgemeinen Rechtslehre“ (1890); „Vergeltungsidee und Zweckgedanke im Strafrecht. Zur Beleuchtung der neuen Horizonte in der Strafrechtswissenschaft“ (1892); „Reformbestrebungen auf strafrechtlichem Gebiet“ (1894); „Referat über die Reform der Geldstrafe auf dem 23. deutschen Juristentag“ (1895); „Rechtliche Verantwortlichkeit“ (1895); „Fragmente zur Socialwissenschaft. Herausgegeben aus dem Nachlaß“ (1898). Alle kleineren Schriften sind in den „Ges. Abhandlungen aus dem Gebiete der allgemeinen Rechtslehre und des Strafrechts“ von A. Merkel. Zwei Bände 1899 abgedruckt. Am Schluß des zweiten Bandes befindet sich eine Uebersicht über die litterarische Thätigkeit Merkel’s.

M. wurde im J. 1893 von der Berliner Akademie der Wissenschaft an Stelle Ihering’s zum correspondirenden Mitgliede gewählt, und es wurde ihm diese Ehre zu Theil als dem „Begründer einer positiven Rechtsphilosophie“. In diesen Worten ist die Bedeutung Merkel’s zutreffend gekennzeichnet. M. erblickt die Aufgabe der Rechtsphilosophie in der Zusammenfassung der einzelnen Zweige der Rechtswissenschaft zu einer Einheit durch die Erforschung und logische Bearbeitung des den verschiedenen Theilen des Rechts Gemeinsamen und durch die Klarlegung der allgemeinen Gesetze der Entwicklung des Rechts. Diese Auffassung ist für die Richtung und Art seiner Arbeit auf dem Gebiete der Rechtsphilosophie wie auch auf dem des Strafrechts maßgebend gewesen. Vor allem ist es der Begriff der Entwicklung, dem M. in seinen Untersuchungen nachgeht und dessen Bedeutung für die Erkenntniß der Grundfragen des Rechts er nachzuweisen bemüht ist. Sein Streben ist in dieser Absicht überall auf eine Orientirung über die wirkliche Welt und die in ihr wirksamen Kräfte gerichtet, er forscht nach der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhange ihrer Aeußerungen und er sucht bei der Erforschung aller Einzelfragen stets die Harmonie mit dem Ganzen klarzulegen und festzuhalten. Auf dem Gebiete des Strafrechts sind Merkel’s Arbeiten insbesondere für die Entwicklung der Schuldlehre von Bedeutung geworden. Er definirt die Schuld als das pflichtwidrige Wirken oder Nichtwirken einer Person, das ihr als solches den geltenden Werthurtheilen gemäß in Anrechnung gebracht wird. M. vertritt die Auffassung, daß das Causalgesetz auch im Bereiche des menschlichen Handelns Geltung habe, daß Handlungen und Charaktere nicht in einem zufälligen Verhältniß zu einander stehen, daß vielmehr diese in jenem sich aussprechen und daß umgekehrt die Handlungen in den Charakteren ihre causale Erklärung finden. Auf dieser Thatsache ist für M. die rechtliche Verantwortlichkeit gegründet. Die Strafe betrachtet er als die bewußt gestaltete und geregelte Gegenwirkung gegen die im Verbrechen wirksamen antisocialen Kräfte – seine Stellung zu den Problemen der Strafrechtsreform wird durch diese Grundauffassung bedingt. M. hat seine Anschauungen in dieser Richtung insbesondere in der Abhandlung über Vergeltungsidee und Zweckgedanke im Strafrecht (in der Festgabe für Ihering) entwickelt und er hat hier den Nachweis geliefert, daß der Vergeltungsgedanke Zweckbeziehungen nicht aus-, sondern einschließt. Damit hat er den Gedanken klar formulirt, der die Anhänger der [329] verschiedenen strafrechtlichen Schulen heute zu gemeinsamer Arbeit auf dem Gebiete der Strafrechtsreform vereinigen kann. Was M. auf dem Gebiete des Strafrechts gedacht und erarbeitet, nützen wir heute, seine Gedanken werden nicht vergessen, sondern sie bilden in Vielem die Grundlage für die weitere Entwicklung unserer Wissenschaft.

Zeitschrift für die ges. Strafrechtswissenschaft XVII, 638 ff. (die Bedeutung Merkel’s für Strafrecht und Rechtsphilosophie von M. Liepmann); Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, 9. Jahrg., S. 58 (Nekrolog von A. Teichmann); Tidsskrift for Retsvidenskab 1896, S. 342 f. (Nekrolog von F. Hagerup).