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Artikel „Martini, Ferdinand“ von Paul Beck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 507–508, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Martini,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 17:39 Uhr UTC)
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Martini: Ferdinand Candidus M., hervorragender Arzt, geb. am 8. Febr. 1798 zu Biberach (Stadt) in Oberschwaben, von einer im 17. Jahrhundert aus Oberitalien eingewanderten Familie stammend, † am 28. Juli 1868 in Saulgau, wurde schon in seiner Jugend in den Anfangsgründen der Heilwissenschaft, namentlich in der Wundarzneikunde, durch seinen Vater unterwiesen, studirte und promovirte zu Tübingen. Nach rühmlichst bestandenen Staatsprüfungen erhielt er die Approbation zur Ausübung des ärztlichen Berufes, bildete sich aber noch 1½ Jahre in den Kliniken und Hospitälern von Wien praktisch aus, woneben ihm ein Landsmann, der dortige angesehene Arzt Dr. Isverding, seine Armenpraxis übertrug. Trotz mancher Versuche, ihn in Wien zurückzuhalten, ließ er sich, was er später oft bedauerte, nicht zum Bleiben bewegen, sondern kehrte in die Heimath zurück. Zuerst im Jahre 1821 Amtsphysikus zu Isny im Allgäu, wurde er 1825 im Alter von 27 Jahren Oberamtsarzt von Saulgau, woselbst er sich mit der Zeit den Ruf eines tüchtigen, bis weit in die Nachbarlande bekannten Arztes erwarb. Seine Studien setzte er, stets auf seine Fortbildung bedacht, hier in der gründlichsten Weise fort, soweit ihm dies bei seiner ausgedehnten Praxis im Gesammtgebiete der Heilkunde, bei der Abgelegenheit seines Aufenthaltsortes von den Centren der Wissenschaft und bei dem Mangel an wissenschaftlicher Anregung überhaupt möglich war; als Specialität betrieb er Augenheilkunde, für welche er auch eine kleine Klinik unterhielt. Daneben war er, der sich schon früher eine umfassende allgemeine Bildung zu eigen gemacht, in nicht unbedeutendem Grade schriftstellerisch thätig und viele angesehene Fachzeitschriften jener Zeit weisen eine Reihe gediegener Abhandlungen von seiner Hand auf; und noch in seinem Nachlasse fanden sich einige größere druckfertige [508] Arbeiten vor, unter welchen namentlich eine über „Die normalen Absonderungsflüssigkeiten der Schleimhautorgane als die bisher unbekannten Ursachen der meisten und tödtlichsten innerlichen Krankheiten und der meisten Epidemieen, zugleich Grundzüge eines natürlichen Systemes der Entzündungen und Fieber“ hervorzuheben wäre; sein größtes Werk handelt „Von dem Einflusse der Secretionsflüssigkeiten auf den menschlichen Körper im Allgemeinen und von dem Einflusse insbesondere der Thränen auf das menschliche Auge, ein Beitrag zur Kenntniß der animalischen Gifte“ (2 Theile, Constanz in der Verlagsbuchhandlung zu Bellevue 1843 und 1844), ohne daß er mit den darin ausgesprochenen neuen Ideen durchzudringen vermocht hätte; nur einzelne, wie z. B. der fanatische Impfgegner Dr. Nittinger zu Stuttgart, welcher ihm in einem seiner Werke einen eigenen Paragraphen mit der Ueberschrift: „Dr. Ferd. Martini – die Medicin der Zukunft“ widmete, erkannten die Richtigkeit seiner Grundsätze an. Eine der französischen Akademie der Wissenschaften zu Paris im J. 1843 vorgelegte Arbeit „De l’influence générale des sécrétions sur l’économie animale etc.“, in welcher er von dem Fundamentalsatze ausging, wie die Säfte beim Verlassen der ihnen von der Natur angewiesenen Sphäre zerstörend auf ihre Umgebung wirken, und dies im Einzelnen vom Magen-, Lungen- und Thränensaft, vom Speichel, Urin, der Galle etc. näher ausführte, trug ihm zwar nicht den erhofften Preis, dagegen wenigstens eine ehrenvolle Erwähnung ein; zu dem Besten, was seiner Feder entfloß, gehört seine treffliche Schrift „Ueber das Wesen der Cholera“ (Augsburg 1850), mit welcher er in die Fußstapfen seines berühmteren, leider viel zu früh im J. 1835 zu Paris verstorbenen Bruders Dr. Eberhard M. (s. o. S. 503) trat und sich vortheilhaft in weiten Kreisen bekannt machte. Trotz alledem wollte es ihm, dem andere Einflüsse nicht zur Verfügung standen, der vielmehr allein auf sich selbst angewiesen war, nicht gelingen, aus seiner Abgeschlossenheit heraus- und emporzukommen, so gut er jeder Facultät und jedem Collegium angestanden wäre. Dabei mag außer seinem negativ-kritischen Standpunkt in der Heilwissenschaft, seinem abgeneigten Verhalten gegen die neuere physiologische Pathologie und außer der „alten Schule“, mit der man ihn zuweilen gerne abzuthun beliebte, auch noch einiges Andere mitgewirkt haben. M. war eine freimüthige Natur und machte aus seiner Ueberzeugung, mit welcher er z. B. auch in der Frage des Impfzwangs nicht hinter dem Berge hielt, niemals ein Hehl. Dem hatte er, der alle öffentlichen Angelegenheiten mit Aufmerksamkeit verfolgte und der in politischer Richtung die großdeutschen Anschauungen vertrat, auch seine Wahl zum Landtagsabgeordneten des Oberamtsbezirkes Leutkirch im J. 1845 zu verdanken, welche er indeß mit Rücksicht auf seinen Beruf nicht annahm. Noch erwähnen wir, daß er im Vereine mit seinen zu Augsburg ansässigen Brüdern Clemens, Karl (Maler), Friedrich und Ludwig M. sich durch eine reiche Familienstiftung, die sogen. Martinistiftung in Biberach zu Gunsten von Studirenden verewigt hat.