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Artikel „Markomer, Frankenkönig“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 391–392, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Markomer&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:13 Uhr UTC)
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Markomer, Frankenkönig. Gegenüber der widergeschichtlichen Lehre, welche germanisches Königthum erst spät durch Abschluß von „Dienstverträgen mit dem Imperator“ (und dann gleich über ganze Völker auf einmal) entstehen lassen will, ist es von Werth, die Beläge hervorzuheben, welche zeigen, daß das Königthum, allerdings ursprünglich auf den Gau beschränkt, bei denjenigen Völkerschaften, welche später die Völker, Stämme, Völkerschaftsgruppen der Franken, Alamannen etc. bildeten, schon in den ältesten Zeiten vorkam und sich allmälig aus bloßem Gaukönigthum zu einem Königthum über eine ganze Völkerschaft, endlich über den gesammten Stamm erweiterte. Bei den Völkerschaften, welche später die Franken ausmachen, finden sich zum Theil Könige schon in der ältesten Zeit (der Sugamber Maelo (s. d. Art.), auch der Bataver Civilis stammte aus einer regia stirps). Zu Ende des 4. Jahrhunderts nun werden drei fränkische Gau-Könige (vielleicht auch schon Völkerschafts-Könige), Gennobaud, Markomer und Sunno neben einander herrschend bezeugt: die Bezeichnungen „reges“, „regales“, „subreguli“ wechseln dabei. Sie gehörten der Mittelgruppe der Uferfranken (nicht der salischen) an, durchbrachen im Jahre 388 den römischen limes, der während des Kampfes zwischen den Kaisern Theodosius[WS 1] und Maximus[WS 2] von Truppen entblößt war, drangen über den (mittleren und) Niederrhein nach Gallien und bedrohten sogar das Hauptbollwerk römischer Grenzwehr, Köln. Zwar gingen sie über den Strom zurück, da die Feldherren Nannienus (oder Nannenus) und Quintinus von Trier her zum Entsatz anrückten, aber ihre sehr reiche Beute führten sie mit: nur eine ihrer Streifscharen, welche sich noch weiter in das römische Gebiet hineingewagt, ward im „Kohlenwalde“ (silva carbonaria, über die Lage siehe Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker I, Berlin 1881, S. 394) von den beiden Feldherren geschlagen. Als nun aber Quintinus gegen des Nannienus Warnung den Rhein bei Novaesium (oder Nivisium) überschritt und in die Waldberge (des „caesischen Waldes“? Tacitus Annal. I, 50) eindrang, erlitt er eine furchtbare Niederlage: – fast an die Varusschlacht erinnern die römischen Ausdrücke: „in Verwirrung lösten sich die Glieder und niedergehauen sanken die Legionen“. Im folgenden Jahre hielt Kaiser Valentinian,[WS 3] statt nach dem Rathe seines übermächtigen Ministers des (Franken) Arbogast, von den Franken unter Kriegsdrohung Herausgabe ihres Raubes und Auslieferung der Anstifter jenes Friedensbruches (wahrscheinlich eben Markomer’s und Sunno’s [s. unten]) [392] zu fordern, mit eben diesen beiden Königen (Gennobaud wird nicht weiter genannt) ein Gespräch, in Folge dessen er sich mit der üblichen Geiselstellung begnügte. Nachdem aber Arbogast Valentinian ermordet (15. Mai 392) und durch den völlig von ihm abhängigen Eugenius ersetzt hatte,[WS 4] unternahm er im folgenden Winter bei starrster Eiseskälte einen Feldzug über den Rhein, den er bei Köln überschritt, in das Land seiner Stammesgenossen: er kannte die stärkste Schutzwehr seiner Heimath, die den Römern schon oft so verderblich erwiesenen Sümpfe; auch wußte er, daß das Volk im Winter viel schwerer in die Wälder flüchten und wochenlang hier sein Leben fristen konnte als im Sommer, der Jahreszeit, welche die Römer sonst für ihre Germanenkriege gewählt hatten: jetzt wurden die gefrorenen Moräste wegbar und alle Schlupfwinkel „Franciens“ leichter durchdringbar. Mag alter Haß gegen die beiden Gaukönige M. und Sunno, wie berichtet wird, in Folge stammthümlicher innerer Verfeindung (gentilibus odiis) mitgewirkt haben, – Arbogast hatte alle Ursache, vor dem Aufbruch zu dem wohl als unvermeidlich erkannten Entscheidungskampf mit Theodosius, der in der That nach Jahr und Tag ausbrach, den Rhein zu sichern durch Abschreckung der Barbaren, vielleicht auch das Foedus mit ihnen und die Stellung von Truppen zu erzwingen. Er verheerte das Land der Brukterer, das dem Strome zunächst lag – diese durchaus nicht (wie etwa Claudiaus Nennung von Völkernamen)[WS 5] rhetorische oder poetische Angabe lehrt, daß die Brukterer keineswegs, wie die Römer gewähnt hatten, schon vor drei Jahrhunderten vernichtet waren – auch einen Gau der Chamaven: kein Mensch ließ sich irgendwo blicken: nur auf den Kämmen der entlegenen Waldhügel zeigten sich wenige Krieger der Amsivaren und der Chatten unter Führung des M.: ohne weiteren Erfolg als das Verbrennen der verlassenen Gehöfte kehrte man um. Im folgenden Jahr erneuerte Eugenius das alte Foedus mit alamannischen und fränkischen Königen. Der Bericht zeigt, daß die Chatten, wenn noch nicht geradezu ein Bestandtheil der Franken wie Amsivaren und Chamaven – sie bildeten stets neben Saliern und Ripuariern eine dritte, sehr selbständige Mittelgruppe – doch deren Waffenverbündete waren. Gregor von Tours knüpft an den Sprachgebrauch (regales, subreguli, duces) des von ihm angeführten Sulpicius Alexander[WS 6] allerlei Folgerungen über das damalige Königthum bei den Franken, welche jedoch nicht zutreffen. Das Richtige ist, daß es damals noch keinen König aller Chatten oder aller Salier oder aller Ripuarier, geschweige gar aller Franken gab, daß auch nicht Kleinkönige (subreguli) einem Großkönig staatsrechtlich untergeordnet waren: sondern ganz wie bei den Alamannen (s. oben Makrian) bildeten die einzelnen Völkerschaften und Gaue der Frankengruppe einen lockeren, nur völkerrechtlichen vertragsmäßigen Verband, vorzüglich zu gemeinsamer Kriegführung, während dessen freilich ein oder zwei duces, Herzöge, als Oberfeldherrn erwählt wurden, welchen dann die anderen Könige für die Dauer des Krieges untergeordnet waren: im Uebrigen aber unterscheiden sich die reges von den reguli, regales nur thatsächlich durch den größeren Umfang oder die Zahl der Gaue, an deren Spitze sie standen: Völkerschaftskönige neben Gaukönigen mochten bereits vorkommen. M. wird später nicht mehr genannt.

Gregor von Tours ed. G. Arndt und Krusch, Monum. Germ. histor. Berol. 1884. v. Wietersheim-Dahn II, Leipzig 1881. S. 73. Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker II, Berlin 1881. S. 399. Dahn, Deutsche Geschichte, Gotha I, 1, S. 601, 2, S. 16 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kaiser Theodosius I. eigentlich Flavius Theodosius, auch bekannt als Theodosius der Große (lateinisch Theodosius Magnus); (347–395); von 379 bis 394 Kaiser im Osten des Römischen Reiches und ab September 394 de facto für einige Monate letzter Alleinherrscher des Gesamtreiches
  2. Flavius Magnus Maximus (um 335–388); von 383 bis zu seinem Tod als Usurpator Kaiser im Westen des römischen Reiches
  3. Valentinian II. eigentlich Flavius Valentinianus, (375 bis 392); von 375 bis zu seinem Tod römischer Kaiser im Westen, bis zu dessen Tod als Mitkaiser seines Halbbruders Gratian
  4. Flavius Eugenius († 6. September 394); beanspruchte für sich als Usurpator von 392 bis 394 den Titel eines römischen Kaisers
  5. Claudius Claudianus, deutsch Claudian, (um 370 (?)–nach 404); ein namhafter lateinischer Dichter der Spätantike
  6. Über die Person des Historikers Sulpicius Alexander (lebte wahrscheinlich im späten 4. / frühen 5. Jahrhundert) ist kaum etwas bekannt. Ein Exzerpt seines Geschichtswerks ist nur in den „Zehn Bücher Geschichte“ des Gregor von Tours erhalten („Decem libri historiarum“ 2, 9)