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Artikel „Leseberg, Joachim“ von Johannes Bolte in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 671–672, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Leseberg,_Joachim&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 17:13 Uhr UTC)
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Leseberg: Joachim L., braunschweigischer Dramatiker des angehenden 17. Jahrhunderts. Als Sohn des Predigers Ludolf Leseberg und seiner Frau Elisa geb. Henning am 15. Juni 1569 zu Wunstorf bei Hannover geboren; ward er 1583 von seinem Stiefvater Th. Richmann (patris defuncti in choro et toro successor) auf die Schule nach Hannover gebracht. Neunzehnjährig vertauschte er diese Bildungsanstalt mit dem unter Frischlin’s Leitung aufblühenden Martineum zu Braunschweig, sich zugleich als Hauslehrer bei der Wittwe des Kämmerers Joh. Pauli seinen Lebensunterhalt verdienend. Von 1590–1593 studirte er in Helmstedt und ward, nachdem er unter Meibom den Magistergrad errungen, zum Pastor in Adestedt (Adenstedt) ordinirt. 1597 ward er nach dem Tode seines Stiefvaters zum Stiftsprediger in der Heimath Wunstorf gewählt, rückte dort 1621 in das Amt des Generalsuperintendenten auf und feierte 1631 seinen Eintritt in das große Stufenjahr. Wann er starb, ist nicht überliefert; die Acten des Hannöverschen Staatarchivs erzählen nur von seinen Streitigkeiten mit Amtsbrüdern und von der 1625 durch Tilly’s Soldaten erfolgten Zerstörung seines Hauses. Aus seiner 1594 mit Elisa Ludovici zu Gandersheim geschlossenen Ehe gingen ein Sohn († 1607) und zwei Töchter hervor.

Zu dramatischer Bethätigung empfing L. schon in Braunschweig durch seinen bewunderten Lehrer Frischlin Anregung, der, wie L. in seiner Selbstbiographie berichtet, die Personen der Aeneis durch seine Schüler in Prosa und Versen agiren ließ. Daß auch sein theaterliebender Landesherr, Herzog Heinrich Julius, ihm für sein biblisches Schauspiel „Susanna“ (Lemgo 1609) durch die gleichnamige Komödie vom Jahre 1593 Vorbild ward, läßt sich nur vermuthen, da Leseberg’s Stück heut verschollen ist. In Hannover brachte er am 13. Februar 1613 eine nicht näher bekannte Komödie zur Aufführung. Erhalten ist nur sein „Jesus duodecennis“ (Helmstedt 1610). Hier hat L., um der Wunstorfer Jugend zur „Fraßnacht“ einen Exempel- und Zuchtspiegel vorzuhalten, die Reise des zwölfjährigen Jesus mit einer bunten Reihe von Contrastscenen durchflochten, die an den alttestamentlichen Beispielen des Hophni und Pinehas, des Sichem, des Achan die schlimmen Folgen der Gottlosigkeit, Hurerei und Dieberei vorführen und aus den Prodigusdramen Trink- und Buhlscenen entlehnen. Unbekümmert um die Verknüpfung der Handlungen und selbst um die gemeine Wahrscheinlichkeit flickt er diese verschiedenartigen Elemente zusammen; aus dem diebischen Achan des Buches Josua wird ein ungerathener Sohn, der, vom Hohenpriester auf die Klage der verzweifelten Eltern zur Steinigung verurtheilt, der Mutter zum Abschied ein Ohr abbeißt, und dessen Leichnam die mit prasselndem Feuerwerk erscheinenden Teufel (ad Satanem accurrentem cum cisio pulverem ex igne accensum proiiciente) zur Hölle schleppen. Aus dem Motivschatze der niederdeutschen Posse stammen die komischen Dialektscenen des Bauern Claus Flegel, der seinen 24jährigen Sohn zum Rabbi in die Schule bringen will und eine Katze statt eines Hasen überreicht, und des öfter ernsthaft moralisirenden Narren Dicax. Seine theologische Gelehrsamkeit läßt L. in der Schilderung des jüdischen Cultus und in den Disputationen der Rabbinen leuchten, bei denen der Jesusknabe sie auch über das tägliche hebräische Gebet wider alle Gojim zur Rede stellt. Das Passahfest wird von den Priestern mit einer hebräischen Fuge eröffnet, nach der Predigt und dem Opfer singt das Volk vierstimmig einen Choral des Magdeburger Gesangbuches: „Was Lobes solln wir dir, o Vater, singen“ (Wackernagel 3, 906 Nr. 1067). Ebenso lassen die Schlemmer im Wirthshause [672] einen vierstimmigen Cantus auf den Pfaffen Fritz los, und der Narr liefert eine drollige Beschreibung der Musiknoten. Leseberg’s Verse zeigen eine strenge Achtsilbigkeit ohne weibliche Reime. Das Ganze ist ein unförmliches Sammelsurium ohne rechte Einheit und Vertiefung.

Lateinische Selbstbiographie in Εὐχὴ γενεϑλιαϰή M. Joachimi Lesebergii annum aetatis suae LXIII feliciter ingredientis (Rinteln 1631, 4°) S. 16–40. – Acten des kgl. Staatsarchivs in Hannover. – Goedeke, Grundriß² 2, 397 und Zeitschr. d. histor. Vereins f. Niedersachsen 1852, S. 392. – Jugler, Aus Hannovers Vorzeit, 1876, S. 160. 269. – Spengler, Der verlorene Sohn, 1888, S. 148 und Iglauer Programm 1886, S. 10. – Zur Geschichte einzelner Motive vgl. Wickram’s Werke 5, 37. 6, 248 und Bolte-Seelmann, Niederdeutsche Schauspiele S. *35, *42. – Die Chorlieder sind in R. v. Liliencron’s Verzeichniß (Vierteljahrsschrift f. Musikwissenschaft 6, 309) nachzutragen.