ADB:Lehndorff, Ahasverus Graf von

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Artikel „Lehndorff, Ahasverus Graf von“ von Wilhelm Hosäus in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 149–151, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lehndorff,_Ahasverus_Graf_von&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 09:39 Uhr UTC)
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Lehndorff: Ahasverus v. L., Staatsmann und Soldat, dem bekannten preußischen Adelsgeschlechte angehörig, wurde am 9. Februar 1637 zu Steinort im Natangischen, dem alten Stammsitze der Familie, geboren. Sein Vater war Meinhard v. L., kurfürstlich brandenburgischer Landrath und Hauptmann zu Rastenburg, seine Mutter Elisabeth Freiin zu Eulenburg aus dem Hause Prassen. Die Familie besaß einen ziemlich ausgedehnten Grundbesitz; bei den damaligen, fast ununterbrochenen Kriegsläuften war aber das Land so ausgesogen, daß ihre Verhältnisse wenn auch nicht dürftig, so doch keineswegs glänzend erscheinen. L. [150] hatte fünf Brüder und sechs Schwestern. Da sein Vater frühzeitig starb, nahm sich ein Oheim mütterlicherseits seiner Erziehung an. Den Grund seiner späteren umfangreichen Bildung legten die Jesuitenanstalten zu Braunsberg und Posen. Achtzehnjährig verließ L. im J. 1655 letztere Anstalt und begab sich im folgenden Jahre auf die große, dem jungen Cavalier damals vorgeschriebene Reisetour. Er ging über Dänemark nach den Niederlanden, besuchte England, hielt sich darauf längere Zeit in Paris auf, wandte sich dann über Turin und Florenz nach Rom, sah Neapel, machte mit den Malteserrittern einige Streifzüge gegen Türken und Seeräuber, besuchte Venedig, lernte einen Theil Spaniens (Barcelona, Saragoza, Madrid, Segovia, Burgos) kennen und kehrte im J. 1664 über Paris wieder in die Heimath zurück. Fast aller europäischen Sprachen mächtig, ausgerüstet mit reichen wissenschaftlichen Kenntnissen, besonders auf dem Gebiete der Staats- und Kriegswissenschaft, unterstützt von einflußreichsten Verbindungen und einem empfehlenden Aeußern, begann er nun seine Laufbahn. Eine ihm angebotene Stelle als Kammerjunker in kurfürstlichen Diensten schlug er als zu wenig Aussicht auf Avancement bietend aus und trat, die Unzufriedenheit des Kurfürsten nicht scheuend, als Oberstlieutenant in die Dienste des Königs Johann Casimir von Polen. Der König ernannte ihn bald darauf zum Kammerherrn und übertrug ihm (für den Fall der Abwesenheit der Generalität und des Obersten) das Commando über sämmtliche deutsche Truppen in polnischen Diensten. Zu gleicher Zeit (1668) ernannte ihn der Kurfürst, der sich des gewandten, geistvollen jungen Mannes für spätere Zeit damit mochte versichern wollen, zum Hof- und Legationsrath, in welcher Stellung er nach Johann Casimir’s Abdankung für die Wahl des kurfürstlichen Throncandidaten, Prinzen von Pfalz-Neuburg (freilich erfolglos), wirkte. Ob L. bei der bekannten Gefangennahme Kalkstein’s (Bd. XV S. 16 f.) durch den kurfürstlichen Residenten Brandt in Warschau betheiligt war, wird vielleicht nie ganz aufgehellt werden: man glaubte es aber allgemein und er suchte deshalb so bald als möglich seine Beziehungen zum polnischen Hofe zu lösen. Im J. 1671 wurde er kurfürstlicher Kämmerer, einige Tage nachher kurfürstlicher Oberst, noch in demselben Jahre Johanniterritter und Landrath im Herzogthum Preußen. Mit letzter Stellung trat er zugleich in die Dienste seiner Heimath, wie es scheint, eine vermittelnde Stellung zwischen den politischen Tendenzen des Kurfürsten und dem historischen Rechte des Landes einnehmend. Als im J. 1672 Frankreich gegen Holland zog und dabei auch brandenburgische Festungen wegnahm, ergriff der Kurfürst offene Partei für Holland. Prinz Wilhelm von Oranien, mit L. von dessen Reisen her persönlich bekannt, trug diesem die Werbung eines Regiments für holländische Dienste an und mit Bewilligung des Kurfürsten ging L. auf diesen Antrag ein. Während des Feldzuges vertheidigte er längere Zeit Muyden, belagerte Naarden und kämpfte auch in den Schlachten von Senef, Oudenarde und St. Omer. Im J. 1674 lag er vor Bergen und führte hier acht Regimenter, die Brigade des Grafen Erbach, welche er unter Uebergehung von zehn Obersten erhalten hatte. Um dieselbe Zeit übertrug ihm der Kurfürst die Amtshauptmannschaft von Preußisch-Eilau (zu der, wie es scheint, später noch die von Bartenstein kam), was für ihn eine Veranlassung wurde, den ohnehin lästig werdenden holländischen Dienst zu verlassen. Die friedliche Thätigkeit in Preußen genügte L. aber auf die Länge auch nicht und als sich im J. 1676 der Kurfürst im Bunde mit Christian V. von Dänemark gegen Schweden rüstete, trat er als Generalmajor in dänische Dienste und commandirte bei der Belagerung von Stettin das dänische Corps, das den brandenburgischen Truppen zu Hülfe geschickt wurde. Im J. 1677 wurde er Landrath und Landvogt zu Schacken, im J. 1679 Obermarschall von Preußen und königlich dänischer Generallieutenant und im J. 1683 rückte er in die höchste Stellung [151] des Landes als Oberburggraf ein. Allen Ehren, die ihm in verhältnißmäßig so kurzer Zeit von den verschiedensten Fürsten zu Theil geworden waren, setzte die Gnade des Kaisers, der ihn am 10. August 1686 in den Reichsgrafenstand erhob (die Notificationsschreiben an den Kurfürsten von Brandenburg, wie an den Kurfürsten von Mainz als Reichskanzler und an das Reichskammergericht zu Speyer sind vom 16. August 1687 datirt), die Krone auf. L. war dreimal verheirathet: das erste Mal mit Anna Dorothea von Podewils († 1676), das zweite Mal mit der Tochter des Oberpräsidenten Otto von Schwerin, Luise Wilhelmine Freiin von Schwerin († 1681), das dritte Mal mit Gräfin Dönhoff, Tochter des Grafen Gerhard Dönhoff, königlich polnischen Kammerherrn und Truchseß des Großfürstenthums Lithauen, Herrn der Herrschaft Schweigsten. L. starb am 14. Februar 1688, kurz nach seinem eben vollendeten 51. Lebensjahre. Als der Kurfürst die Nachricht von seinem Tode erhielt, rief er tieferschüttert aus: „Ich habe meinen größten Staatsmann verloren!“ – ein Wort, dessen volle Bedeutung freilich nur gewürdigt werden kann, wenn man bedenkt, daß eine so vorwiegend praktische Persönlichkeit wie L. in ihrem schriftlichen Nachlasse (aus dem ausschließlich die Darstellung bisher hat schöpfen können) immer nur einen verhältnißmäßig geringen Theil ihres Wesens abspiegelt.

Zu vergleichen über A. v. L. ist die auf Urkunden des gräflich v. Lehndorffischen Familienarchives zu Steinort in Ostpreußen ruhende Monographie des Verfassers dieses Abrisses: „Der Oberburggraf Ahasverus v. Lehndorff, 1637–1688“. Dessau 1867. In zweiter (Titel-) Auflage ibid. 1868 (VI, 192 S.).