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Artikel „Lanner, Joseph“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 698–699, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lanner,_Joseph&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 14:59 Uhr UTC)
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Lanner: Joseph Franz Karl L., Tanzcomponist, geb. am 11. April 1802 zu Oberdöbling bei Wien, zeigte schon in jungen Jahren eine bedeutende Anlage im Violinspielen, komponirte auch ohne weitere Anleitung kleine Stückchen, vereinigte sich mit einigen anderen jungen Leuten zu einem kleinen Orchester, componirte und arrangirte aus beliebten Opern die nöthigen Musiken dazu und sie zogen nun von Garten zu Garten, ihre Künste producirend. Die Art und Weise, wie L. spielte und dirigirte, die reizenden kleinen Tanzstückchen, die er zum besten gab, zogen bald ein großes Publicum zu seinen Productionen und aus dem Miniaturorchester entstand nach und nach ein großes Orchester. Die Besitzer der ersten Kaffeehäuser und Vergnügungslocale Wiens stritten sich um das Vorrecht, L. mit seiner Kapelle zu engagiren. Bald machte er auch Reisen ins Ausland und überall fand er eine gleich enthusiastische Aufnahme, doch suchte man ihn an Wien zu fesseln, indem man ihn zum Kapellmeister bei dem zweiten Bürgerregimente machte. L., der echte Wiener Vorstädtler, ausgestattet mit dem naiven Empfindungsvermögen des Wiener Volkslebens, aus dessen Mitte er hervorgegangen war, hatte von der Natur den leichten Sinn und die Sorglosigkeit erhalten, die in Musik und Tanz das höchste Genußleben findet. Diese beiden Factoren ergaben die Quintessenz seiner künstlerischen Individualität. Der Ländler, der echte Wiener Volkstanz, fand in L. den Vertreter, der ihn [699] aus dem Volksleben in den Salon verpflanzte und die vornehme Welt damit berauschte. Doch L. selbst trug ihn zugleich zu Grabe; nicht allein, daß er ihm eine Ausdehnung und ein Gepränge mitgab, die das einfache Volksgebilde nicht vertrug, sondern er wurde ihm auch später ungetreu und taufte ihn in den Walzer um. Eigentlich mit Recht, denn Ländler waren es schon lange nicht mehr. – Ein mit Sachkunde und Geist geschriebener Feuilletonartikel über die Wiener Tanzmusik, in dem auch L. seine Stellung angewiesen wird, findet sich aus der Feder E. Schelle’s im Februarheft 1883 der Zeitschrift „Vom Fels zum Meer“, S. 579. Mitten im vollen Genusse des Lebens entriß L. der Tod am 30. März 1843. Außer den Tänzen hat er noch eine große Anzahl Pantomimen geschrieben; über diese schreibt der Verfasser des Artikels im Schilling’schen Tonkünstlerlexikon (Bd. VI. S. 519): „sie sind wirklich geistreich, voll Leben, Anmuth, Lieblichkeit, Humor und Grazie; neu, eigenthümlich, originell und meist wahrhaft interessant, mit hinreißender Genialität instrumentirt, daher auch von überraschender Wirkung, besonders wenn sein feuriger Bogenstrich das Losungswort angibt“. Wer dies schrieb, kann nur ein Wiener gewesen sein, denn kein anderer Mensch der Erde versteht so seinen L. zu loben als der Wiener.