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Artikel „Kuhlmann, Quirinus“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 331–332, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kuhlmann,_Quirinus&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 22:32 Uhr UTC)
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Band 17 (1883), S. 331–332 (Quelle).
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Kuhlmann: Quirinus K., ein religiöser Schwärmer des 17. Jahrhunderts, wurde geboren zu Breslau, den 25. Februar 1651. Von Natur hochbegabt, aber schon in seiner Jugend außerordentlich nervös, glaubte er sich eines Tages im visionären Zustande zum Heiligen berufen. Er sah an seiner linken Seite stets einen Lichtschein, den er sich als Heiligenschein deutete. Aus der Etymologie seines Namens Kuhlmann (Kohlmann) folgerte er, daß er wachsen solle wie der Kohl, das Senfkorn im Evangelium, und in seinem Vornamen Quirinus, den er mit dem ersten römischen Könige und mit dem Landpfleger Cyrenius gemeinsam hatte, sah er sich zum Herrscher der Welt bestimmt. 1670 bezog er die Universität Jena, nachdem ihm der Rector des Magdalenengymnasiums zu Breslau bereits gesagt hatte, „du wirst entweder ein großer Theologe oder ein großer Ketzer werden“. Die Rechtswissenschaft, für die er sich hatte einschreiben lassen, betrieb er auf der Universität aber nicht, sondern hing in seinem Jenenser Einsiedlerleben religiöser Schwärmerei nach. 1673 verließ er die Universität und begab sich in das Eldorado aller Schwärmer, in das Land der Geistesfreiheit, nach Holland; hier vertiefte er sich in Jacob Böhme’s Schriften, die in Amsterdam herausgekommen waren, und erreichte bald unter den Anhängern des deutschen Theosophen den größten Ruhm. Das Maß von Kirchlichkeit aber, das Böhme noch besessen hatte, ließ K. weit hinter sich. In vollständiger Selbstverblendung construirte er sich eine Lehre, die darauf hinauslief, daß er als Prinz des höchsten Monarchen der Welt berufen sei, nach den vier Weltmonarchien die fünfte aufzurichten, die der Frommen, das Kuhlmannsthum. Alle weltlichen und geistlichen Fürsten wurden eingeladen, dem Könige dieses Reiches zu huldigen. Die Mahnung an den Papst sollte durch den berühmten Jesuiten Athanasius Kircher, vermittelt werden, mit dem K. eine Zeit correspondirte. Den türkischen Kaiser hat er in eigener Person eingeladen, wobei er aber in Konstantinopel nur mit Mühe der Einkerkernng durch die Flucht entgehen konnte. Die Irrfahrt nach der Türkei war eine von seinen vielen Agitationsreisen, die er zu Gunsten seiner Schwärmerei gemacht hat. Er hatte schon vorher in England und Frankreich Gesinnungsgenossen zu werben gesucht, aus der Türkei aber wandte er sich jetzt nach Rußland. Allein kaum war dem Patriarchen von Moskau der Plan des Schwärmers bekannt geworden, als er ihn ergreifen und am 4. Octbr. 1689 verbrennen ließ. Seine vielen Bücher, die er in seinem beruflosen Leben verfaßt hat, können, mit Ausnahme seiner deutschen Dichtungen, alle vergessen werden. Ihre Titel bei Adelung (s. u.) p. 82 ff. Als deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts wird er dagegen stets eine gewisse Bedeutung behalten; denn er war von Jugend auf eine poetische Natur und hatte schon als 20jähriger Jüngling den kaiserlichen Titel eines poeta laureatus bekommen. In seinem „Kuhlpsalter“ hat er 150 Psalmen auf sein eigenes religiöses Königreich gedichtet, von denen mancher allerdings an Verrücktheit grenzt, z. B. zu Ps. 53:

[332] Liebquelle Jesus Liebe lieber,
Je mehr sie quillet ewigst über,
Je mehr sie ewigst Dich liebküßt,
Liebküssend ewigst Dich durchsüßt,
Durchsüßend ewigst Dich umherzet,
Umherzend ewigst in Dich sterzet.
 

Ueber ihn ist zu vergleichen ein ausführlicher Aufsatz bei Adelung, Geschichte der menschlichen Narrheit, Bd. V, S. 3–90. Derselbe nimmt Bezug auf eine frühere Darstellung von Harenberg: De Quirino Kuhlmann im museum historico-theologicum Bremense T. I p. 651–687. Hagenbach in Herzogs Realencyelopädie, 1. Auflage, Bd. VIII, S. 132.