ADB:Kolowrat-Liebsteinský, Franz Anton Graf von
Franz eine weitere Ausdehnung seiner amtlichen Gewalt zu erringen. Im J. 1826 zum dirigirenden Staats- und Conferenzminister ernannt, ward ihm vom Kaiser das Präsidium bei der politischen und bei der Finanzsection des Staatsrathes, sowie die Verfügung in dessen Personalangelegenheiten übertragen. Sein Streben ging vor allem dahin, ein entscheidendes Gegengewicht gegen den, bis dahin auch in Fragen der inneren Politik sehr maßgebenden Einfluß des Fürsten Metternich zu gewinnen, und zugleich auch die beengenden Fesseln abzustreifen, welche die collegiale Verhandlung der der Entscheidung des Kaisers vorbehaltenen Angelegenheiten im Wege des Staatsrathes im Gefolge hatten. Er erwirkte zu diesem Ende bei dem Kaiser im J. 1819 die Errichtung einer besonderen Commission unter seinem Vorsitze, aus den Staatsräthen Lederer (dem nachmaligen Bankgouverneur), Kübeck und dem Vicepräsidenten der allgemeinen Hofkammer, Baron Pillersdorf, bestehend, welche mit Beseitigung des Staatsrathes sich mit den Fragen der höheren [489] Finanzpolitik zu befassen hatte, ebenso einer weiteren Commission, gleichfalls unter seiner Leitung stehend, welche einen Theil der Regierungssorgen auf sich nahm, und Entscheidungen traf, welche K.-L. contrasignirte, der Kronprinz Ferdinand aber statt des Kaisers unterzeichnete. Bald darauf wurde K.-L. sogar vom Kaiser ermächtigt, Resolutionen letzterer Art, welche in den Wirkungskreis des Kronprinzen fielen, auch selbständig, d. h. ohne dessen Vorwissen ausfertigen und hinausgeben zu dürfen. Der Staatsrath sollte nach seiner Meinung sich nur mit der Controle des Executivdienstes (im Wege der ihm vorzulegenden Sitzungsprotocolle der Hofstellen), dann mit Gnadensachen und mit Begutachtung von Besetzungsvorschlägen für wichtigere Staatsämter befassen. Für die Gesetzgebungssachen war die Vereinigung der Staatsräthe mit den Chefs der Hofstellen in regelmäßigen Conferenzen in Aussicht genommen. Ueber die Beschlüsse des Staatsrathes in den ihm hienach verbleibenden Fragen hatte K.-L. dem Kaiser wöchentlich zwei Mal in Gegenwart eines Mitgliedes des Staatsrathes Bericht zu erstatten. Diese Einrichtung, welche K.-L. einen fast allmächtigen Einfluß auf alle Angelegenheiten der inneren Politik gewährte, bestand unverändert bis zum Tode des Kaisers Franz. Bei dem Regierungsantritte des Kaisers Ferdinand, eines körperlich und geistig höchst gebrechlichen Mannes, drängten jedoch die Verhältnisse zu einer engeren Begrenzung der dem Grafen bisher eingeräumten Machtstellung. Obwol Kaiser Ferdinand ihn in allen seinen Aemtern und Würden bestätigte, wurde doch durch die bald darauf erfolgte Einsetzung der sogen. Staatsconferenz, welche aus den beiden Staatsministern Metternich und dann aus den Erzherzögen Ludwig und Franz Karl bestand, und an welche alle wichtigen hochpolitischen Angelegenheiten gewiesen wurden, das Mittel gefunden, den ausschließlichen Einfluß des Grafen K.-L. zu paralysiren. In dieser Staatsconferenz hatte Metternich, welchem die beiden Erzherzöge unbedingt anhingen, sichere Aussicht, den Neuerungsgelüsten Kolowrat-Liebsteinsky’s einen Damm zu setzen. K.-L. hatte auch auf die Beiziehung des Erzherzogs Karl zu den Arbeiten der Conferenz und insbesondere für die militärischen Angelegenheiten hingewirkt, und letzterer auch seine Bereitwilligkeit hierzu erklärt. Dem Einflusse Metternich’s gelang es jedoch, dieses Project zu hintertreiben. So war denn für den fortwährend paralysirenden Einfluß der beiden um die Macht rivalisirenden Minister der Boden geebnet. Anlässe hierzu ließen nicht lange auf sich warten. K.-L. drang, Angesichts des permanenten Deficits auf eine ausgiebige Reduction des Armeeaufwandes und veranlaßte den Hofkammerpräsidenten v. Eichhof, einen hierauf bezüglichen Vortrag zu machen. Sowol der Hofkriegsrathspräsident Graf Hardegg, als auch der Generaladjutant Graf Clam erhoben jedoch dagegen einen heftigen Protest, und auch Fürst Metternich, beunruhigt durch die Fortdauer des spanischen Bürgerkrieges und die wachsende Gährung in Ungarn, sowie eine kürzlich entdeckte panslavistische Verschwörung in Galizien, wollte von einer Abrüstung nichts wissen und gewann dafür auch die Stimme der Erzherzöge in der Conferenz. Sehr bald darnach war es die Angelegenheit der Gestattung der Niederlassung des Jesuitenordens im ganzen Reiche, gegen welche K.-L. sich entschieden aussprach, die aber Metternich, ganz gegen seine sonstigen Grundsätze, unterstützt durch die Erzherzöge und die Damen der kaiserlichen Familie durchzusetzen wußte, die dem Grafen den übermächtigen Einfluß des Staatskanzlers fühlbar machte. Zu diesen wiederholten Schlappen gesellte sich bald noch eine weitere und noch fühlbarere, weil sie den allernächsten Wirkungskreis Kolowrat-Liebsteinsky’s betraf. Er hatte, als ein Mittel zur Erhöhung der Staatseinkünfte die Herabsetzung der hohen Zuckerzölle, aus welchen, wie er nachwies, nur die inländischen Zuckerfabrikanten einen ungemessenen Nutzen zogen, auf einen zehnprozentigen [490] Werthzoll im Staatsrathe beantragt, und ungeachtet mehrfachen Einspruches, für denselben die allerhöchste Genehmigung erlangt. Kaum war er aber auf seine böhmischen Güter abgereist, um zugleich der Krönung Kaiser Ferdinands in Prag beizuwohnen, so wußten die gekränkten Zuckerfabrikanten, seine Abwesenheit benützend, und von einem Theile des Adels, von hohen Offizieren und Jesuitenfreunden unterstützt, ihre Klagen mit Erfolg an den Erzherzog Ludwig zu bringen und bei ihm die Suspension der beschlossenen und allerhöchst genehmigten Zollreduction zu erwirken. Damit ward aber das Maß voll und K.-L. überreichte dem Kaiser das Gesuch um seine Entlassung. Die Sache hatte allerdings zunächst keine Folge. K.-L. ließ sich vielmehr, nachdem die Krönung in Prag vorüber war, durch den Erzherzog Franz Karl gegen eine mit ihm vereinbarte Resolution in der Frage der Zuckerzölle, zur Zurücknahme seines Demissionsgesuches herbei. Mittlerweile aber hatte Metternich bei dem Erzherzog Ludwig eine Aenderung des Staatsrathsstatuts erwirkt, durch welche die grundsätzliche Ausscheidung der Staatsminister aus dem Staatsrathe verfügt, und dem letzteren seine Selbständigkeit zum Theile wieder zurückgegeben wurde. Gleichzeitig wurde auch die seit längerem eingeschlummerte Staatsconferenz zu neuem Leben erweckt, und dem Fürsten das Präsidium derselben übertragen. Ueber den entschiedenen Protest Kolowrat-Liebsteinsky’s kam man allerdings von letzterem ab, und wurde der Vorsitz in der Staatsconferenz dem Erzherzog Ludwig als Stellvertreter des Kaisers übertragen. Gleichzeitig mit der Enthebung Kolowrat-Liebsteinsky’s von der Stelle eines staatsrechtlichen Sectionschefs wurde ihm, um der Krone den Rath dieses Staatsmanns zu erhalten, die Zusicherung gegeben, daß die höheren Finanzgegenstände und das Staatscreditwesen, dann die höhere Polizei und die Personalangelegenheiten der staatsräthlichen Functionäre unter seiner Leitung verbleiben sollten, wobei er sich aber bei seinen finanziellen Ausarbeitungen des Beiraths der Mitglieder der staatsräthlichen Finanzsection zu bedienen hatte. Die Bemühungen Kolowrat-Liebsteinsky’s, den zerrütteten Staatshaushalt zu ordnen, hatten indessen wenig Erfolg, indem Metternich die Monarchie fortwährend von allen Seiten bedroht wähnte und in Folge dessen die Armee in steter Kriegsbereitschaft erhalten wurde. Umsonst drang K.-L. auf Abtragung der auf 30 Millionen angewachsenen Schuld des Staates an die Nationalbank; umsonst wies er auf die Nothwendigkeit hin, zur Entlastung der deutschen Provinzen die ungarischen Länder zur Theilnahme an der Verzinsung der Staatsschuld, zu ebenmäßiger Rekrutenstellung und zur Uebernahme eines verhältnißmäßigen Beitrages zum Militäraufwande zu verhalten. Unter dem 22. Februar 1840 erhielt wol K. vom Kaiser die Ermächtigung, mit der Militärsection des Staatsrathes und mit dem Hofkriegsrathe wegen Verminderung des Armeeaufwandes in Verhandlung zu treten und die ratenweise Tilgung der Bankschuld vorzubereiten. Aber dabei blieb es. Die hierdurch geschaffene Situation, welche Metternich gegen K. sehr gut auszunutzen verstand, in Verbindung mit Kolowrat-Liebsteinsky’s rücksichtslosem Vorgehen gegen die Finanzsection des Staatsrathes führten bald neuerliche Conf1ikte hervor, in Folge deren K.-L. am 3. Novbr. 1840, ein Augenleiden vorschützend, auf seine amtlichen Befugnisse in Finanzsachen Verzicht leistete, und sich auf die Antheilnahme an den Arbeiten der Staatsconferenz beschränkte, in welcher Stellung er bis zum Ausbruche der Märzrevolution verblieb. Vergleicht man die lange Zeit, während welcher K. sich an der Spitze der österreichischen Regierung befand, mit den während derselben erzielten Resultaten, so wird wol das Urtheil über seine staatsmännischen Leistungen ein sehr wenig befriedigendes bleiben müssen. Indessen wäre es unbillig, das höchst ungünstige Ergebniß ihm allein Schuld zu geben. K.-L. war allerdings ohne höhere staatsmännische Begabung [491] und ohne schöpferische Gedanken, dabei auch häufig bequem und von seiner nächsten Umgebung abhängig. Er erkannte jedoch ganz richtig die Gebrechen, an welchen die Organisation der Centralregierung krankte, und war über die Richtung klar, in welcher eine gründliche Reform der Verwaltung und des Finanzwesens Noth that. Frei von einer eigentlich liberalen Richtung, wie solche ihm die Volksmeinung, blos um seines Gegensatzes zu Metternichs Willen andichtete, war er doch stets geneigt, den Fortschritt auf allen Gebieten, die nicht an eine grundsätzliche Aenderung der inneren Politik streiften, zu fördern und insbesondere die Bande, welche vielfach die Entwickelung des materiellen Wohlstandes hinderten, zu lockern. Doch damit war sein eigentlich staatsmännisches Wirken auch abgeschlossen. Bei den Zuständen des alten Reiches, wo es an einer Organisation der obersten Regierungsgewalt eigentlich ganz fehlte, und zu der zersplitterten Thätigkeit der einzelnen Regierungskreise auch noch die persönliche sich gegenseitig lähmende Eifersucht der einzelnen Machthaber hinzutrat, würde es auch dem genialsten Staatsmann, ohne einen gründlichen Personenwechsel in den obersten Regierungskreisen, unmöglich gewesen sein, den vorhandenen und allgemein bekannten Mißständen, an denen das Reich krankte, abzuhelfen. Dies erstere konnte aber nur auf gewaltsame Weise zu Stande gebracht werden, wie denn auch die Märzrevolution in 24 Stunden den gesammten bisherigen obersten Machtkreis hinwegfegte. Es muß als Beweis, wie wenig man damals die Tiefe der Bewegung auffaßte, angesehen werden, daß man es versuchte, den Grafen K.-L. an die Spitze des neu gebildeten constitutionellen Ministeriums zu stellen. Derselbe erkannte jedoch selbst sehr bald seine Unzulänglichkeit für die Lösung der Aufgabe und legte schon am 4. April 1848 das Ministerpräsidium nieder, um sich ganz ins Privatleben zurückzuziehen. Er starb, ohne Hinterlassung von Nachkommen, am 4. April 1861. Mit ihm erlosch die Liebsteinsky’sche Linie des Hauses Kolowrat und ging sein ganzer großer Güterbesitz an die Linie Kolowrat-Krakowsky über.
Kolowrat-Liebsteinsky: Franz Graf K.-L., geb. zu Prag am 31. Januar 1778. Entsprossen aus einem uralten, reich begüterten böhmischen Adelsgeschlechte, trat nach beendeten Studien im J. 1799 in den Civilstaatsdienst, in dem er bereits im J. 1807 den Posten eines Stadthauptmanns in Prag mit dem ihm im darauffolgenden Jahre verliehenen Range eines Hofrathes erreichte. Er wirkte in dieser Stellung erfolgreich im Interesse der durch die vorangegangenen Kriege und militärischen Anstrengungen im erhöhten Maße in Anspruch genommenen öffentlichen Wohlthätigkeitspf1ege, half im J. 1808 thätig bei der Organisation der deutschen Landwehren und ward im J. 1809 zum Verweser des böhmischen Oberstburggrafenamtes, sowie im darauffolgenden Jahre definitiv zum böhmischen Oberstburggrafen (Statthalter) ernannt. Er entwickelte in dieser Stellung, die er durch 16 Jahre bekleidete, eine rühmliche Thätigkeit; er förderte die Errichtung des von den beiden Grafen Sternberg angeregten böhmischen Landesmuseums, und zahlreicher öffentlicher Wohlthätigkeitsinstitute. Im J. 1825 wurde er als Staats- und Conferenzminister nach Wien berufen. Anfänglich nur zur Leitung der II. Section des Staatsrathes (für die innere Verwaltung) bestimmt, gelang es ihm bald, unter Benützung der persönlichen Gunst des Kaisers- Vgl. Wurzbach, Biographisches Lexikon, 12. Bd., S. 392 f. – Genesis der Revolution in Oesterreich, Leipzig 1850. Schmidt, Zeitgenössische Geschichten, 1859, S. 484 ff. Sybel’s Histor. Zeitschrift, 38. Bd., S. 385. Beer, Die Finanzen Oesterreichs, Prag 1877. Springer, Geschichte Oesterreichs, 1. Thl., S. 446. Hock und Biedermann, Der österreichische Staatsrath, Wien 1879, S. 672 ff.