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Artikel „Kohlhase, Hans“ von Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 448–450, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kohlhase,_Hans&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 12:46 Uhr UTC)
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Kohlhase: Hans K., (nicht Michael K., wie ihn Kleist in seiner Novelle genannt hat, auch nicht ein Pferdehändler, sondern) ein Berliner Produktenhändler, bekannt durch seine Fehde gegen Kursachsen; ein begüterter, nicht ungebildeter, und bei seinen Berliner Mitbürgern wohlangesehener Kaufmann, ein Mann von zahlreicher Verwandtschaft, welche vom Handwerkerstand in die untern Schichten der Bevölkerung hinabreichte. Es war i. J. 1532, daß er seine Waaren, Speck und Häringe, nach Leipzig geschickt hatte und denselben mit einem Knechte zu Pferde nachzog. In der Schenke zu Wellaune (Wöllaune, Kr. Delitzsch) an der Wittenberg-Leipziger Straße auf Grund und Boden des Herrn Günther von Zaschwitz wurden von den Bauern die beiden Reiter für Strolche gehalten, welche ihre Pferde gestohlen hätten. Es erhob sich ein bei der Ueberzahl der Bauern bedenklicher Streit; K. und sein Knecht mußten flüchten; ihre beiden Pferde wurden von dem anwesenden Zaschwitzischen Richter mit Beschlag belegt. Dies begab sich am 1. Oktober. Am 12. war K. von Leipzig in Wellaune zurück. In seinen Geschäften hatte er wol nicht allein, wie er angab, wegen seiner verspäteten Ankunft in Leipzig, sondern auch weil er sie über die Betreibung der anderen Angelegenheit versäumte, einen empfindlichen Schaden erlitten. Herr v. Zaschwitz war nun bereit, die Pferde ausliefern zu lassen, aber nur gegen ein Futtergeld von einigen Groschen und jede sonstige Entschädigung ablehnend. Diese offenbare Ungerechtigkeit wies K. zurück und zog ab ohne seine Pferde. Es dauerte bis zum 13. Mai 1533, ehe unter Vermittelung des Kurfürsten von Brandenburg ein Rechtstag zu Düben zu Stande kam. K. forderte Erstattung des doppelten Werthes der Pferde, welche im Dienste des Richters abgetrieben und abgemagert waren und dazu einen Schadensersatz von 150 fl. Sein Geschäft war infolge der Begebenheit so sehr hinter sich gegangen, daß er bereits Haus und Hof hatte verpfänden müssen. Herr v. Zaschwitz dagegen, die Entschädigung auf’s Neue weigernd, forderte jetzt 12 fl. Futtergeld. Endlich nahm K. unter Erlegung dieser 12 fl. und unter Vorbehalt seiner Entschädigungsansprüche die Pferde zurück. Am Tage darauf starb das eine derselben, sein Rothschimmel. Es folgten nun Vorstellung über Vorstellung bis an den Sächsischen Kurfürsten. Zaschwitz wußte aber den von K. nachgesuchten neuen Vergleichstermin hinzuziehen. Man muß hierbei Eines nicht übersehen: Zaschwitz wollte seinen Gegner auf die Entscheidung der ordentlichen Gerichte drängen, dieser aber sich dazu nicht bequemen. Die Aeußerungen der auf dem Vergleichstag zu Düben anwesenden Juristen scheinen ihm die Ueberzeugung erweckt zu haben, er werde auf solchem Wege zu dem, was er für sein Recht hielt, nicht kommen. Vielleicht erkannten sie, daß es ihm nicht möglich sein werde, wider die Zaschwitzer den Beweis der culpa oder gar des dolus zu erbringen. Als nun K. am 15. Febr. 1534 durch den Wittenberger Landvogt erfahren hatte, daß die Zaschwitzer jede neue Handlung ablehnten, ließ er einige Tage darauf einen Fehdebrief wider Günther v. Zaschwitz und Kursachsen ergehen. In den Grenzlanden entstand ein panischer Schrecken. Johann Friedrich wandte sich an Kurfürst Joachim I. von Brandenburg; dieser aber antwortete sehr kühl unter nicht mißzuverstehender Hindeutung auf die i. J. 1528 von der kursächs. Regierung nicht verhinderte Fehde des Herrn v. Minckwitz gegen Fürstenwalde: K. sei in der That durch die sächsische Justiz geschädigt. Am 9. und 10. April entstanden 3 Brände in Wittenberg, deren Anstifter K. gewesen sein sollte; Andere wollten ihn anderwärts umherstreifen gesehen haben. Die Aufregung ward so groß, daß endlich Kurfürst Johann Friedrich sich auf Vermittelung des [449] Eustach v. Schlieben herbeiließ, dem K., wenn er beschwören wolle, der Wittenberger Feuer unschuldig zu sein, freies Geleit zu einem neuen Rechtstag zu Jüterbock (6. Dez. 1534) zu geben. K., der mit großer Verwandtschaft erschien, leistete den Reinigungseid. Günther v. Zaschwitz war inzwischen gestorben; seine Partei wurde durch die Vormünder der Kinder vertreten. Wirklich – so groß war die allgemeine Angst vor der Fehde, so groß die Unsicherheit der Rechtszustände, so ohnmächtig die Landespolizei! – kam es zu einem für K. überraschend günstigen Vergleich: die Bauern revocirten; die Zaschwitzschen Erben sollten ihm bis Neujahr 600 fl. zahlen. So schien der misliche Handel aus der Welt. Der Kurfürst aber, von der Wittwe Zaschwitz angerufen, verwarf den Vergleich unter strengem Verweis gegen seine Bevollmächtigten und verbot überhaupt ein jedes Abkommen ähnlicher Art, welches die Folge haben werde, jedem Landstreicher Appetit zu machen. Vom Standpunkte des Kurfürsten aus gewiß eine richtige Betrachtung, nur hätte man auch die nöthigen Mittel haben müssen, um ihre voraussichtlichen Folgen unschädlich zu machen. Auf des K. trotzige Antwort beim Empfang dieser Nachricht setzte der sächsische Landvogt einen Preis von 100 Thalern auf seinen Kopf. Damit verließ thatsächlich er selbst zuerst den Rechtsboden, denn K. hatte sich ja noch keiner Gewalt schuldig gemacht. Er rief vielmehr jetzt Luther an, welcher ihn in einem merkwürdigen Briefe (de Wette IV. 567; vgl. dazu Burkhardt, Luther’s Briefw. S. 225) zum Frieden ermahnte: sei ihm Unrecht geschehen und sei es ihm selbst von der Obrigkeit widerfahren, so solle er es als eine Schickung Gottes hinnehmen. Man sieht, wie wenig auch Luther sich entschließen konnte, ihm in seinem Klagegrunde ohne Weiteres Unrecht zu geben. Längere Zeit noch ging K. friedlich seinem Geschäfte nach. Erst am 14. März 1535 begann er die wirkliche Fehde, anfangs nur mit Neckereien gegen Wittenberger Bürger, seit dem 26. Mai mit schweren Thaten an Einfall, Nahme, Raub, Brand und Wegschleppung aufgegriffener Bürger. Er hatte dabei meistens nur 4–5 Gesellen, ein einziges Mal in späterer Zeit die etwas größere Anzahl von 35 Gehülfen, die sich nach vollbrachter That wieder zu zerstreuen pflegten. Nicht nur seine Verwandtschaft, auch die Bevölkerung im Brandenburgischen ergriff seine Partei. Vergebens streiften die sächsischen Rotten und ihre Kundschafter nach ihm. Hie und da fing man ihm einen Knecht ab. Ward dieser gefoltert und gerichtet, dann antwortete K. mit einer neuen Gewaltthat. Kurfürst Joachim, wiederholt angerufen, meinte, es könne K. nicht sein, der die ihm schuldgegebenen Thaten begehe und bat endlich, nicht weiter mit der Sache behelligt zu werden. Auch Kurfürst Joachim II., der dem Vater am 11. Juli 1535 folgte, zeigte sich anfangs zur Abhülfe nicht geneigter. So zogen – ein zweiter Tag zu Jüterbock im Sommer 1538 blieb wieder resultatlos – die Dinge sich durch 4 Jahre. Endlich (1539) ließ Kurfürst Joachim sich dazu herbei, den sächsischen Rotten und Richtern auch die Betretung des Brandenburgischen Gebietes zu gestatten; sie griffen und richteten wieder mehrere Knechte, freilich der aufgeregten Bevölkerung gegenüber nicht ohne Gefahr des eigenen Lebens.

K., dessen Umgebung unter diesem wüsten Treiben eine immer wildere geworden war (am verrufensten war sein Kumpan Georg Nagelschmidt) ward offenbar jetzt selbst unruhig in seinem Gewissen; vielleicht verließ ihn auch die Hoffnung auf einen guten Ausgang. Wenn der (gleichzeitige) Chronist Peter Hafftiz recht berichtet ist, erschien K. jetzt sogar persönlich in einer Vermummung bei Luther in Wittenberg, ward von diesem im Beisein anderer Theologen nachsichtig und mitleidig angehört und gegen das Gelöbniß, die Gewaltthaten gegen Kursachsen einzustellen mit dem Versprechen der Verwendung für ihn beim Kurfürsten absolvirt und entlassen. Die Verwendung muß fruchtlos geblieben sein, [450] denn man erfährt nichts weiter davon. K. aber scheint in der That seine Zusage gehalten zu haben, denn von ferneren Gewaltthaten gegen Kursachsen wissen die Akten nichts. Dagegen ließ er sich von Nagelschmidt zu der unsinnigen Vorstellung verlocken, wenn er sich jetzt gegen Brandenburger wende, werde, dadurch eingeschüchtert, Kurfürst Joachim sich energischer für Beilegung der Sache verwenden. In der Nähe von Potsdam bei dem danach so genannten Kohlhasenbrück erschnappte er also einen Brandenburgischen Factor mit Silberbarren. Sofort aber machte nun der Kurfürst umgekehrt mit ihm selber ein Ende. Am 8. März 1540 sammt Nagelschmidt aufgegriffen, ward er peinlich verhört (seine arme, in einem Holzschuppen verborgene Frau gebar ihm in dieser Noth todte Zwillinge) und mit dem Genossen am 22. März vor dem Georgenthor zu Berlin gerädert.

Chronistische Quelle der Geschichte ist das Microchronologicum des Jüterbocker Peter Hafftiz (Allg. D. Biogr. Bd. X. S. 320, vgl. die daselbst gegebenen liter. Nachweisungen). Ein reiches Actenmaterial im Weimar. Archiv gefunden und verwerthet zu haben ist das Verdienst Burkhardt’s: „Der historische Hans Kohlhase und Heinr. v. Kleist’s Michael Kohlhaas.“ Leipzig 1864. Burkhardt, Luther’s Briefwechsel S. 225 u. 328.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 450. Z. 17 v. o.: Zu Kohlhase ist noch zu vgl. Gropius, Beiträge zur Geschichte Berlins, 1840, S. 61–81, wo auch einige Actenstücke aus Berliner Archiven abgedruckt sind. [Bd. 17, S. 796]