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Artikel „Kneisel, Rudolf“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 252–255, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kneisel,_Rudolf&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 07:04 Uhr UTC)
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Kneisel: Rudolf K., Schauspieler und Dramatiker, wurde zu Königsberg i. Ostpr. oder zu Magdeburg (für beide liegen eigene Aussagen Kneisel’s vor!) am 8. Mai 1832 geboren, als Sohn des Theatersängers Wilhelm K. († 1885) und der Mathilde geb. Koch, die beide Mitglieder der H. E. Bethmann’schen Wandergesellschaft waren, so daß Rudolf von der Wiege an gleichsam die weltbedeutenden Bretter kennen und lieben lernte. Angeblich nach häuslichem Unterricht, Besuche des Domgymnasiums zu Magdeburg und längerm Privatunterricht widmete er sich dem Studium der Litteratur und Philosophie. Diese wenig beglaubigten Angaben reimen sich schlecht mit der Thatsache zusammen, daß er schon seit 1845 zusammen mit den Eltern, und zwar in [253] Magdeburg, aufgetreten ist. 1850 kam er für jugendlich-komische Rollen an die zweite Bühne Dresdens (damals unter Director Ferd. Voigt), 1851 nach Altona unter Theod. Damm’s Leitung, 1853 zu Keßler in Flensburg, und spielte seit 1854 bei der Mecklenburg, besonders Waren und Güstrow besuchenden Truppe Brede’s. Im J. 1857 wurde er Dramaturg und Regisseur am Magdeburger Stadttheater, wo er bis 1859 verblieb und seine ersten wirksamen schriftstellerischen Versuche ausgehen ließ. Darauf gehörte er Ferd. Nesmüller’s bekannter Volks- und Familienbühne zu Dresden an. In den Jahren 1861–86 hat dann K. als selbständiger Director mit einer ständig ergänzten Gesellschaft ein Wanderleben geführt und zwar mit ihr meistens in der Provinz Sachsen und dem südöstlichen Hannover gespielt, vornehmlich in den Städten Quedlinburg, Stendal, Burg, Aschersleben, Gardelegen, Fulda, Verden, Goslar. 1886 legte er nach über 40 Jahren Schauspielerpraxis und einem Vierteljahrhundert Directorfunction das Bühnenscepter nieder und lebte fürder bis zu dem nach langem schweren Leiden – von einem die Zuckerkrankheit verschlimmernden Schlaganfall im Januar erholte sich der 67jährige Schaffensfrohe nicht mehr – am 17. September 1899 erfolgenden Tode zu Pankow bei Berlin, während seiner letzten Jahre unter recht dürftigen Verhältnissen, obwol der Berliner Komiker Franz Guthery für K. als Mitglied des großen „Vereins Berliner Presse“ eine – dürftig ausfallende – Sammlung veranstaltete. Und doch war K., der sich seit seinem 20. Lebensjahre dramatisch bethätigte, ein außerordentlich häufig und regelmäßig gespielter, überdies stets beifällig begrüßter Bühnenautor und feierte in dieser Eigenschaft am 12. September 1885 ein Jubiläum, welches freilich zeitlich mehr den 25 Jahren Theaterleitung galt.

Dieser schier allseitige Erfolg der langen Reihe Kneiselscher Lustspiele, Schwänke, Possen, Volksstücke, die er selbst als Regisseur und Mitdarsteller dem Publicum vieler norddeutschen Kleinstädte vorgeführt hatte und die meist das Hamburger Thalia-Theater, daneben in Berlin das alte Wallner-Theater mit seinem altberlinerischen etwas spießbürgerlichen Auditorium aus der Taufe zu heben pflegte, erhielt seit seiner Selbstpensionirung noch ununterbrochen Zuwachs; denn nun widmete er sich ausschließlich dramatischer Schriftstellerei seines gewohnten Genres. Noch heute ist Kneisel’s Muse in der preußischen Provinz, besonders östlich der Elbe, in Sachsen, Thüringen usw. auf Saison- und Dilettantenbühnen, „Schmieren“, doch auch bessern Volkstheatern ein bewillkommneter Gast: sie brachte ja nicht nur feste Repertoirenummern, sondern damit auch Cassenmagneten. Der Name des Verfassers allerdings ist allmählich ganz in den Hintergrund getreten und so konnte es geschehen, daß eine Einstudirung seines drastisch-derben Schwanks „Der liebe Onkel“ auf dem Münchner Volkstheater am 15. April 1905 von Publicum und Kritik fast durchweg als wirkliche „Première“ eines Lebenden angesehen und vom Referenten H(anns) v. G(umppenberg) demgemäß beurtheilt wurde als „ein durchaus kunstloser, mit gröbsten Mitteln arbeitender Ulk“, der „noch die komische Naivität von [O. E.] Hartleben’s ‚Gastfreiem Pastor‘ [1895] zu Hilfe“ nehme – und ist doch 1876 hervorgetreten! Uebrigens gab K. nach R. Prölß’ Ansicht mit diesem ‚Lieben Onkel‘ „der Bühne ein auf etwas nur zu frecher Voraussetzung beruhendes und zu possenhaft abschließendes lustiges Stück, das er in keiner seiner verschiedenen Bühnenarbeiten, von denen noch ‚Die Tochter Belials‘ genannt werden mag, wieder erreicht hat“. Das letztgenannte Lustspiel (1872) sowie das oft gegebene Volksstück „Die Lieder des Musikanten“ (1866, wol Kneisel’s ältestes wirkliches Druckwerk), bei dessen Neuaufführung im J. 1900 Tadelsworte wie Rührseligkeit, übertriebene Sentimentalität, abgedroschene [254] Phrase fielen, nennt der Artikel in Meyer’s Konversationslexikon – er thut im übrigen Kneisel’s Dramatik in Bausch und Bogen ungerecht als solche ab, die mit dem Tage entstehe und vergehe – als Beispiele der wenigen mit einem, einer bleibenden poetischen Gestaltung werthen Kerne.

So gehen die Stimmen der neueren, zumal der jetzigen Kritik freilich sehr weit auseinander und weichen von den früheren fast durchgehends wohlwollenden Urtheilen ab: während die einen seine Beliebtheit aus Originalität und geschicktem Aufbau erklären, manche seine wiederholt bewiesene Begabung oder burleske Komik, Laune, Verstandesschärfe (Lindemann-Salzer) hervorheben, auch (A. Klaar), daß er, der sonst im engen Kreise der Komödie Roderich Benedix’ (s. d.) Befangene, gelegentlich – ‚Die Tochter Belials‘ – „über die sog. laue Gemüthlichkeit bis zum Gemüthsleben vordringt“, nehmen ihn Andere kaum eigentlich ernst. Kneisel’s erstaunliche Fruchtbarkeit und Mangel an Muße zur ruhigen Ausreifung entschuldigen da viel: immerhin verwerthet er in den meisten der – über 50 – Stücke seine Bühnenerfahrung geschickt, so daß die volksthümliche harmlose Schreibart mancherlei hervorbrachte, was, als Gegengewicht zu schwerverdaulichen Problemtüfteleien und ungesundem Raffinement, über eine glückliche Verve und Erfindung des Lustspiels gebietet, wie ihm bei aller flüchtigen Arbeit sogar ein so strenger Bühnenrecensent wie R. Gottschall einräumt. Aus kleinen dramatischen Anfängen hat sich K. herausgearbeitet bis zum (in Wien) preisgekrönten Lustspiel „Die Tochter Belials“, wie K. auch bei der Preisconcurrenz des Kgl. Volkstheaters München 1872 mit „Fürst und Kohlenbrenner“ unter 51 siegte, und auch „Die Lieder des Musikanten“ sind als Volksstück vortrefflich zu nennen. Allerdings hielt seine folgende Production nicht, was jene tiefer greifenden Erstlinge versprochen; vielmehr trat er bald in die Fußstapfen der modischen seichten Schwankdichter, obwol seine Erfolge ernsten Grund besaßen in Bühnenkenntniß, Verständniß fürs Theater, niemals verletzendem Humor, der besonders in den weiblichen Charakteren und den graziösen Liebesscenen zur Geltung kommt.

Außer den genannten Stücken ragen so oder so hervor, in zeitlicher Reihenfolge (1872–98) aufgezählt „Die Anti-Xanthippe“, „Der Herr Stadtmusikus und seine Kapelle“, „Das Märchen vom König Allgold“, „Desdemonas Taschentuch“, „Blindekuh“, „Die Philosophie des Herzens“, „Emmas Roman“, „Die Kuckucks“, „Sein einziges Gedicht“, „Papageno“, „Der Kunstbacillus“, „Das Haus der Wahrheit“, „Der Held des Tages“, „Das Wespennest“, „Menschen und Leute“, „Der selige Blasekopp“; vier, nämlich „Sie weiß etwas!“, „Der Stehauf“, „Chemie fürs Heirathen“, „Wo ist die Frau?“, sämmtlich von 1894, sind durch Aufnahme in Reclam’s Universalbibliothek in weiteren Kreisen durch Aufführung in geselligen Vereinen und Lectüre noch bekannter geworden.

Als Motto einer Gesammtcharakteristik Kneisel’s könnte auch einem schärfern Maßstabe der Eingang einer sorgsamen Einzelbesprechung dienen, die der gewissenhafte Johs. Wedde (s. d.) der Darbietung von „Emmas Roman“ am 18./19. December 1878 auf dem Hamburger Stadttheater in den „Hamburger Nachrichten“ hat angedeihen lassen: „Der beliebte Schauspieler-Dichter führt eine bunte Reihe komischer Scenen an uns vorüber, ohne besonders viel eigene Erfindung oder irgendwelchen Aufbau einer dramatischen Handlung, aber mit frischem Humor und glücklichem Griff für wirksame Abwechslung und Reizmittel eines leichten Interesses. Von Spannung kann nicht die Rede sein, da die ganze Verwirrung vor unseren Augen entsteht in einer Weise, welche die nothwendige Lösung von vornherein zur zweifellosen Gewißheit machte“. – Uebrigens schlug K. anläßlich eines Preisausschreibens die Mitbewerber mit der – populärphilosophischen [255] spiritistisch angehauchten Abhandlung „Die Lehre von der Seelenwanderung“ (1889).

Vom Tode: Nachruf des Berlin. Local-Anzeigers abgedruckt (Münchn.) Allg. Ztg. 1899, Nr. 263 Abdbl.; Artikel in Berlins größeren Zeitungen (vgl. ein Feuilleton i. Berliner Tagebl. u. ebd. Nr. 479 v. 1899 S. 3); Internationale Litteraturberichte VI 20, 318 f.; Todesnotiz „Das litterar. Echo“ II, 142; Altersporträt „Die Woche“ I Nr. 28, 1084. Vom Unterzeichneten sind die Artikel im Biogr. Jahrb. u. dtsch. Nekrolog IV, 275 f. und Brockhaus’ Konversationslex.14 X, 438. Andere, gleich dem letzteren, authentische: Meyers Konversationslex.5 X, 270; F. J. Frhr. v. Reden-Esbeck, Dtschs. Bühnen-Lex. I (1879) S. 337; Frz. Brümmer, Lex. d. dtsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jahrh.5 II, 305 u. 556 (mit Bibliographie der gedruckten Stücke und deren – fürs Erscheinen unmaßgeblichen – Druckjahren); A. Hinrichsen, Das literar. Deutschland2 S. 701 f.; Die Theaterstücke der Weltlit. ihrem Inh. nach wdrggb., mit e. Einl. von Leo Melitz3 I (1904), S. 241–43 (mit Auszug zweier typischen Nummern); (M. Maack,) Die Novelle, oder: Die bekanntesten deutschen Dichter der Gegenwart (1896) S. 191 („Seine Stücke fanden beispielslose Verbreitung“). Vgl. außerdem Gottschall, Die dtsch. Nationallit. d. 19. Jahrh.6 IV, 235; Lindemann, Gesch. d. dtsch. Lit.7 S. 1032; Johs. Wedde, Dramaturg. Spähne (1880) S. 308–10; R. Prölß, Gesch. d. modern. Dramas III 2, 373; A. Klaar, Das moderne Drama S. 299; Meyer’s Dtschs. Jahrbuch II (1873), 251 u. 257. Unvollständige Liste der Bühnenwerke, reicher als anderswo, ohne Jahre: Kürschners Litteraturkalender XXI II 706. Das erwähnte Referat H. v. G.’s in Münchn. Neuesten Nachr. 1905, Nr. 181 S. 3 u. Nr. 182 S. 2. – Ende 1901 wurde Kneisel’s Grab auf dem neuen Friedhofe in Pankow b. Berlin von Freunden mit schönem Denksteine geschmückt. – Vgl. auch Dtsche. Bühnengenossenschaft, 28. Bd., S. 380; Illustr. Ztg., 105. Bd. (1895) S. 679/80 (A. Flinzer).