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Artikel „Nesmüller, Ferdinand“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 612–613, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nesm%C3%BCller,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 19:58 Uhr UTC)
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Nesmüller: Joseph Ferdinand N., der ursprünglich Müller hieß, wurde am 9. März 1818 zu Trübau in Mähren als der Sohn eines Schuhmachers geboren. Für den geistlichen Stand bestimmt, besuchte er seit 1829 das Gymnasium in Politschka in Böhmen. Nach zwei Jahren starb ihm plötzlich die Mutter, und weil der Vater kränklich war, so rief er den Sohn zurück, damit dieser sein Geschäft fortsetze und ihm im Alter eine Stütze werde. So wurde N. Schuhmacher, hielt auch geduldig seine Lehrzeit aus; dann aber war es mit Pech und Leder zu Ende, auf die Dauer ließ sich der aufstrebende Geist des Jünglings nicht in Fesseln schlagen. Zum Studium fehlten allerdings die Mittel; um daher seinem Geiste doch etwas Nahrung geben zu können, trat N. mit 17 Jahren in das Lehrerseminar zu Olmütz und erhielt noch in demselben Jahre durch Vermittlung des Olmützer Bischofs, Freiherrn v. Sommerau-Boeckh, der dem jungen Manne wohl gesinnt war, eine Schulgehülfenstelle zu St. Michael in Olmütz. Da N. sich auch von Jugend auf fleißig in der Musik gebildet hatte, so versah er, um seine Einkünfte zu verbessern, gleichzeitig die Stelle eines Hülfsmusikus im Theaterorchester. Der tägliche Anblick der wechselnden, die Phantasie anregenden Erscheinungen auf der Bühne reiften in ihm den Entschluß, Schauspieler zu werden, und gern nahm ihn der damalige Director des Olmützer Theaters, Burghauser, gegen ein Monatsgehalt von 6 Gulden in den Chor auf. Am 1. November 1835 betrat N. zum ersten Male die Bühne. Im folgenden Jahre nahm er in [613] Proßnitz bei dem Direktor v. Leuchart, seinem späteren Schwiegervater, ein Engagement an und führte mit dessen Gesellschaft viele Jahre ein Wanderleben. Im J. 1845 beginnt seine Laufbahn sich nach oben zu wenden; er wird als Ersatz für Albert Köckert an das Breslauer Stadttheater berufen. Drei Jahre später finden wir ihn als jugendlichen Komiker am Thaliatheater in Hamburg, wo sein weitverbreitetes, viel beliebtes Liederspiel „Die Zillerthaler“ entstand, zu dem er auch die Musik geschrieben hat. Dieses Spiel erschien dann, vereinigt mit den Stücken „Eine Soldatenfamilie“, „Die Pflegekinder“, „Die Frau Tante“, „Der Gnome und sein Narr“ unter dem Titel: „Theater. Erster Band“ (1862; Neue Ausg. 1864). In den Jahren 1850 bis 1854 wirkte er zur Vervollkommnung seiner dramaturgischen Befähigung gastweise an verschiedenen großen Bühnen und erhielt am 4. Mai 1854 die Erlaubniß zur Errichtung eines „Zweiten Theaters“ in Dresden, das er trotz vieler Kämpfe und Widerwärtigkeiten aller Art bis zum 1. Juli 1881 leitete. Hinfort beschränkte er seine Thätigkeit auf die dramatische Schriftstellerei, die er auch bis an seinen Tod fortsetzte. Er siedelte 1887 nach Altona über, lebte theils hier, theils in Eimsbüttel oder Hamburg und starb am letztgenannten Orte am 9. Mai 1895.

Nesmüller’s Eigenthümlichkeit als Schauspieler charakterisirt ein Fachmann derart, daß er „N. für berufen hält, die köstlichen von dem alten reinen Volkshumor belebten Gestalten Raimund’s bis in die feinsten Schattirungen harmonisch wiederzugeben. Edle Komik und Sentimentalität verbinden sich bei ihm und erklären auch die gleichzeitige Befähigung für das Tragische“. In den Berliner Possen wirkten in Nesmüller’s Spiel besonders seine glückliche Verbindung der Wiener Gutmüthigkeit mit dem Berliner Witz, wodurch seine Charaktere eine wohlthuende Gemüthlichkeit erlangen, ohne gerade an ihrer satirischen Schärfe einzubüßen. Als Schriftsteller entfaltete N. eine große Fruchtbarkeit; er schrieb außer den vorhin genannten Stücken noch deren mehr als 30, theils Dramen, theils Possen, Schwänke und Liederspiele, z. B. „Die Thalmühle“ (P., 1851), „Ein armer Teufel“ (Lustsp., 1852), „Ein Theaterskandal“ (P., 1859), „Sechs Stunden Durchlaucht“ (Schw., 1873), „Die wilde Toni“ (Liedersp., 1881), „Am Freitag“ (Dr., 1882), „Gräfin Flavia“ (Dr., 1882), „Der Dorfteufel“ (Kom. mit Gesang, 1882), „Trotzköpfe“ (Schw., 1884), „Alle täuschen sich“ (Lustsp., 1873), „Konfektionsschwindel oder: Nur reell“ (P., 1894) u. a. Es sind meist ansprechende, von Frivolitäten freie Stücke. Der Dichter stellt sich niemals auf schlüpfrigen Boden, wenngleich seine Couplets auch zuweilen ausgelassen und trivial sind. „Bei seiner außerordentlichen Bühnenvertrautheit erreichte er auch die wirksamsten scenischen Effecte, und die Fabel der Stücke weist zwar oft auf starke Ausgelassenheit, aber auch auf Reichthum der Erfindung und Glück im Aufbau der dramatischen Handlungen hin.“

Wurzbachs Lexikon, 20. Band, S. 192. – Kürschners Jahrbuch für das deutsche Theater, 2. Band (1880), S. 63. – Leimbach, Die deutschen Dichter der Neuzeit und Gegenwart, 7. Band (1897), S. 207.