ADB:Kierulff, Johann Friedrich Martin

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Artikel „Kierulff, Johann Friedrich Martin“ von Albert Teichmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 513–515, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kierulff,_Johann_Friedrich_Martin&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 02:09 Uhr UTC)
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Kierulff *): Johann Friedrich Martin K., in Theorie wie Praxis bedeutender Rechtsgelehrter, wurde zu Schleswig am 9. December 1806 geboren (ausweislich des Kirchenbuchs der Domgemeinde Schleswig und sonstigen für die ersten Decennien reichen Aufschluß über die Lebensverhältnisse gebenden Acten des dortigen Staatsarchivs, wonach also die gewöhnlichen abweichenden Angaben, wie z. B. bei Alberti, zu berichtigen sind). Da der Vater sehr früh starb, wurde er, nach Wiederverheirathung der Mutter, bei dem Stiefvater, Gastwirth Sormani, erzogen und in der Domschule von Schumacher und Olshausen unterrichtet. Schon als Schüler sich durch Vorlesetalent auszeichnend, war er ein gern gesehener Gast in der Familie des Hardesvogtes Christiansen, wurde mit dessen Söhnen, den späteren Professoren an der Universität Kiel befreundet und heirathete später eine der Schwestern, während eine andere sich mit dem einstigen Statthalter der provisorischen Landesregierung, nachmaligen Bonner Universitätscurator Wilhelm Beseler verband. An der Universität Kiel studirte K. die Rechte hauptsächlich unter N. Falck [514] und Burchardi, auch Dahlmann, später in München unter Schelling und v. Wening-Ingenheim. Hier studirte dann auf seinen Rath auch der ihm befreundete Georg Beseler, der von Georg Ludwig Maurer für deutsches Recht gewonnen wurde. Trotz großer Schwierigkeit (wegen Erkrankung) bestand K. im October 1829 auf Schloß Gottorp glänzend mit erster Note das juristische Candidatenexamen, schrieb behufs der Promotion zum Doctor der Rechte eine Dissertation „De juris accrescendi cum graduum successione concursu“ (die ungedruckt blieb) und vertheidigte am 23. September 1831 seine Thesen, worauf er zum Doctor beider Rechte ernannt wurde. Diese Ernennung fand die (nach damaligem Brauche erforderliche) königliche Genehmigung. In die gleiche Zeit fällt eine Arbeit zur Versuchslehre („Gehört objective Gefährlichkeit der Handlung zu den Merkmalen eines strafbaren Versuchs?“), die im „Staatsbürgerlichen Magazin, mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, herausgegeben von Dr. N. Falck“, Bd. 10, Schleswig 1831, S. 72–115 gedruckt wurde. Am 15. Juli 1834 zum außerordentlichen Professor der Rechte befördert, wurde er im Mai 1839 ordentlicher Professor – seines Pandektencollegs gedachte Theodor Mommsen stets mit Dank – und folgte in gleicher Eigenschaft Ostern 1842 einem Rufe nach Rostock. Hier wurde er 1843 Rath am Oberappellationsgericht, 1852 dessen Vicepräsident, dann, nach Wächter’s Weggang nach Leipzig, Präsident des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte in Deutschland zu Lübeck. Diese sehr geachtete und von ihm trefflich versehene Stellung bekleidete er im vollen Genuß seiner geistigen wie körperlichen Kräfte bis zur Aufhebung dieses Gerichtshofes im J. 1879.

Noch in jugendlichem Alter stehend, hatte er sich juristisch bekannt gemacht durch sein Werk „Theorie des gemeinen Civilrechts“ (erster Band, Altona 1839). Auf 400 Seiten behandelt er in 5 Capiteln: Das Recht in seinem Ursprung und seiner Verwirklichung – Das Rechtssubject – Recht und Verbindlichkeit – Das praktische Object – Der Besitz. In der Einleitung (die später Brinz in seinem Pandektenwerke § 14 Note 60 „denkwürdig“ nannte) vertrat er in geistvoller Darstellung eine von der damaligen Auffassung abweichende Anschauung über Wesen und Geltungskraft des gemeinen römischen Rechts und die Wünschbarkeit einer neuen wissenschaftlichen und gesetzgebenden Rechtsgestaltung für die Bedürfnisse der Praxis. Einzelne Vorzüge seiner Darstellung fanden Anerkennung; doch hinderte wohl hauptsächlich der entbrannte Streit zwischen Romanisten und Germanisten in weiterem Umfange an einer gerechten Würdigung seiner Resultate, zumal eine Fortführung unterblieb und vielfach die Meinung herrschte, als sei mit dem Werke ein Pandektenlehrbuch für akademische Bedürfnisse bezweckt. Aus dem Familienkreise erfährt man nun, daß K. mit gewissen Unterbrechungen (namentlich zufolge frühen Todes seines in Hamburg als Rechtsanwalt prakticirenden Sohnes, der ursprünglich als Herausgeber des väterlichen Werkes in Aussicht genommen war) weiter arbeitete und mit steter Begeisterung der Weiterentwicklung der Wissenschaft folgte, so daß er bei seinem Tode ein umfangreiches Manuscript hinterlassen konnte, dessen jetzt ermöglichte Prüfung entweder zur Veröffentlichung aus dem Nachlasse oder doch mindestens zur Aufbewahrung (etwa in der Kieler Universitätsbibliothek) führen dürfte. Als eifriger Praktiker besorgte er die Herausgabe einer „Sammlung der Entscheidungen des Ober-Appellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck“, Bd. 1–7 (mit Register), Hamburg 1866–74 – ein für die Praxis werthvolles Werk. Seine Verdienste um Wissenschaft und Praxis fanden 1882 [515] (etwas verspätet, doch mit richtigem Datum) Anerkennung bei Erneuerung des Doctordiploms nach 50 Jahren durch die juristische Facultät in Kiel.

Besondere Freude hatte K. stets an guter Musik, war auch in jüngeren Jahren selbst tüchtiger Sänger und an Musikvereinen wie -festen gern betheiligt. Während des Kriegs 1870/71 leistete er in Militärangelegenheiten als Landesdelegirter wesentliche Dienste, erhielt mehrere Militärdienstauszeichnungen und war Ehrenmitglied des Kriegervereins. Gern machte er hie und da größere Reisen, namentlich zur Erhaltung der Kräfte nach dem ihm wegen seiner Naturschönheiten lieb gewordenen Bade Gastein. In politischer Beziehung war er 1848/49 als Abgeordneter Rostocks Mitglied der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main, trat aber im Mai 1849 mit vielen Anderen aus. Stets hat er dann die weitere Entwicklung der politischen Verhältnisse in Deutschland mit Interesse verfolgt. Gern in anspruchsloser Geselligkeit im engern Kreise ihm Befreundeter weilend, blieb er bis zum letzten Augenblicke bei guter Gesundheit ein Freund des Lebens. Den Nachwirkungen einer Influenza erlag er am 17. Juli 1894.

Nach gütigen Mittheilungen des Geh. Archivraths Dr. Hille am Schleswiger Staatsarchiv und der Familienglieder (in Lübeck). – Kurze Biographie in den Lübeckischen Blättern 1894, S. 467 ff. – Bricka’s Dansk biographisk lexikon s. h. v. – Alberti, Lexikon der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen und Eutinischen Schriftsteller I (Kiel 1867), 448/9; II (1884), 379. – Artikel „Mommsen“ in Bettelheim’s Biogr. Jahrbuch u. Deutsch. Nekrolog IX, 445 ff. – Wächter, Württemberg. Privatrecht I, 2 (1842), § 127 Note 1, § 135 Note 9a. – Puchta, Pandekten § 9n und Regelsberger, Pandekten, S. 44 Anm. 82. – Parlaments-Album. Autographirte Denkblätter der Mitglieder des deutschen Reichstages. Frankfurt a. M. 1849, S. 111. – Sintenis in: Allg. Litteraturzeitung 1840, S. 321–343 und Gärtner im Jahrbuch für wissenschaftliche Kritik 1840, S. 121–184 (im Auszug in Richter’s und Schneider’s Krit. Jahrbüchern f. deutsche Rechtswissenschaft 7, 378/79; 9, 92–94). – Die ursprüngliche Schreibung „Kierulf“ (vielleicht in Anlehnung an eine norwegische Familie „Kjerulf“) geht in den Acten schon 1829 in „Kierulff“ über. – Vgl. auch den Artikel „Christiansen“ A. D. B. IV, 216–218.

[513] *) Zu Bd. LI, S. 145.