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Artikel „Keller, Franz Xaver“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 568–570, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Keller,_Franz_Xaver&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 07:36 Uhr UTC)
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Keller: Franz Xaver K., Schultheiß von Luzern, geb. 1772, † am 12. September 1816. Aus einem Geschlecht des Luzerner Patriciats stammend, das im 17. Jahrhundert zu höherem Ansehen gelangt war, 1762 zum ersten Male einen Schultheißen gestellt hatte, war K. schon vor 1798 einer jener Repräsentanten der Luzerner Aristokratie, welche von Ideen der 1789 in Frankreich eingetretenen Umwandlungen erfüllt waren und, obschon selbst Rathsmitglieder – K. seit 1795 –, sich gewillt zeigten, den Forderungen der Landesangehörigen entgegenzukommen und durch Abänderungen der Verfassung den drohenden Sturm abzuwenden. K. brachte im Januar 1798 den Antrag ein, eine bezügliche [569] Commission zu bestellen, in welche er selbst eintrat, und am 31. abdicirte die alte Regierung und setzte ihre Verrichtungen neben den einberufenen Volksrepräsentanten nur noch provisorisch fort. Doch bis zum März war diese cantonale Verjüngung durch die von der französischen Invasion der Eidgenossenschaft gebrachte helvetische Revolution und die aufgenöthigte neue Einheitsverfassung überholt. Ausdrücklich nannte aber der commandirende General Schauenburg unter denjenigen Mitgliedern der alten Regierung, welche wegen ihrer Anhänglichkeit an die Grundsätze von Freiheit und Gleichheit von der gegen ihre früheren Collegen ausgesprochenen Acht ausgeschlossen werden sollten, auch K. Gleich seinen Freunden, dem helvetischen Justiz- und Polizeiminister Franz Bernhard Meyer, dem Luzerner Regierungsstatthalter Vincenz Rüttimann (s. d. Art.), wurde er, obschon er anfangs zum mindesten weniger hervortrat, zu Functionen des umgestalteten Staatswesens herangezogen. 1801 hatte er als Regierungsstatthalter in der Phase des Verfassungsentwurfes von Malmaison die luzernerische Kantonstagsatzung vom 1. August zu eröffnen. Aber als nun die föderalistische Auffassung im October 1801 durch den Staatsstreich in Bern zum Siege kam, legte K. als Unitarier das Statthalteramt nieder, um es erst im April 1802 nach der abermaligen Wendung wieder zu übernehmen. Bei der föderalistischen Erhebung der inneren Schweiz unter Reding (s. d. Art.) suchte K. den Anfängen im Juli und August umsonst in seiner Stellung als helvetischer Regierungscommissar entgegenzuwirken; um so energischer hielt er Luzern selbst bei der helvetischen Ordnung fest, auch als am 22. September unter Anführung des früheren Hauptmanns in spanischen Diensten, Schilliger, eine Ueberrumpelung der Stadt durchgeführt und die heftigste Pression auf K. versucht wurde. Nur unter Protest trat er zurück und blieb trotz seiner gegnerischen Gesinnung, wegen seiner Furchtlosigkeit respectirt, unangefochten in Luzern. Als dann durch Rapp’s Intervention im Auftrage Bonaparte’s im October die helvetische Regierung nochmals hergestellt wurde, wagte es K., während noch föderalistische Truppen in Luzern lagen, am 22. die Functionen eines Statthalters offen von neuem aufzunehmen, mußte sich dann aber allerdings bis zum 27., dem Tage der Auflösung des föderalistischen Centralausschusses, gedulden, ehe er die gesammte Verwaltung wieder auf den helvetischen Fuß einrichten konnte. Es verstand sich von selbst, daß K. als erster Repräsentant von Luzern durch die Kantonstagsatzung zur Consulta nach Paris abgeordnet wurde und da die unitarische Auffassung vertrat. Auf Grund der von dem Vermittler neugegebenen Verfassung wurde K. 1803 in die Luzerner Regierungscommission als Mitglied erwählt. Hernach dagegen lehnte er bei den definitiven Wahlen der neuen Autorität die Wahl in den kleinen Rath ab, mit seinem Einflusse auf den großen Rath sich begnügend; außerdem war er Präsident des städtischen Gemeinderathes und Vicepräsident des Appellationsgerichtes. Besonders 1807 trat er im großen Rathe dem schon vorher unter seinem Widerspruche aufgestellten Gesetze abermals entgegen, welches, um die großen Forderungen des französischen Kaisers nach Truppenmannschaft leichter zu befriedigen, gewisse Personen Fehlbarer unter eine „zweckmäßige Subordination“ stellte, mittelst Dienstleistungen, und zwar auch außer dem Kanton, eben zur Füllung der Reihen der 16 000 Mann Truppen. Als nun aber mit den Niederlagen Napoleons auch sein Werk, die Mediationsverfassung der Schweiz, ins Wanken gerieth und mit der Wende der Jahre 1813 und 1814 vorzüglich in den früheren Patriciatsstädten der Schweiz die rückläufigen Bewegungen begannen, erklärte zur Ueberraschung Vieler, auch K. schon am 19. Januar im großen Rathe an der Spitze einer einstweilen noch in der Minorität stehenden Partei, daß die neu zu gebende cantonale Verfassung sich der alten Ordnung der Dinge annähern müsse, und er trat geradezu an die Spitze der Reaction in Luzern. Nachdem am 16. Februar unter [570] Führung des Schultheißen selbst – Rüttimann war gleich K. ein Anderer geworden, als er 1798 gewesen – der Staatsstreich gegen die mediationsgemäße Verfassung vollführt worden war, traten beide, Rüttimann und K., als Schultheißen an die Spitze der neuen am 23. Februar bestellten Regierung, von „Schultheiß, Räth und Hundert der Stadt und Republik Luzern“, unter entschiedener Zurückschiebung der Repräsentation der Landschaft, doch so, daß der alte Patriciat nicht in seiner ganzen Ausschließlichkeit neu erwachte, sondern durch eine Herrschaft der Stadtbürgerschaft überhaupt ersetzt wurde. Nach einer Seite zwar blieb K. auch jetzt fest, in jener schon von der alten patricischen Regierung in vielen Fällen – so im sogenannten Udligenschwiler Handel 1725 bis 1727, gegen den päpstlichen Nuntius – bewiesenen sorgsamen Wahrung der Rechte des Staates gegenüber der Kirche. Als der Klerus im Juni 1814 eine Denk- und Bittschrift zur Herstellung der Immunität und anderer Gerechtsame einreichte, blieb K., obschon mit Deputationen bestürmt, entschieden, so daß über seiner Erklärung, es werde, so lange er Schultheiß sei, nie etwas aus der Sache werden, die ganze Angelegenheit liegen blieb. Ebenso setzte er, anders als Rüttimann, der Frage wegen der Lostrennung vom Bisthum Constanz (s. d. Art. Göldlin, Bd. IX S. 336 und 387) seinen Widerstand entgegen, obschon er da nicht durchdrang; doch war er dem neugeschaffenen Provisorium abgeneigt und nahm möglichst geringen Antheil an der gesammten Sache. – Da starb K. ganz plötzlich in einer nie völlig aufgeklärten Weise am 12. September 1816. Auf dem Wege nach seinem reußabwärts gelegenen Landhause außerhalb der Stadt scheint er in dunkler regnerischer Nacht, während er, seine eine Tochter vor ihm, die andere hinter ihm, nach Hause ging, vom Pfade in den hart daranstoßenden Fluß durch einen Fehltritt gestürzt zu sein. Erst am 15. September, drei Tage später, wurde die Leiche da gefunden, wo jetzt an der Eisenbahnbrücke ein großes eisernes Kreuz auf einem Granitblocke die Stelle bezeichnet. K. war ein, besonders auch in historischen Dingen, wohl unterrichteter, dabei für Erziehungsfragen lebhaft sich interessirender Mann, als Politiker höchst entschieden, ein „Eisenkopf“. Ueber die bedenkliche Nachwirkung, welche dieser Todesfall durch den großen Untersuchungsprozeß vom September 1825 an für Luzern nach sich zog, ist schon in Bd. I S. 410 und Bd. VI S. 355 die Rede gewesen.

Vgl. Kasimir Pfyffer, Geschichte der Stadt und des Kantons Luzern, wo Vieles aus Keller’s eigenen hinterlassenen Aufzeichnungen geschöpft ist.