ADB:Heß, August
Heß: Heinrich Georg August H., einer der hervorragendsten Wasserbautechniker, wurde am 20. Mai 1827 in Lüneburg geboren. Seine Schulbildung erhielt er auf dem Gymnasium in Lüneburg und später in Verden. Nach Absolvirung des Gymnasiums besuchte er drei Jahre hindurch die Polytechnische Schule in Hannover und zwei Jahre das Polytechnikum in Karlsruhe, von wo aus er mehrere größere Studienreisen in die Schweiz, Italien und Oesterreich unternahm. Darauf studirte er noch fünf Semester auf der Universität Göttingen. Hier veröffentlichte er bereits ein beachtenswerthes Werk: „Die Leuchtthürme“ (Berlin 1851). Nachdem er das erste Staatsexamen im Wasserbaufach bestanden, wurde er am 1. April 1851 zum Bauführer ernannt und der Wasserbauinspection Neuhaus a. d. Oste zugewiesen. Hier wurde er vorwiegend mit Meliorationssachen beschäftigt und das war wol entscheidend für seine späteren Arbeiten. Außerdem nahm er auch an den Geschäften der Wasserbauinspection Neuhaus theil und führte namentlich die Reparatur der durch Sturmfluthen entstandenen Schäden der Otterndorfer Canalschleuse aus und leitete den Bau des Neuhauser und Basbecker Canals.
Nach wohlbestandenem zweiten Staatsexamen wurde H. am 12. Juni 1857 zum Wasserbauconducteur ernannt und zur Bearbeitung größerer Meliorationsprojecte, namentlich der Entwässerung des Wietzenbruchs in die Wasserbauinspection Celle versetzt. Am 1. Mai 1858 wurde ihm diese Inspection übertragen. Der Bezirk umfaßte 11 Aemter und die drei Städte Celle, Burgdorf und Gifhorn, das Gebiet der Aller von der Braunschweiger Grenze bis zur Grenze des Amts Verden. Hier bot sich ihm Gelegenheit zur Projectirung und Ausführung einer ganzen Reihe von Landesmeliorationen, namentlich in der Umgegend von Celle und Meinersen, welche von um so größerer Bedeutung für die Landescultur waren, als in den meisten Ortschaften zur Hebung der Landwirthschaft auch die Hebung der Wiesencultur unumgänglich erforderlich war. Es wurde jetzt auch von ihm das Project der Entwässerung des Wietzenbruch nach Ausführung der umfassenden Vorarbeiten speciell bearbeitet und veranschlagt. Die Fläche betrug 1000 ha, die Kosten der Ausführung wurden auf 2 141 000 Mk. berechnet. Es war jedoch bei der geringen Intelligenz der dortigen Bevölkerung nicht möglich eine Majorität für die Ausführung des Projectes zu gewinnen. H. wurde damals auch zu den Commissionsberathungen behufs Revision des Gesetzes über Ent- und Bewässerung und Erhaltung der natürlichen Wasserzüge berufen. In den Jahren 1860–1863 führte H. die Oberleitung über die Correction der Oberaller vom Drömling bis Dickhorst. Nach Angabe Sachkundiger trat eine Verzinsung des Baucapitals von rund 1/2 Million Mk. von 331/3% ein. 1861 unternahm H. im Auftrage und [279] auf Kosten der hannoverschen Regierung eine Reise zum Studium größerer Meliorationsanlagen in Deutschland, Belgien und Holland und im J. 1864 in gleicher Weise eine Reise nach Belgien, Holland und Frankreich zum Studium der Schifffahrtscanäle und des Einflusses derselben auf die Landwirthschaft. In den Jahren 1864–1866 leitete er die Vorarbeiten zu einem Project des Rhein-Weser-Elbe-Canals in der Provinz Hannover und führte die Bearbeitung des Projects und den Kostenanschlag aus. Ebenso bearbeitete er das Project der Entwässerung des Geester Moores bei Osterholz im Kreise Fallingbostel und leitete die Ausführung desselben. Während der Verwaltung der Stelle eines Oberbauraths bei der Landdrostei Lüneburg vom 1. Januar 1870 bis 1. April 1871 bearbeitete er neben den Dienstgeschäften die Melioration der Alpe-Niederung im Auftrage des Ministers für Landwirthschaft. Sie umfaßte eine Fläche von 4500 ha und wurden die Kosten auf rund 1 Million Mk. berechnet. „Die Melioration der Alpe-Niederung“ (Hannover 1871). Zugleich veröffentlichte er in der Zeitschrift des Architekten- und Ingenieurvereins zu Hannover Bd. XVII eine interessante Arbeit über „Die künstliche Entwässerung bedeichter Küstenmarschen mittelst der Fluth“.
Am 1. April 1871 nahm H. das Anerbieten, in die landwirthschaftliche Verwaltung überzutreten, an und siedelte als Meliorationsbauinspector nach Hannover über. Sein Bezirk umfaßte die Landdrosteien Hannover, Hildesheim, Lüneburg und Stade. Die beiden anderen Landdrosteien Aurich und Osnabrück wurden damals noch von Münster aus verwaltet, doch kamen sie am 15. Juli 1887 ebenfalls unter Heß’ Aufsicht, so daß er von dieser Zeit ab das Meliorationswesen der ganzen Provinz zu verwalten hatte. In seiner neuen Stellung erwartete ihn eine Fülle von Arbeiten. Zunächst setzte er seine Thätigkeit in Beziehung auf Meliorationen mittlerer Größe namentlich in der Gegend von Celle fort. Ferner bearbeitete er in Gemeinschaft mit dem Baurath Michaelis in Münster auf Grund seines ersten Projectes ein neues Project für den Rhein-Weser-Elbe-Canal und veröffentlichte dasselbe. Ferner wurde er im Juni 1871 nach Ungarn berufen, um ein Gutachten über die projectirte Verbesserung des Franzenscanals zwischen Donau und Theiß, sowie über die geplante Bewässerung einer an demselben belegenen Fläche von 400 000 Joch abzugeben. Infolge dieser Arbeiten, welche von der ungarischen Regierung volle Anerkennung fanden, sprach ihm der Minister Tisza den Wunsch aus, die Superrevision verschiedener großer Canal- und Meliorationsprojecte zu übernehmen und er wurde zu diesem Zwecke mehrfach nach Ungarn, Kroatien, Nieder-Oesterreich und Mähren berufen. Es handelte sich um Meliorationen, die zu den größten Europas gehören und deren Kosten 20–80 Millionen Mk. betrugen. Von dem Ministerium für Landwirthschaft wurde ihm in dieser Zeit auch die Oberleitung der Ausführung der Magdeburger Elb-Umfluth übertragen. In den folgenden Jahren bearbeitete er das Project eines Schifffahrtscanals zwischen Rostock und Berlin: „Das Project des Rostock-Berliner Schifffahrts-Kanals“ (3 Hefte, Rostock 1873, 1874 und 1875) und „Die Bedeutung des Rostock-Berliner Schifffahrts-Kanals für die landwirthschaftlichen Interessen“ (Rostock 1878). Bemerkenswerth ist noch eine kleine Arbeit: „Bemerkungen über Feststellung der Normaldimensionen für Schifffahrtskanäle“ (Hannover 1874). In diesen Jahren unternahm er mit einem Zuschuß vom Ministerium für Landwirthschaft eine Reise in die Schweiz zum Studium der Wildbäche und im folgenden Jahre eine Reise nach Oberitalien zum Studium der Bewässerungsanlagen. Die Resultate legte er nieder in: „Die Bewässerungs-Anlagen Ober-Italiens“ (Hannover 1874). Am 16. Mai 1879 wurde H. zum Baurath ernannt.
Der Ansicht, daß die Ueberschwemmungen durch Sammelteiche gemildert [280] oder gar beseitigt werden können, trat H. in ihrer Allgemeinheit entgegen in seinen „Bemerkungen über die Anlage von Sammelteichen“ in der Zeitschrift des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Hannover, Band XXVIII, 1882. 1883 unternahm er eine Reise nach Jütland und Schweden, namentlich zum Studium der größeren Bewässerungsanlagen in Jütland und der Seesenkungen in der Nähe von Stockholm. In demselben Jahre veröffentlichte er: „Die Bewässerungs-Anlagen im südlichen Theile der Landdrostei Lüneburg, insbesondere die Müden-Nienhofer Melioration“ (Hannover 1883). In diesen Jahren bearbeitete H. noch die Projecte der Geeste-Brinkumer Melioration, der Melioration im Amte Bruchhausen, Syke und Thedinghausen und der Correction der Ilmenau, veröffentlichte über dieselben eingehende Erörterungen und Gutachten und führte sie aus.
Als Mitglied des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Hannover hat er 15 Jahre lang in der Zeitung des Vereins über 45 Fachzeitschriften in fünf Sprachen Bericht erstattet. Für das „Handbuch der Ingenieurwissenschaften“ bearbeitete er das Capitel über Landesmeliorationen. Am 1. Juli 1891 legte er sein Amt als Meliorations-Bau-Inspector nieder, aber er gab sich der wohlverdienten Ruhe nicht hin, sondern arbeitete rastlos weiter. 1893 veröffentlichte er noch eine bemerkenswerthe Schrift: „Fortschritte im Meliorationswesen“. Außer mehreren kleineren Projecten bearbeitete er noch das Project einer Canalisation der masurischen Seeen in Ostpreußen, zu welchem Zwecke er eine längere Reise in diese Gegend unternahm. Am 11. März 1894 ging die vollendete Arbeit nach Königsberg ab und am folgenden Tage machte ein Schlaganfall seinem Leben ein Ende.
Wenn auch nicht alle der zahlreichen Meliorationen, welche er ausgeführt hat, den Erwartungen völlig entsprochen haben, so sind doch Tausende von Hektaren unfruchtbaren, sumpfigen Landes durch ihn in üppige Wiesen verwandelt und noch spätere Geschlechter werden die Früchte seiner rastlosen Thätigkeit ernten. Das Ausland hat auch die große Bedeutung der von ihm ausgeführten Meliorationen dadurch anerkannt, daß eine ganze Reihe von Culturingenieuren aus fast allen Ländern Europas zum Studium der Anlagen zu ihm gesandt wurde. Als Mensch hat sich H. bei allen, die ihn näher kannten, hohe Verehrung und Werthschätzung erworben. Er war ein Charakter ohne Falsch. Ein Fehler war vielleicht seine zu große Bescheidenheit, welche ihn hinderte, mehr hervorzutreten. In ihm hat, wie das Centralblatt der Bauverwaltung sagt, das Meliorationswesen seinen Altmeister verloren.