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Artikel „Hartmann, Alfred“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 25–27, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hartmann,_Alfred&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 04:17 Uhr UTC)
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Hartmann: Alfred H., schweizerischer Schriftsteller, geboren am 1. Januar 1814 auf Schloß Thunstetten (Kanton Bern), † am 10. December 1897 zu Solothurn. Der Angehörige eines seit 1632 in das Bürgerrecht der Stadt Bern aufgenommenen und hier in den Kreis der vollberechtigten Familien erhobenen Geschlechtes, war H. der Sohn des als Oberamtmann in Aarwangen waltenden Sigismund Emanuel H., der schon zwanzig Jahre früher das unfern liegende Schloß Thunstetten, mit ansehnlichem Gütercomplex, erworben hatte. Hier wuchs der Sohn in voller Freiheit auf, und erst als 1827 der Vater Thunstetten verkauft hatte und nach Solothurn, als der nächsten größeren Stadt, übergesiedelt war, erhielt der Sohn als der erste Reformirte, bei den Geistlichen des dortigen Collegiums den ersten geordneten Unterricht. In München, Heidelberg, Berlin empfing der Student vielfache Anregungen, ohne für die Rechtswissenschaft, für die er inscribirt war, lebhafteres Interesse zu gewinnen, und in Paris erwachte 1835 vollends in ihm der Entschluß, Schriftsteller zu werden. Nach Solothurn zurückgekehrt, trat er da in einen Kreis von Freunden ein – darunter der Dichter Krutter, der Maler Disteli (A. D. B. XVII, 275 u. 276; V, 256) –, der geeignet war, seine Schaffensfreude zu wecken. Ein erster Versuch, an dem diese Genossen sich betheiligten, war gleich 1836 „Der Morgenstern, eine Zeitschrift für Litteratur und Kritik“, die sich freilich nicht lange hielt. Doch nicht entmuthigt, begann H. auf das Jahr 1841 hin, mit Krutter und dem späteren Rector Schlatter, ein „Schweizerisches Jahrbuch für schöne Litteratur“ „Alpina“, an dem Bitzius, Ettmüller, Follen (s. A. D. B. II, 685 u. 686; VI, 398–400; VII, 148 u. 149), Rochholz (s. d. Artikel) sich betheiligten, das aber auch nur einen einzigen Jahrgang erlebte. Seit 1837 glücklich – mit einer Solothurnerin aus angesehener Familie – verheirathet, hielt sich H. in den nächsten Jahren mehr zurück, auch in politischen Fragen, obschon gerade diese Zeit äußerst bewegt war. Erst 1845 fing im „Wochenblatt für Freunde der Litteratur und vaterländischen Geschichte“, das die Fortsetzung des früher von Lüthy (s. A. D. B. XIX, 694–696) herausgegebenen „Solothurner Wochenblattes“ sein sollte, wieder ein neues Unternehmen an, bei dem der belletristische Theil H. oblag, der dafür auch einige der ersten Gedichte Gottfried Keller’s gewann; aber auch dieses Blatt wollte nicht recht gedeihen, während eine anfangs nur als Gratisbeigabe beigefügte Beilage eine ungeahnte Zukunft hatte. Das war der „Postheiri“, das von 1847 an selbständig erscheinende Witzblatt, auf das sich bald die Aufmerksamkeit der ganzen Schweiz richtete und das auch innerhalb ihrer Grenzen später nie wieder im entferntesten von ähnlichen Erscheinungen erreicht worden ist. Schon der Titel des anfangs nur alle vierzehn Tage erscheinenden und sehr bescheiden äußerlich sich darstellenden Blättchens war ein geschickter Griff; denn der langjährige Solothurner Briefträger, der unverwüstlich witzige „Postheiri“, dessen Bild alsbald den Nummern vorangestellt wurde, war eine in Solothurn allbekannte Persönlichkeit. Der Inhalt des Blattes, an dem H. durch sorgfältige Ausarbeitung, feines Maßhalten [26] und überlegene Ironie den Hauptantheil des Gelingens hatte, griff allmählich über die engen Schranken des Entstehungsortes hinaus, auf das politische Gebiet hinüber. Daneben aber schrieb H. auch Correspondenzen für größere deutsche Blätter, so Briefe „aus der Westschweiz“ für die Augsburger „Allgemeine Zeitung“. Ebenso besorgte er 1857 und 1858 das Feuilleton des Berner „Bund“. Aber außerdem kamen fortwährend von ihm belletristische, wissenschaftliche, litterarkritische Beiträge in eine größere Zahl schweizerischer und auswärtiger Zeitschriften und Zeitungen. In Solothurn war H. inzwischen 1855 Bürger geworden und immer mehr, auch als Mitglied von Behörden, festgewachsen. Als ein hochgeschätzter Förderer der Geselligkeit, festlicher Veranstaltungen, ganz besonders als der erste „Altgeselle“ der alle geistige Anregung in sich sammelnden „Töpfergesellschaft“ war H. gerade durch seine Unabhängigkeit auch in politisch bewegten Zeiten der rechte Mittelpunkt seines Kreises von Freunden. Doch zeigte er daneben als Besitzer eines größeren Landgutes auch lebhaftes Verständniß für die Landwirthschaft, und eifrig wirkte er an dem 1847 zum ersten Male veröffentlichten „Neuen Bauernkalender“ mit. So dauerte sein Arbeiten noch über das Jahr 1875, wo der „Postheiri“ einging, ununterbrochen fort. Aber in den letzten Jahren wurde es einsam um ihn. Nach dem Sohne starb 1886 auch der Schwiegersohn, Stadtbibliothekar Ludwig Glutz-Blotzheim; 1893 verlor er nach Jahrzehnte dauernder glücklicher Ehe die Gattin, und vom achtzigsten Jahre an wird sein Leben ein traumhaftes Hindämmern genannt. Allein nicht lange zuvor war H. noch eine Ehrfurcht gebietende Persönlichkeit gewesen: „Dichtes graues Haar umschattete das wohlgeformte schmale Antlitz; aus den scharfen Augen sprach der gereifte Ernst, blitzten indessen ebenso ein ursprünglicher Humor und gemüthvolle Schalkhaftigkeit“.

H. war ein äußerst fruchtbarer Erfinder und Erzähler, aber auch ein wahrhaft beachtenswerther Kenner historischer Thatsachen. Am meisten wurzelte er da wol auf dem eigenen Boden, des Landes am Jura und des Solothurner Volkes, in den 1852 und 1854 erschienenen „Kiltabend-Geschichten“, zu denen auch die von den Künstlern Walthard und Rittmeyer angefertigten Illustrationen sich trefflich fügten; ganz besonders die Solothurner Leser fanden in diesen zehn Erzählungen ihr eigentliches Leben vorzüglich wahr dargestellt. Als eine weitere „Folge“ kamen 1863 noch vier durch den Zeichner des „Postheiri“, Jenny, illustrirte Bändchen „Erzählungen aus der Schweiz“ nach. Auch gemeinnützig und sittlich bessernd wollte H. 1881 durch den Volksroman „Der gerechte Branntweinbrenner“ wirken. Eine nicht mehr so hochstehende Kraft schuf 1877 und 1879 die „Schweizer Novellen“ und „Neue Schweizer Novellen“, und das Gleiche gilt von dem 1878 veröffentlichten dreibändigen Roman „Fortunat“. Dagegen wurden in den 1883 und 1885 ausgegebenen drei Bändchen „Auf Schweizererde“ die selbstredend eingeführten „Aufzeichnungen des Bruders Arsenius“, eben weil sie ihren Schauplatz wieder bei Solothurn hatten, voll anerkannt. H. bewegte sich dabei auf dem Boden geschichtlicher Ereignisse, und so liegt denn auch sein größter Erfolg, mochte auch das Werk bei seinem Erscheinen viel angefochten werden, oder besser gesagt, eben aus diesem Grunde, in seinem 1858 publicirten „helvetischen Roman“, betitelt „Meister Putsch und seine Gesellen“, in dem er in einer Lebenswahrheit ohne Gleichen die ganze bunte Reihe der inneren Kämpfe und Wirren, die von 1840 an durch die Freischaarenzüge und den Sonderbundskrieg hin die Eidgenossenschaft zerrütteten, ehe sie sich 1848 die neue Verfassung gab, in einer Reihe von Bildern vorgeführt hat. Verfehlt war dabei einzig das abgegriffene Romanmotiv vom Tausche zweier Kinder, aus dem Patricierschlosse [27] und dem Bauernhofe; aber im übrigen sind die einzelnen Gestalten, ganz voran der alte Herr und der alte Bauer, oder die Localitäten mit ihrem Sonderleben, so das zum Untergang verurtheilte reiche Kloster oder das Treiben in der Festhütte eines eidgenössischen Schießens, mit Meisterschaft gezeichnet. Ein anderer historischer Roman war 1864 „Junker und Bürger“, aus den letzten Tagen der alten Eidgenossenschaft. Zwei weitere Bücher, 1861 „Junker Hans Jakob vom Staal“ und 1876 „Die Denkwürdigkeiten des Kanzlers Hory“, eines Neuenburgers des 17. Jahrhunderts, behandeln geradezu historische Persönlichkeiten; besonders ist die freie Umbildung der Tagebuchaufzeichnungen des Solothurner Staatsmannes, des wackeren Junkers vom Staal, schon dem Stoffe nach, eine wirklich erfreuende Erscheinung. Endlich ist die 1861 als Neujahrsblatt des solothurnischen Kunstvereins edirte Biographie: „Martin Disteli, ein Künstlerleben“ eine erste Probe der ausgezeichneten Befähigung gewesen, die dann H. 1863 bis 1871 in dem lieferungsweise erscheinenden Werke „Gallerie berühmter Schweizer der Neuzeit“ bewährte. Zu sehr gut ausgeführten lithographirten Porträts von Fr. und H. Hasler gab H. je auf vier Druckseiten hundert biographische Abrisse, die in geradezu unübertrefflicher Weise den Stoff zusammenfaßten, deren Inhalt auch in dem vorliegenden großen biographischen Sammelwerk viel und gern benutzt worden ist.

Vgl. von Redactor W. Rust (in Cur) im „Vaterland“, Nr. 283–285 10.–16. December 1897), das sehr gut gezeichnete „Zeit- und Lebensbild“ „Alfred Hartmann“, besonders aber neuestens Walth. v. Arx: „Alfred Hartmann, sein Leben und seine Schriften“ (Beilage zum Jahresbericht der Kantonsschule Solothurn 1901/1902), wo die von H. selbst für seine Familienangehörigen geschriebenen biographischen Rückblicke, in zehn Septennien von 1814 bis 1884 eingetheilt, benutzt sind.