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Artikel „Hahn, Hugo“ von Fries. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 706–709, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hahn,_Hugo&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 00:07 Uhr UTC)
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Hahn: Hugo H., am 18. October 1818 auf dem Gute Aahof bei Riga geboren, hatte bis zum Beginn seiner afrikanischen Missionsarbeit „ein an auffallenden Begebenheiten armes Leben“. Daheim genoß er eine strenge Erziehung, auf der Domschule und im Gymnasium zu Riga eine gute Ausbildung, die ihn schon 1834 zu einem Aufnahmeexamen beim Ingenieurcorps der russischen Armee befähigte. Die Wartezeit vor dem Eintritt in den Dienst wurde für sein inneres Leben entscheidend, gab daher auch dem äußeren eine Wendung und endete dank der Freundeshülfe seines Vetters und Schwagers Pastor Loesevitz mit dem Entschluß, Missionar zu werden. Trotz zurückhaltender Antwort der Rhein. Missionsgesellschaft verließ H. von seinem Vater und dem Segen seiner kranken Mutter († 1838) geleitet, im November 1837 die Heimath, um sich in Barmen vorzustellen. Eine 3/4jährige Probezeit, während deren er unter Anleitung des Lehrers Schmachtenberg an der reformirten Pfarrschule in Elberfeld unterrichtete, hatte den Erfolg, daß Inspector Richter ihn am 1. October 1838 in das Seminar aufnahm. 21/2 Jahre später wurde er ordinirt und mit der besonderen Instruction nach Afrika gesandt, die rhein. Mission vom Kapland aus über den Oranje bis ins Hereroland auszudehnen.

Vom 13. October 1841 ab, an dem H. afrikanischen Boden betrat, bis zu seinem Ende im J. 1895 ist sein Leben dann sehr wechselvoll und inhaltsreich gewesen, und dabei trotz aller scheinbaren Unruhe nicht erfolglos. Man mag schon staunen, wenn man bloß auf die ungeheuer anstrengenden Reisen achtet, die H. von der Kapstadt bis zum Kunene, hauptsächlich in unserem heutigen Deutsch-Süd-Westafrika unternommen hat. Er war der Bahnbrecher; [707] denn seine unter missionarischem Gesichtspunkt gemachten Fahrten und Forschungen haben (von linguistischen Errungenschaften noch ganz abgesehen) für die Landeskunde und Ethnologie, für die Kriegsgeschichte der afrikanischen Rassen wie für die colonisatorischen Unternehmungen Deutschlands größere Bedeutung gehabt als die Streifzüge des schwedischen Abenteurers Anderson und des englischen Straußenjägers Green! Aber was will das besagen gegen die Rolle, die H. in der Geschichte der rhein. Mission gespielt hat. 32 Jahre lang ist er (bis 1873) im Dienste der Barmer Gesellschaft thätig gewesen und hat mehr noch erreicht, als man ihm aufgetragen: nicht nur die Entstehung der Herero-Mission, auch die Arbeit unter den Ovambo ist ihm zu verdanken.

Nach einem Aufenthalt beim alten Schmelen in Kommagas überschritt H. 1841 mit seinem Genossen Kleinschmidt den Oranjefluß und ließ sich zunächst bei dem bekannten Jonker Afrikaner in Windhoek nieder, d. h. gerade auf dem Grenzgebiet zwischen den Nama und Herero, wo die unaufhörlichen Streitigkeiten für die Mission so verhängnißvoll werden sollten. Schon der Weihnachten 1842 geschlossene Friede ermöglichte ein Vorwärtsgehen, aber erst die Concurrenzarbeit des Wesleyaners Haddy nöthigte zur Aufgabe von Windhoek und zum Vorstoß nach Norden; erst seit der Besetzung von Otjikango (Neu-Barmen) am 31. October 1844 datirt die Herero-Mission, deren Träger eben H. war. Das eigenthümliche Rechtsverhältniß, in das er zu den Eingeborenen trat, erleichterte in etwas die Situation, es konnten sogar nach fünf Jahren zwei neue Niederlassungen angelegt werden (Otjimbingue 1849 und Okahandja 1850) und 1850 kamen vom Cap die ersten gedruckten Bücher in der Hererosprache. Trotzdem blieb die Pionierarbeit der ersten zehn Jahre, bei der nach Kleinschmidt’s Abzug H. wesentlich nur von Missionar Rath unterstützt wurde, namenlos schwierig und endete infolge der Raubzüge Jonker’s und nach der Zerstörung von Okahandja völlig resultatlos. In Windhoek waren die Methodisten verschwunden und so versuchte H., den Namahäuptling wenigstens dort zur Aufnahme rhein. Missionare zu bestimmen, aber auch das war umsonst: so fuhr er 1853 nach Deutschland. – Ebenso trostlos fand H. die Zustände noch, als er 1856 nach Otjikango zurückkehrte. 1858 konnte er zwar sein Hausmädchen, den Erstling der Herero, taufen, aber das täuschte ihn nicht darüber hinweg, daß die Stunde für dies Volk noch nicht gekommen sei. Ein Jahr später verließ er abermals Afrika, diesmal mit der Ueberzeugung, daß nur noch mit Hülfe colonisatorischer und zwar industrieller Unternehmungen ein weiterer Versuch lohnend sein würde. Durch energische Vertretung dieser Ansicht in Barmen erreichte H., daß er im J. 1864, von Handwerkern begleitet, von neuem auf Otjimbingue einsetzen konnte. Mittlerweile war manches anders geworden: Jonker war 1861 friedlos gestorben, und das war das Signal geworden zum Freiheitskampf der Herero (1868–1870); nach furchtbaren Greueln, unter denen natürlich die Arbeit wieder leiden mußte, wurde auf Hahn’s Betreiben im September 1870 endlich der Friede geschlossen, der zehn Jahre anhielt. Daß allen Hindernissen zum Trotz während dieser Jahre die Missionsarbeit einen sichtbaren Aufschwung nahm, lag an der energischen Arbeit, die H. an seinem in Otjimbingue eröffneten Nationalgehilfen-Institut (Augustineum) leistete, das unter dem Protectorat seiner Gönnerin, der Fürstin Elisabeth von Lippe-Detmold stand, das lag zum anderen entschieden an dem Einfluß der von H. angelegten Mustercolonie, deren Handel auch finanziell vortheilhaft war. – Leider entstanden gerade an diesem Punkte folgenschwere Differenzen zwischen H. und der rhein. Gesellschaft: er verlangte einen Kaufmann, der unter seiner Aufsicht und als Angestellter der Mission die Handelsgeschäfte in Otjimbingue übernehmen sollte, in Barmen trennte man aber aus [708] wichtigen principiellen Bedenken diese industriellen Unternehmungen gänzlich von der Missionsarbeit und übertrug sie einer (1870 in Barmen gegründeten) „Missions-Handels-Actiengesellschaft“, die dann aber nach vielen Verlusten bereits 1880 quittiren mußte. H. protestirte und trat, als man ihm nicht seinen Willen that, aus dem Verbande aus (1873). Er ließ auf dem Gebiet, wo er seit 1844 mühevolle Pionierdienste gethan hatte, nicht weniger als dreizehn Stationen zurück.

Noch bevor H. aber aus der rheinischen Gesellschaft ausschied, war auch der Grund zu einer Arbeit unter den Ovambo gelegt. Die erste Untersuchungsreise, die von dem aggressiven Manne schon 1857 mit Missionar Rath zusammen unternommen war, hatte allerdings in einem regelrechten Gefecht bei Ondonga ihren Abschluß gefunden, aus dem die beiden Freunde sich nur mit Mühe retteten. Bei einer zweiten Fahrt aber im J. 1866, die bis zum Kunene ausgedehnt werden konnte, fand H. überraschend freundliche Aufnahme. So konnte er mit gutem Gewissen den Propst Sirelius-Helsingfors, den Leiter der auf seine Anregungen hin entstandenen „Finnischen Missions-Gesellschaft“ veranlassen, im Ovamboland Erstlingsarbeit zu treiben; nach langen Verhandlungen kam es wirklich im J. 1870 dazu. Aber es blieb Hahn’s Lieblingswunsch, daß auch rheinische Missionare dort eintreten sollten, und es war eine große Freude seiner letzten Lebensjahre, als 1891 jener Wunsch in Erfüllung ging.

Die während der Missionsarbeit unternommenen Urlaubsreisen in die Heimath (1853–55 und 1860–63) waren auch mehr Arbeitszeit als Erholung. Abgesehen von seinen weiten Reisen in Deutschland, England und Rußland, auf denen er, besonders in den Ostseeprovinzen, durch seine imponirende Persönlichkeit der rhein. Missionsgesellschaft viele neue Freunde gewann, war H. speciell für „seine“ Herero thätig. Zweierlei ist hervorzuheben: Erstens wußte er als überzeugter Lutheraner in der confessionellen Krisis der Gesellschaft im Anfang der 60er Jahre dem lutherischen Bekenntniß innerhalb der unionistischen Gesellschaft, und zwar speciell für die Mission im Hereroland einen Platz zu sichern, für deren lutherischen Charakter er selbst später als Pfarrer in Kapstadt in fast kleinlicher Weise eintrat. Zum anderen arbeitete er mit unermüdlichem Fleiß an der Erforschung des Otjiherero, fertigte die ersten Uebersetzungen an, verfaßte eine Grammatik und erwarb sich dadurch um die Sprachwissenschaft so große Verdienste, daß ihm von der Leipziger Universität im J. 1873 honoris causa der Doctorgrad verliehen wurde. Aber alle Ehren konnten ihn seinem Beruf für Afrika nicht entfremden; selbst den Antrag, im J. 1863 als Nachfolger von Wallmann das Inspectorat der Berliner Missionsgesellschaft zu übernehmen, lehnte er ab, um wieder nach Otjimbingue zu ziehen.

Auch nach 1873 blieb H. in Afrika, da man ihn an die lutherische Gemeinde nach Kapstadt berief. Hier traf ihn 1880 der schwerste Schlag seines Lebens; er verlor seine treue, ihm ebenbürtige Gattin, eine Tochter des englischen Schriftstellers W. Hone, die er in Kapstadt einst kennen gelernt und 1843 geheirathet hatte. Im Auftrag der englischen Regierung kam H. als Friedensvermittler im J. 1882 noch einmal in sein geliebtes Hereroland, wo man den alten „Muhonge“ (Lehrer) mit unbeschreiblichem Jubel empfing, 1884 legte er sein Amt nieder, war von 1885–87 unterwegs in Europa und Amerika und machte sich 1887 zum fünften Male auf nach dem dunklen Erdtheil. Dort zog er zu seinem zweiten Sohn in die Pfarre von Paarl bei Kapstadt und starb in Kapstadt selbst am 24. November 1895, wo er neuankommende rheinische Missionsgeschwister begrüßen wollte.

[709] Das Grabkreuz in Paarl zeigt seines bewegten und äußerlich so unruhigen Lebens stetes Ziel und Losung: „Dein Reich komme“.

Fries.