ADB:Gsell Fels, Theodor
Tobler’sche Institut zu St. Gallen besuchen, wo Stähelin’s des Aelteren feurige Religionsvorträge ihre Knabengemüther zum Entschlusse Geistliche zu werden veranlaßten. Diesem Wunsche Theodor’s stimmten die Eltern bei, nachdem er das St. Galler Gymnasium und dann drei Jahre lang das später in ein höheres Gymnasium umgewandelte Collegium humanitatis durchlaufen hatte. Darauf studirte er 21/2 Jahre in Basel evangelisch-reformirte Theologie und Philologie und gewann daselbst bei einer philosophischen Preisaufgabe den ersten Preis. An der Universität Berlin setzte er diese Studien fort, insbesondere im Seminar von Strauß und Theremin, daneben die geliebten philosophischen bei Schelling. Aber die Theologie gewährte ihm keine Befriedigung, und als er die erste Predigt gehalten hatte, um seiner Mutter zu zeigen, daß er das Studium eifrig durchgeführt hatte, gab er, zumal sein Kehlkopf damals besonders angegriffen war (die Bronchien blieben ihm immer empfindlich), die Theologie auf und wandte sich in Berlin unter Hotho und Kugler der Kunstgeschichte zu. Als Abschluß und Ergänzung dieses Studiums durchwanderte er zu Fuß ganz Italien und trieb 1845–48 zu Paris naturwissenschaftliche Studien. 1848 in die Geburtsstadt heimgekehrt, wirkte er dort vier Jahre als Staatsarchivar. 1850 heirathete er ein durch seltene Vorzüge des Körpers und Geistes geziertes Fräulein: die Tochter des Regierungospräsidenten St. Gallens, Luise Charlotte v. Fels, deren Geschlecht, aus dem Val d’Aosta in Piemont, 1595 der damaligen Adelsgenossenschaft des Notveststeins einverleibt worden war. G. nahm da den Namen „Gsell Fels“ an, den fürder seine Werke weithin bekannt machen sollten, und ein Regierungserlaß erlaubte dann, in anbetracht der Verdienste des Schriftstellers, den Uebergang des Doppelnamens auf seine Nachkommen.
Gsell Fels: Johann Theodor G. F. (nicht Gsell-Fels), eigentlich Gsell, Kunsthistoriker, aber besonders Reiseschriftsteller, wurde am 14. März 1818 (nicht 1819) zu St. Gallen geboren, aus einer seit Jahrhunderten in diesem Kanton angesessenen aristokratischen Familie Gsell (seit 1516 nachweislich im Besitze des Schweizer Bürgerrechts), deren Mitglieder dort noch jetzt die ersten Staatsstellen bekleiden. Die Eltern, der Kunstmaler Jacob Laurenz Gsell und Susanna Martha geb. v. Schobinger, ließen ihre drei Söhne dasIn der Blüthe der Jahre ließ sich Gsell Fels’ lebhafter, wissensdurstiger, weltfreudiger Geist keineswegs an den längst völlig beendigten akademischen Studien genügen. So setzte er 1852 den Stab weiter und führte bis 1856 in Würzburg, Wien und Berlin ein regelrechtes Medicinstudium durch, promovirte auch danach, wie er schon Dr. phil. und theol. war. Und wirklich übte er, als ihn nun ein unwiderstehlicher Hang nach der Apenninenhalbinsel zog, in St. Gallen, in Nizza, dann in Pisa, in Zürich (1863–67) als ein in der Großen Welt vielgesuchter Arzt die Praxis aus, in beiden letzteren Städten auch als Privatdocent der Anthropologie und Ethnographie an der Universität thätig, schließlich seit 1867 in Rom. Dazumal sammelte er während einiger Jahre auf unablässigen Streifereien in Italien, dessen Inseln und nordwestlichem wie südwestlichem Grenzgebiete die Kenntnisse für seine seit 1868 erscheinenden Reisebücher. Im J. 1870 ließ er sich in Basel nieder, wurde da zum Mitgliede des Großraths gewählt, wirkte auch als staatlicher Schulrath und las an der Universität über italienische Kunstgeschichte. Erst 1880 erkor er sich einen endgültigen Wohnsitz, indem er nach München übersiedelte, wo er als Präsident des Aufsichtsraths der Gesellschaft zur Ausbeutung der ergiebigen [613] Jodquellen im nahen Bad Tölz-Krankenheil bis zuletzt fungirt, im übrigen aber, abgesehen von der vorübergehenden Wirksamkeit als Badearzt in der Schweiz (dem die feine Welt auch dahin folgte), während der Sommer 1887 bis 1895 (vgl. sein Nachschlagewerk „Die Bäder und klimatischen Kurorte der Schweiz“, 4. Aufl. 1896), sich der Pflege der Kunst und freier, wesentlich Reiseschriftstellerei gewidmet, ja, bald letztere als ferneren Lebensberuf erwählt hat. Zu jener sei erwähnt, daß seine Hauptneigung nach den Reisen archäologischen und kunsthistorischen Studien sowie der Musik galt. Meisterhaft spielte er Violine, hatte in Rom mit Franz Liszt musicirt, besaß auch seltene Meistergeigen, die er geradezu zärtlich liebte. Uebrigens hielt er auch seine allmählich bis auf 7000 Bände vermehrte Bibliothek, worunter einzelne Seltenheiten, Unica und Kunstwerke großen Werth hatten, hoch in Ehren. In München verlor er 1887 die theure Gattin durch den Tod, während, nachdem die beiden Söhne Wilhelm Jacob und Dr. Victor Theodor seit ca. 1878 bezw. 1888 fern in Südamerika zu Buenos Aires ansässig und verheirathet waren, die Tochter Ida Luise treubesorgt als Pflegerin und Stütze mit wahrhaft kindlicher Liebe dem arbeitsfreudigen Greise zur Seite verblieb. Und dies auch bei den letzten italienischen Touren, welchen der schon 76jährige, dauernd vom Wandertrieb beseelt, 1896 noch eine mühsame Fahrt durch Tunesien und Algerien anschloß. Vor kurzem erst von längerem Aufenthalte auf Rigi-First, wo der 80jährige Erholung und Kraft für eine neue Reise, die nun sich bis an die Grenzen des bereisten Innerafrika ausdehnen und von der Tochter Ida mitgemacht werden sollte, gefunden zu haben wähnte, zurückgekehrt, erlag er nach kurzem, schweren Krankenlager am 12. October 1898 zu München einem schmerzhaften Blasenleiden.
Theodor Gsell Fels’ Tod hat nicht nur in der Schweizer Heimath und seiner zweiten Heimath München, sondern weit über die Grenzen deutscher Zunge bis über das Weltmeer aufrichtige Trauer und dankbares Erinnern wachgerufen. In erster Linie bei dem weiten Kreise von Freunden und Bekannten, die ihn wegen seines unaufdringlichen, vielseitigen Wissens, seiner Herzensgüte, seiner heiteren und feinen Geselligkeit schätzten und verehrten. Die gebildete Gesellschaft hat ihn stets verwöhnt, besonders als er in jüngeren Jahren noch an ihrem Leben activ Antheil nahm. Die litterarischen Leistungen von über drei Jahrzehnten erwarben ihm einen hohen Ruf und lassen ihn in seinem Sonderfache als Autorität fortleben. Vor allem haben ihm die Reisehandbücher über das wiederholt durchwanderte und gründlich studirte Italien einen Namen gemacht (s. Schluß). Sogleich das erste Werk dieser Reihe bekundete ihn als einen Mann, den gründlichste Kenntniß von Land und Leuten, der Vergangenheit wie der Gegenwart, der geschichtlich-socialen Verhältnisse nicht weniger als der Kunstschätze nach echtester Autopsie zum Darsteller des Themas ausnehmend befähigten. Innerhalb des Rahmens der bekannten Sammlung „Meyer’s Reisebücher“ – herausgegeben vom Bibliographischen Institut in Leipzig – erschienen in mehrfach neu aufgelegter berichtigter Ausgabe die sechs Bände: Oberitalien (6. Aufl. 1898), Mittelitalien (4. Aufl. 1886; zus. 7. Aufl. 1903), Rom und die Campagna (5. Aufl. 1901), Unteritalien und Sicilien (4. Aufl. 1903); sämmtlich mit zahlreichen Karten und Illustrationen. Sie wurden binnen kurzem ein schier unentbehrliches Hülfsmittel für Italienreisende, die ernste Ansprüche an tiefere Eindrücke machen, und sind das bis auf den heutigen Tag geblieben. Für dieselbe Serie lieferte er den gedrängteren ‚Wegweiser‘ „Italien in 60 Tagen“ (2 Bde., 7. Aufl. 1903), sowie „Südfrankreich, nebst den Curorten der Riviera di Ponente, Corsica und Algier (Tunis)“ (6. Aufl. 1904), wo er seine Nizzaer Erfahrungen und die der Streifzüge südwärts bis aufs nordafrikanische [614] Küstenland mit bisher dafür unerreichter Authenticität verwerthete. Ueber ebendieselben Gebiete außer Südfrankreich gab er auf Grund obengenannter später Reise noch 1897 ein Specialwerk heraus. Zu den von der Kunstanstalt Frdr. Bruckmann in München unternommenen illustrirten Prachtwerken „Venedig“ (zuerst 1875, dann 1882) und „Die Schweiz“ (1875/77, 2. Aufl. 1882) schrieb G. F. den Text, der jedoch nicht, wie man hier und da liest, dann für sich erschien; allerdings gab er alles Wissenswerthe über „Venedig“ noch in knapperer Fassung (6. Aufl. 1903). Darauf folgte er dem Antrage, für „A. Bruckmann’s illustrirte Reiseführer“ weiterhin zu bearbeiten: „100 Ausflüge von München“ (Nr. 50–52 dieser Sammlung; 11. Aufl. 1904); „München. Große Ausgabe“ (Nr. 10–11; mit großem Plan Nr. 60–62); 12. Aufl. 1904; „München. Kleine Ausgabe“ (Nr. 75–75 a bezw. 76 je nach Größe des Planes), auch englisch „Munich“ (Nr. 77 a u. b); „Bayerisches Hochland etc.“ (Nr. 65–68; 9. Aufl. 1904), auch in einzelnen Theilen, und englisch als „The Highlands of Bavaria“ (Nr. 77–81); „Der Bodensee“ (Nr. 35–36, 3. Ausg. 1903); „Dresden und Umgebung“ (Nr. 31–32), auch große Ausgabe (Nr. 37–40); „Graz“ (Nr. 43; 5. Aufl. 1903); „Steiermark“ (Nr. 44–48; 1895, neu 1901); „Tirol. Südwestlicher Teil“ (Nr. 71–74; 1896); „Tirol. Nördlicher Teil“ (1897); „Vorarlberg und Algäu“ (Nr. 69 a u. b, 1895); Tirol gesamt 1903. In anderem Verlage behandelte er, der vieljährige Curort- und Badearzt, „Kissingen“ (1888) und „Aachen“ (1889) und ließ auf Schweizer Boden, in Zürich, außer dem schon angeführten Handbuche für die Schweiz ein, auch im Titel analoges über „Die Bäder und klimatischen Kurorte Deutschlands“ (2. Aufl. 3 Bde., 1891) – beide zusammen eine schätzenswerthe Bereicherung der balneologischen Litteratur und als compendiarischer Ueberblick mit durchaus verläßlichen Daten eine Grundlage der Orientirung –, sowie ein kleines Prachtwerk über „Die Schweiz“ drucken.
Die Gediegen- und Beliebtheit all dieser Reisebücher bezeugt die Nothwendigkeit zahlreicher Auflagen, denen er stets erneute Sorgfalt widmete, und die damit zusammenhängende starke Verbreitung. Sie zeichnen sich sammt und sonders durch peinliche Anleitung zu Genuß und Verständniß aus und besitzen eine hervorragende Besonderheit in der durchgängigen feinen und kritischen gleichen Rücksicht auf die Denkmale älterer Epochen und die noch im besprochenen Revier vorhandenen Kunstschätze. Und zwar gilt dies nicht bloß für diejenigen über Italien und München, wo er ja doch ganz zu Haus war, sondern auch für die über die Alpenländer, wo er uns zunächst einen rechten Einblick in die Schönheiten der Natur eröffnet. So ist der Name „Gsell Fels“ wie der Name „Baedeker“ – G. F. meinte scherzend, zwischen Baedeker’s Reisebüchern und den seinigen bestehe der unüberbrückbare Unterschied, daß er für den Geist zu schreiben trachtete, der andere für den Körper – beinahe zum Appellativnamen geworden (wie Frdr. Ratzel für den „Baedeker“ 1901 schön i. d. „Grenzboten“ [60, IV, 244] ausgeführt hat) für die Reiseführer der von ihm porträtirten Landschaften, Gegenden und Städte: ein Factum, das ihrem außerordentlichen Verdienste völlig entspricht. Die „Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik“ urtheilte in ihrem Nachrufe: „Wer eines dieser Reisebücher als Rathgeber benützt hat, der weiß, daß es ihn nie im Stich gelassen“. Und der verstorbene scharfsinnige britische Historiker Edward Augustus Freeman nannte G. F. sogar „the prince of guidebook makers“ (so citirt The Daily News v. 24. Oct. 1898 und British Medical Journal London 19. Nov. 1898). Freilich, alle diese Lobsprüche streifen kaum die höheren Aufgaben, die G. F. sich selbst gestellt und großentheils erfüllt hat: den Geist des Alterthums und der Geschichte, die Zusammenhänge des Völkerlebens, die Geheimnisse der Natur wie der Kunst andeutend zu erschließen.
- [615] Grundlage: der sorgsame Artikel von Archivrath Ernst v. Destouches i. „Biogr. Jahrb. u. dtsch. Nekrolog“, III 117 f., vom Verf. freundlichst zu freier Verfügung gestellt (ebenda am Ende Liste der wichtigsten Nachrufe) und die ausführlichen Notizen der „München. Neuest. Nachrichten“ Nr. 475, 477, 479 von 1898 im localen Theil. Außer den bei Destouches angegebenen brachten folgende Zeitungen Nachrufe: Frankfurter Zeitung (danach: Neue Hessische Volksblätter), Le Temps, Germania (Berlin), Le bulletin de la presse (Paris, 20. Oct.), Le Polybiblion Nov. 1898, u. a. kleinere Notizen. Diese und die bei Destouches genannten machte mir mit ergänzenden Angaben die Tochter Frl. Ida G. F. in München zugänglich. Dazu fügt noch G. Wolff’s Todtenliste im „Biogr. Jahrb. u. dtsch. Nekrolog“, V S. 25* Wolkenhauer’s Artikel in Wagner’s Geograph. Jahrbuch“ XXII 441, Leopoldina 34171 u. Dietrich’s Bibliographie der Zeitschriftenlitt., IV 112. Gsell Fels’ eigene letzte Bibliographie in Kürschner’s Dtsch. Litteraturkalender XXII 457 f.; Verlagsverzeichniß v. A. Bruckmann’s Reiseführern; neben den gut unterrichtenden Artikel in Meyer’s Konversationslexikon, VIII5 42, ist der ähnliche, aber oberflächliche i. d. Revue Encyclopédique v. 19. No. 1898 (falsch Geburtsjahr u. Todestag) zu stellen. – Porträts (alle nach derselben Aufnahme): „Die Schweiz. Illustr. Ztschr.“, Zürich, Dec. 1898; „Gartenlaube“, Nr. 43, Oct. 1898; „Dtsch. Rundschau f. Geographie u. Statistik“, XXI, S. 185 f.; „Amerikanischer Schweizer-Kalender für anno 1900“ (New-York; in einem Gruppenbilde bedeutender Neuverstorbener), u. ö.