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Artikel „Gravenhorst, Karl Theodor“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 516–518, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gravenhorst,_Theodor&oldid=- (Version vom 30. November 2024, 10:02 Uhr UTC)
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Gravenhorst: Karl Theodor G., Schulmann und Dichter, † 1886, wurde am 1. November 1810 zu Braunschweig geboren, wo sein Vater Ernst Heinr. Jul. G. damals Präfecturrath war und am 27. October 1840 als Geh. Finanzrath gestorben ist; seine Mutter Anna Wilhelmine war die Tochter des Kaufmanns J. J. J. Langerfeldt in Hannover. Er besuchte bis Michaelis 1828 das Gymnasium Katharineum seiner Vaterstadt unter dem Directorat von K. Heusinger, Scheffler und Friedemann, darauf ein halbes Jahr das Collegium Carolinum und bezog dann die Universität Leipzig, Ostern 1830 aber die zu Göttingen, um Philologie und Geschichte zu studiren. Hier haben Gottfr. Hermann, Karl Otfr. Müller, Dahlmann und J. Grimm als Lehrer am einflußreichsten auf ihn eingewirkt; besonders befreundet war er mit dem Aegyptologen Rich. Lepsius und dem späteren Wolfenbüttler Bibliothekar Ludw. Konr. Bethmann. Nachdem er Ostern 1833 in Göttingen das Staatsexamen bestanden hatte, wurde er hier ein Jahr als Hülfslehrer beschäftigt. Dann kam er als Hofmeister an die Ritterakademie zu Lüneburg, ging dort aber zu Neujahr 1837 als erster Collaborator an das Johanneum über. Ostern 1841 ward er Conrector am Gymnasium zu Göttingen, doch kehrte er schon Michaelis 1845 nach Lüneburg als zweiter Professor an der Ritterakademie zurück; 1847 wurde ihm hier auch das Inspectorat, d. i. die Leitung des Alumnats übertragen. Im folgenden Jahre wurde er für den 11. hannoverschen Wahlkreis (Harburg) an Professor Albrecht’s Stelle zum Abgeordneten für die Nationalversammlung in Frankfurt gewählt, in die er am 11. September eintrat. Er wirkte hier in sehr freisinnigem Geiste, indem er z. B. für Abschaffung des Adels, der nicht mit einem Amte verbundenen Titel, der Orden, [517] der Todesstrafe, der Censur u. a. stimmte und sich für die Uebertragung der erblichen Kaiserwürde an einen regierenden deutschen Fürsten erklärte. Anfang Juni 1849 kehrte er nach Lüneburg zurück; von den Besprechungen in Gotha hielt er sich fern, auch hat er nicht für das Erfurter Parlament candidirt. Vom Patronate der Akademie seines Amtes enthoben wurde er auf seine Beschwerde durch Verfügung des Kgl. Staatsministeriums bald darauf wieder eingesetzt. Doch wurde er noch zu Michaelis 1849 auf seinen Wunsch an das Andreanum in Hildesheim versetzt, wo er die Stelle eines Fachlehrers für alte Sprachen und Geschichte übernahm. Michaelis 1857 folgte er einem Rufe der Freien Stadt Bremen; er wirkte hier mit an der Reorganisation der Hauptschule und wurde der Director der sogenannten Gelehrtenschule. Er blieb hier bis Ostern 1866, wo er in seiner Vaterstadt Braunschweig die Leitung des vereinigten Ober- und Progymnasiums mit dem Titel eines Schulraths erhielt, zugleich Mitglied der Herzogl. Ministerialcommission sowie der Prüfungscommission für Candidaten des höheren Lehramts wurde. Im Jahre 1875 ward ihm im Nebenamte das Referat für das höhere Schulwesen im Consistorium in Wolfenbüttel übertragen, und als im Anfang 1877 für diese Angelegenheiten eine Oberschulcommission begründet war, wurde er stimmführendes Mitglied dieser Behörde. Für die höheren Schulen des Herzogthums ist G. eine Reihe von Jahren von großem Einflusse gewesen; so beruht das Reglement für Reifeprüfungen von 1879 wesentlich auf seinen Ausarbeitungen. Das Vertrauen, das er bei der Regierung genoß, zeigte sich auch darin, daß sie ihn für die Jahre 1869–79 als Abgeordneten in die Landessynode entsandte. Da seine Kräfte allmählich nachließen, trat er zu Ostern 1881 mit dem Titel eines Oberschulraths in den Ruhestand. Seine Absicht, ein größeres pädagogisches Werk auszuarbeiten, in dem er die Erfahrungen seiner 48jährigen Lehrthätigkeit niederzulegen dachte, und noch einige dichterische Uebersetzungen griechischer Dramen für den Druck fertig zu machen, hat er nicht mehr ausführen können. Er verfiel körperlich und geistig, bis am 28. Januar 1886 der Tod seinem Leben ein Ende machte. Ihn überlebte seine Gattin Sophie geb. Schultz, die er am 5. October 1838 in Lüneburg geheirathet hatte, bis zum 14. October 1889. – G. war in der Schule wie im geselligen Verkehre eine äußerst anregende, geistreiche Persönlichkeit, nichts weniger als ein einseitiger Schulmonarch. Er war seinem Berufe mit Eifer ergeben und hat in ihm die schönsten Erfolge erzielt. Kein Mann der Schablone und ein Feind allzugroßer Einengung des Lehrers durch das Reglement sah er das Ziel aller Erziehung in wahrer Humanität, in einer harmonischen Gesamtbildung aller geistigen und sittlichen Kräfte. Weder den Lehrern noch den Schülern gegenüber auf Formen großen Werth legend suchte er freie Entwicklung zu fördern, jeder Eigenart nach Möglichkeit Spielraum zu lassen. Fehlte es ihm auch etwas an einer energischen Geschlossenheit des Charakters, so ersetzte er das reichlich durch Güte und Aufrichtigkeit des Wesens, durch einen festen, optimistischen Glauben an einen guten Kern im Menschen, durch vielseitige Bildung, deren Ergebniß er beredt und gewandt vorzutragen wußte, durch Schlagfertigkeit und verständnißvolles Eingehen auf Anderer Gedanken und Meinungen. Er stand mit seinen Schülern auf fast freundschaftlichem Fuße, ohne daß diese, wenigstens so lange er in der Vollkraft seines Wirkens stand, jemals die innere Hochachtung vor ihm verloren[WS 1] oder die äußere außer Acht setzten, wenn sie ihn gelegentlich auch an seiner schwachen Seite, insbesondere seinem Autorenstolze, zu fassen wußten. Mit seinen Lehrern verkehrte er voll liebenswürdiger Rücksichtnahme, fast nur den collegialen, selten den amtlichen Ton anschlagend. Seine Gelehrsamkeit ging mehr in die Breite als in die Tiefe; mühsame [518] Einzelarbeit war nicht seine Sache. Ihn zog vor allem die ästhetische Seite des Alterthums an, und es war sein Hauptbestreben, das er für weitere Kreise mit gutem Ergebniß verfolgte, auch für diese die classischen Studien fruchtbar zu machen. Mit großem Erfolge hielt er namentlich in Hildesheim und Bremen öffentliche Vorträge aus dem Gebiete des classischen Alterthums. Diesem Zwecke sollten auch seine Uebersetzungen aus den griechischen Tragikern, sowie die der Odyssee dienen, die er, zum Teil in ganz anderem Versmaße, mit feinem Formgefühl und dichterischer Gestaltungskraft in edler Sprache dem Geschmacke der neueren Zeit anzupassen suchte. Eine selbständige Bearbeitung eines antiken Stoffes ist seine Tragödie Klytemnestra, die 1866 auf dem Stadttheater zu Bremen und 1872 auf den Hoftheatern zu Braunschweig und Wolfenbüttel zur Aufführung gelangt ist.

Vgl. Schulnachrichten des Martino-Katharineum zu Braunschweig, von 1882 S. 20 f. – Koldewey, Verzeichniß der Directoren und Lehrer des Gymnasiums Mart.-Kath. S. 24 f. – L. Drewes in den Jahrb. f. Philologie u. Pädagogik, II. Abtheilung, 33. Jahrg. (1887) S. 37–43, 65–76, wo auch Gravenhorst’s gedruckte und ungedruckte Schriften aufgeführt werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vorloren