ADB:Gossart genannt Mabuse, Jan

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Artikel „Gossart genannt Mabuse, Jan“ von Alfred Woltmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 404–406, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gossart_genannt_Mabuse,_Jan&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:11 Uhr UTC)
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Gossart: Jan G., Maler, genannt Mabuse (in lateinischen Inschriften Malbodius) nach seinem Geburtsorte Maubeuge im Hennegau, gest. zu Antwerpen am 1. October 1532. Sein Geburtsjahr ist unbekannt, die gewöhnliche Annahme: um 1470, ist eine auf irrthümlicher Voraussetzung beruhende Berechnung. Ein Bild von ihm in Hampton Court galt als das der Kinder Heinrichs VII. und hätte, nach dem Alter der Dargestellten, ungefähr um 1495 in England gemalt sein müssen. Aber das Bild ist allerdings von Gossart’s Hand, doch, wie schon das Costüm zeigt, nicht vor 1525 entstanden, und es stellt die Kinder Christians II. von Dänemark dar (H. Scharf, Archaeologia, vol. XXXIX). Dagegen ist wahrscheinlich Pinchart’s Vermuthung begründet, daß ein 1503 in die Malergilde zu Antwerpen eingeschriebener Jennyn van Hennegouwe mit unserem Künstler identisch sei, den auch van Mander „Jennyn de Mabuse“ nennt. „Er hat Italien und andere Länder besucht“, sagt Mander, „und war einer der ersten, welche die rechte Weise der Composition und der Darstellung profaner Gegenstände, nackter Figuren und allerlei Poetereien aus Italien nach Flandern brachten“. Zeit und Dauer von Gossart’s Aufenthalt in Italien stehen nicht fest; möglich, daß seine Reise ganz oder theilweise mit derjenigen des Grafen Philipp von Burgund, der etwa im J. 1508 als kaiserlicher Gesandter zu Julius II. ging, zusammenfiel. Wenigstens war nach dessen Rückkehr (um 1513) G. im Dienste dieses Fürsten, eines Bastards von Philipp dem Guten, und zwar gemeinschaftlich mit dem Venetianer Jacopo de’ Barbari, jenem interessanten Vermittler zwischen italienischem und deutschem Geschmack. Bei der [405] Ausschmückung des Schlosses Zuytborch waren beide beschäftigt, wie Gerard von Nymwegen, Philipp’s Biograph, berichtet. Auch als der Graf im J. 1517 Bischof von Utrecht wurde, folgte ihm G. dorthin und arbeitete für das Schloß Duerstede. Schon vor dem Tode dieses Herrn (1524) war er gelegentlich für andere Fürsten und Vornehme beschäftigt. König Karl, der spätere Kaiser, hatte ihm Ostern 1516 für ein Porträt seiner Schwester Eleonore und Anderes Zahlungen zu leisten. Die Erzherzogin Margaretha verwendete ihn 1528 zu Mecheln für Herstellung einiger älterer Bilder. In Mecheln scheint G. einige Zeit gelebt zu haben, da er, wie wir sehen werden, auch den Altar der dortigen Lucasgilde gemalt hat. Längere Zeit war Middelburg sein Wohnsitz, wo auch sein Schwiegersohn, der Maler Hendrik van der Heyden aus Löwen, lebte. Die Beziehung zu Christian II. von Dänemark, der nach seiner Vertreibung im J. 1523 in den Niederlanden residirte, wird nicht nur durch das Bild in Hampton Court, sondern auch durch einen vom 20. August 1528 datirten Brief des Königs bewiesen, der für das Grabmal seiner verstorbenen Gemahlin Isabella von Oesterreich „Jennyn’s“ Rath einholen will (Messager des sciences historiques, Gand 1855, S. 415). Wir kennen nur eine kleine Zahl echter und gesicherter Werke des Künstlers, von denen blos wenige datirt sind. Gossart’s Hauptwerk war ein großer Altar mit der Kreuzabnahme zu Middelburg, der 1568 durch Blitzschlag zerstört wurde. Dürer, der denselben Ende 1520 gesehen, bewunderte ihn im Colorit. Unter allem Erhaltenen steht der heilige Lucas, der die Madonna malt, im Dom zu Prag (zur Zeit in der Sammlung patriotischer Kunstfreunde daselbst) obenan. Er hatte mit zwei später dazu gemalten Flügeln von Michael Cocxie den Altar der Capelle der Malergilde in der Kathedrale zu Mecheln geschmückt und war von Kaiser Rudolf II. entführt worden; vergebens verlangte der Rath von Mecheln im J. 1614 das Werk von Kaiser Matthias zurück (vgl. das in der Revue d’historie et d’archéologie, T. I publicirte Document). Bei einer Reinigung im J. 1836 kam der vergessene Name des Meisters, Gossart, zum Vorschein. G. zeigt sich hier im Vollbesitz der flandrischen Technik und ihres trefflichen Colorits, in den Figuren sucht er den älteren Stil festzuhalten, und zwar in Haltung und Bewegungen wie in der etwas zu schweren Gewandung; nur hat er nicht mehr ganz die Tiefe und Innigkeit der alten Meister. Die Detailbehandlung in Schmucksachen und Beiwerk ist von höchster Feinheit. Die Renaissanceformen der Architektur sind offenbar in Italien an der Quelle studirt, wenn auch dem flandrischen Geschmack angepaßt; unter den Bildwerken, welche zur Decoration dienen, sind ein Knabe mit der Gans, ein bronzener Hercules vom Alterthum inspirirt. Der Hintergrund mit seinem effectvollen Durchblick ist ebenso vorzüglich in der charakteristischen Wiedergabe des Materials, Bronze und Marmor, wie in der vollkommen beherrschten Linien- und Luftperspective. In großen Kirchenbildern pflegt M. den traditionellen Stil möglichst festzuhalten, so in der mit seinem vollen Namen bezeichneten Anbetung der Könige in der Sammlung des Earl of Carlisle zu Castle Howard, einer großartigen Composition von 30 Figuren, bei welcher die Architektur ebenfalls eine von Italien beeinflußte Renaissance ist. In manchen kleineren Madonnenbildern strebt Mabuse nach größerer Freiheit vom älteren Stil in den Typen und den Motiven der Bewegung und geht auf eine Linienführung, eine Grazie, aus, für die Leonardo da Vinci und seine Schule die Vorbilder gewähren, während er zugleich die Kinderkörperchen auf das Feinste zu modelliren versteht. Vorzugsweise anmuthig ist die Madonna mit dem Kinde an der offenen Brust im Kunstverein zu Münster (bezeichnet), während bei der Madonna mit dem Knaben im Hemdchen, der einen Apfel hält, im Berliner Museum, die Motive schon an das Gezierte streifen. Ein Brustbild der Maria mit dem Kinde in der Dresdener Gallerie ist in den Zügen besonders individuell. Nach Adel der [406] Form und Bewegung strebte G. namentlich in einer kleinen Madonna in ganzer Figur auf einem Renaissancethron, 1527 datirt, in der Münchener Pinakothek und öfter wiederholt. Eben so häufig ist schon in alter Zeit das kleine Eccehomo-Bild im Museum zu Antwerpen (bezeichnet) copirt worden. Das 1517 datirte Diptychon im Louvre, das auf einer Tafel die Madonna, auf der anderen Jean Carandolet, den Kanzler von Flandern, im Brustbild zeigt, ist für G. als Bildnißmaler charakteristisch. Hier wie in dem erwähnten Bilde der drei Kinder Christians II. zu Hampton Court ist zwar die Neigung zu etwas übertriebener Plastik in der Modellirung, zugleich aber auch ein vollendetes Naturgefühl wahrzunehmen; eine zu große Blässe im Fleisch ist nur einem Schwinden der rothen Töne zuzuschreiben. Die Goldwägerin im Museum zu Berlin ist eine individuelle und anziehende Genrefigur. Am wenigsten werden wir den von G. gemalten mythologischen Gegenständen, den „Poetereien“, die seine Zeitgenossen vor allem interessirten, Geschmack abgewinnen. Seiner 1527 datirten Danae, die in einem säulengetragenen Rundbau sitzt und den Goldregen im Schooße auffängt (München, Pinakothek) fehlt idealer Schwung und die Poesie des Sinnlichen. Bei nackten Figuren in großem Maßstabe, wie dem Neptun mit der Amphitrite, von 1516, im Berliner Museum, den zwei Adam- und Eva-Bildern ebenda und in Hampton Court, sucht er sich die imposanten Motive, die virtuose Behandlung der Muskeln, wie er sie bei Michelangelo kennen gelernt, anzueignen, wird aber schwülstig, gesucht und kalt in der Farbe. Fraglich ist, ob die Bezeichnung Cosart auf einem der letzten Bilder in dem berühmten Brevario Grimani der Marcusbibliothek zu Venedig, der Disputation der heiligen Katharina mit den Philosophen, auf M. geht. Die Renaissance des Hintergrundes entspricht seinem Geschmack, während sonst spätgothische Architektur in diesen Miniaturen vorwiegt. Keinesfalls hat aber Mabuse an diesem wol schon Ende des 15. Jahrhunderts vollendeten Brevier einen weiteren Antheil, als daß er auf einem noch leer gebliebenen Blatte einen gelegentlichen Versuch in der Miniaturmalerei machte. – Neben Quintin Messys ist Mabuse damals der größte niederländische Maler. Jener bleibt der heimathlichen Tradition treuer und ist somit in sich einiger, während G. es zwar oft zu einer größeren Freiheit, einem moderneren Gepräge des Stiles bringt, dabei aber in einen Zwiespalt zwischen flandrischem Charakter und italienischen Einflüssen geräth.