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Artikel „Glayre, Moritz“ von Wilhelm Gisi in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 206–208, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Glayre,_Moritz&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 03:37 Uhr UTC)
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Glayre: Moritz G., schweizerischer Staatsmann. Geboren 1743 in Lausanne aus einer Pfarrersfamilie, † 1819. Er verlor seinen Vater schon im sechsten Monate, die Mutter im sechsten Jahre und das elterliche Vermögen reichte mit Mühe zu seiner Ausbildung hin, die er an den Schulen seiner Vaterstadt erhielt. Nach Beendigung seiner Studien an der dortigen Akademie ging er als Begleiter eines polnischen Großen auf Reisen und wurde so im J. 1764 dem Könige Stanislaw August II. bekannt, der am 7. Septbr. gleichen Jahres den polnischen Thron bestiegen hatte. Er trat zunächst als geheimer Cabinetssecretär in dessen Dienste; 1768 wurde er dann der Gesandtschaft in St. Petersburg beigegeben, die er einige Zeit auch selbst als Geschäftsträger leitete, kehrte aber, da der König ihn in seiner Nähe zu haben wünschte, schon nach einigen Monaten nach Warschau zurück, mit einem Empfehlungsschreiben Katharinas II., in welchem sie ihn angelegentlich zur Beförderung vorschlug. Fast 20 Jahre war er darauf als wirklicher geheimer Cabinetsrath mit Ausarbeitung von Staatsschriften, mit Missionen nach Berlin, Wien und Paris und in der Umgebung des Königs thätig und erwarb sich in dieser Stellung durch Talent, Integrität und Hingebung dessen vollstes Vertrauen, so daß derselbe ihn zum Ritter des weißen Adler- und zum Großkreuz des Stanislaw-Ordens ernannte, in den Adelstand erhob und ihm 1771 durch den Reichstag das polnische Indigenat verleihen ließ. Als scharfblickender Beobachter konnte er, zumal nach der ersten Theilung (am August 1772) über den baldigen Untergang Polens nicht in Zweifel sein; er suchte Stanislaw umsonst zur Abdankung zu bewegen, harrte aber bei ihm aus. Als jener darauf 1787 die Reise zu Katharina II. nach Cherson unternahm, bat G., um der demüthigenden Scene nicht anwohnen zu müssen, um einen Urlaub zur Reise nach der Schweiz. Im Mai traf er in Lausanne ein, aber er sah Polen nicht wieder. Eine vortheilhafte Heirath, die er im Januar 1788 in Lausanne einging, fesselte ihn für immer an den heimathlichen Boden. Er besorgte noch eine Mission nach Paris und reichte dann seinen Abschied ein, auf welchem er beharrte, auch als ihm der König den Gesandtenposten in Paris anbot; doch blieb er mit jenem bis zu dessen Tode (12. Febr. 1798, in fortwährendem vertraulichen Briefwechsel. Zehn Jahre lebte G. darauf als glücklicher Familienvater und in behaglichem Wohlstande, mit der Erziehung seiner Kinder und der Bewirthschaftung seines Landguts beschäftigt, in Romainmotier, als die helvetische Revolution ihn auf den öffentlichen Schauplatz seines Heimathlandes rief. Obwol er die Schäden des bernischen Regiments in der Waadt nicht verkannte, widerstrebte er doch einer gewaltsamen Umwälzung, er suchte noch in der letzten Stunde Bern zu Zugeständnissen, speciell zur Einberufung einer waadtländischen Ständeversammlung behufs Geltendmachung der Volkswünsche, zu bewegen. Aber als alle seine Bemühungen erfolglos, andererseits aber seit dem 28. Decbr. 1797 die französische Invasion der Waadt ausgemacht war, schloß er sich der Revolution entschieden, jedoch mit der festen Absicht an, sie in friedliche Bahnen zu leiten und allen Ausschreitungen entgegenzutreten. Ihm vor allen ist es neben anderen Männern zu verdanken, wenn die waadtländische Umwälzung einen so raschen und ruhigen Verlauf nahm, ohne Gewaltthat, ohne Blutvergießen, ohne Verletzung von Privatrechten. Unter seinem Vorsitz trat am 26. Januar 1798 in Lausanne eine „provisorische Versammlung“ von Abgeordneten der Stadt- und einzelner Landgemeinden zusammen, welche die Unabhängigkeit der Waadt verkündigte und das Land als „lemanische Republik“ constituirte; ward am 9. Februar die helvetische Constitution angenommen, womit Waadt als selbständiger Kanton in die zu gründende „helvetische Republik“ eintrat und wodurch die Revolution nach wenigen Tagen beendigt war. Nach Gebühr ward G. dann am 31. März als erstes [207] Mitglied in die Verwaltungskammer des neuen Kantons gewählt und versah provisorisch das Amt eines Präfecten desselben, bis ihn das Vertrauen des weitern Vaterlandes in die eidgenössische Executive berief. Am 16. April ward er von den gesetzgebenden Räthen, die am 12. zur Constituirung der helvetischen Republik zusammengetreten waren, in Aarau mit Männern, wie Legrand, Oberlin, Bay und Pfyffer (s. d.), als zweites Mitglied in das Vollziehungsdirectorium gewählt, in welchem er in der Folge wiederholt den Vorsitz führte. Durch Lebens- und Weltkenntniß, Besonnenheit und Würde für diesen wichtigen Posten vorzüglich geeignet, suchte G. die neuen staatlichen Einrichtungen zu befestigen, sie dem stürmischen Treiben der Demagogen zu entziehen und die nationale Unabhängigkeit gegenüber der Einmischung Frankreichs aufrecht zu erhalten. Leider kamen aber als Ersatz für austretende Mitglieder Elemente ins Directorium, in welchen G. keine Stütze für diese Bestrebungen fand und seit dem Eintritt (am 28. Juni 1798) und unter dem prädominirenden Einflusse Laharpe’s (s. d.) gerieth es bald auf eine Bahn, welche zum förmlichen Schreckensregimente führte. G. trat diesen Tendenzen mit allem Nachdruck entgegen, er bekämpfte das französische Bündniß, die gewaltsame Unterdrückung der Insurrection in Nidwalden, die Deportation der aristokratischen Parteihäupter, die Organisation von Kriegsgerichten in den insurgirten Landestheilen und andere sogenannte „große Maßregeln“ Laharpe’s aufs Entschiedenste. Dadurch und weil er mit ihnen nicht in den Kampf auf Leben und Tod gegen die anderen Parteien stimmen wollte, erregte er den Haß der „Patrioten“, während die Aristokraten ihn nicht weniger darum verfolgten, weil er die Contrerevolution nicht befördern wollte. Durch diese Angriffe verletzt, durch die Erfolglosigkeit seines Widerstandes ermüdet und mehr und mehr kränkelnd trat G. von seinem Posten zurück, auf welchem er am 9. Mai 1799 durch Dolder (s. d.) ersetzt wurde. Aber je mehr das revolutionäre Treiben allmählich nachließ, gelangten seine Verdienste, namentlich bei den Deutschschweizern, die in ihm den ersten Mann der Republik erkannten, zur Anerkennung. Nach dem Umschwung vom 7. Januar 1800 ward er in den Vollziehungsausschuß und nach dem 8. August 1800 in den Vollziehungsrath gewählt. Dieser sandte ihn darauf im October 1800 nach Paris, um bei dem herannahenden Continentalfriedensschlusse die Anerkennung der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz zu erwirken und um einen mittlerweile ausgegearbeiteten neuen aber auf der bisherigen Grundlage der repräsentativen Einheit basirenden Verfassungsentwurf zur Genehmigung zu empfehlen. Den ersteren Zweck erreichte G. im Wesentlichen, dagegen wies der erste Konsul das Verfassungsproject als eine unschickliche Nachahmung der französischen Constitution zurück, übergab dem Gesandten vielmehr am 30. April 1801 bei einer Audienz zu Malmaison einen ihm von anderer Seite zugestellten Entwurf in mehr föderalistischem Sinne, den er dringend zur Annahme empfahl. Umsonst hatte G. durch seine während dieses Aufenthalts in Paris geschriebenen „Lettres sur l’Helvetie“ (Zürich 1801), Briefe eines Schweizers an einen russischen Officier über die Vorzüglichkeit des Unitarismus oder Föderalismus für die Schweiz, sich in ersterem Sinne ausgesprochen. Am 23. Mai traf er wieder in Bern ein und half nun Angesichts der dringenden Nothwendigkeit durch seine Berichte und Rathschläge selbst dem französischen Entwurf Eingang verschaffen. Darauf trat er aus dem Vollziehungsrathe aus, in welchem er durch Usteri ersetzt wurde und kehrte in die schöne Einsamkeit seines Landguts zurück. Aemter nahm er seither keine mehr an. Er vertrat lediglich noch seinen Kanton an der Tagsatzung von 1801, war bei der Inkraftsetzung der Mediationsverfassung vom 19. Febr. 1803 in der Waadt thätig und vertrat im Großen Rathe der letzteren vom 28. März 1803 bis Decbr. 1813 den Kreis Romainmotier. G. † in Romainmotier am 26. März 1819.

[208] Drei Briefe Glayre’s an H. Zschocke, autobiographische Notizen enthaltend d. d. Romainmotier 12. und 28. März und 20. April 1804 (in der Kantonsbibliothek in Aarau), die Zschocke seiner Darstellung in den „Historischen Denkwürdigkeiten der helvetischen Staatsumwälzung“, 3. Bd. (Winterthur 1804), S. 43–62, zu Grunde legte. – Lutz, Moderne Biographien (Lichtensteig 1826), S. 85 ff. A. de Montet, Dictionnaire Biografique des Génévois et Vaudois (Laus. 1877), I. 368. Gazette de Lausanne 1813 und 1819. – Dazu die allgemeinen Werke über die helvetische Revolution von Tillier, Monnard, Verdeil, de Seigneur u. a. m.