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Artikel „Gerstmann, Martin von“ von Colmar Grünhagen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 472–475, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gerstmann,_Martin_von&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 18:09 Uhr UTC)
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Martin (Gerstmann), Bischof von Breslau 1574–85. Geboren zu Bunzlau 1527, wo sein Vater Bürgermeister war, wandte er sich ursprünglich dem Studium der Rechte zu und erlangte auch zu Padua die akademische Würde eines Dr. jur. utr., widmete sich aber dann dem geistlichen Stande, wo ihm dann bald die Gunst des Breslauer Bischofs Caspar Canonikate am Dom zu Breslau und gleichzeitig auch bei dem Stift zu Neiße verschaffte. Das Breslauer Capitel wählte ihn zum Custos und 1571 sogar zum Dechanten. Aber auch Kaiser Maximilian II. war auf die in ihm vereinigten Gaben des Geistes und Charakters, eine glänzende Beredsamkeit, große Gelehrsamkeit, schnelle Orientirungsgabe auch in verwickelten Verhältnissen, eine herzgewinnende Freundlichkeit und eine milde besonnene Art des Verkehrs mit den Menschen aufmerksam geworden und hatte ihn deshalb als kaiserlichen Sekretär und zugleich als Erzieher seiner beiden jüngeren Söhne Matthias und Maximilian (wohl um 1570) an seinen Hof berufen, wo er dann auch vielfach Gelegenheit fand, sich der Angelegenheiten des Breslauer Bisthums und des dortigen Domcapitels anzunehmen. Als 1574 Bischof Caspar von Breslau starb, ließ Kaiser Max II. durch seine Commissarien, den Herzog Georg II. von Brieg, Abt Andreas von Heinrichau und den Kammerpräsidenten Freiherrn Seyfried von Promnitz erklären, er sähe aus Rücksicht auf die Wahlfreiheit des Kapitels von dem Vorschlage eines Candidaten ab, spreche aber den Wunsch aus, man möge keinen „Polaken“ noch überhaupt einen Ausländer wählen (Instruction vom 25. Juni 1574 im Bresl. Staats-Archiv). Das Kapitel wußte jedoch ganz wohl, daß es im Sinne des Kaisers handle, wenn es M., den er zur Wahlhandlung von Wien nach Breslau zu gehen bestimmt hatte, erwähle, was nun am 1. Juli 1574 erfolgte. Der Kaiser beeilte [473] sich dem Neugewählten in den herzlichsten Ausdrücken zu gratuliren (Schreiben vom 5. Juli bei Heyne, Bisth. Breslau III, 778. Anm. 5) und durch eine besondere Gesandtschaft seine Bestätigung bei Papst Gregor XIII. zu betreiben, die dann auch bald erfolgte, so daß M. schon am 28. Septb. 1574 seinen feierlichen Einzug in die bischöfliche Residenz Neiße halten konnte. Schon vorher hatte der Kaiser M. zum kaiserlichen Rath und Oberlandeshauptmann von Schlesien ernannt, und ihn auch, um den durch solche Erhöhung eines bürgerlichen Mannes verletzten Stolz der schlesischen Fürsten und Herren zu beschwichtigen als Comes Sacri Lateranensis Palatii in den Adelstand erhoben. Bischof M. hat dann als kaiserlicher Gesandter in Warschau 1575 bei der Königswahl viel dazu beigetragen, die Wahl zum polnischen König nach der Flucht von Heinrich Valois auf Kaiser Max zu lenken; doch hat der plötzliche Tod des Letzteren 1576 den von einer Gegenpartei aufgestellten Großfürsten von Siebenbürgen ohne Weiteres obsiegen lassen. In Schlesien hatte M. als kaiserlicher Commissar 1581 die Abdankung des durch seine wunderlichen Abenteuer bekannten Herzogs Heinrich XI. von Liegnitz (vgl. dessen Biographie) zu erwingen, und trotz der Kläglichkeit der militärischen Execution, für die der Bischof nicht verantwortlich zu machen war (vgl. Kraffert, Chronik von Liegnitz II, 2. 85 ff. und das merkwürdige Gedicht darüber Schles. Zeitschr. XIX, 558), unterlag der Herzog, kam in Gefangenschaft und mußte seinem Bruder den Platz räumen. Bischof M. hat dann auch zugleich seine geistliche und seine weltliche Gewalt als Landeshauptmann dafür eingesetzt, die Einführung des von Papst Gregor XIII. verbesserten Kalenders 1583 in Schlesien durchzuführen, und obwohl die protestantischen Schlesier das Werk eines Papstes anfänglich mit ungünstigen Augen ansahen, so gelang doch die Einführung der neuen Zeitrechnung, der dann bald die der sogenannten halben auf 12 statt auf 24 Stunden normirten Uhr folgte. Auch in seinem bischöflichen Amte verstand es M., die Kunst der Diplomatie zur Anwendung zu bringen, und als der Erzbischof von Gnesen 1577 den Versuch machte, die thatsächlich außer Geltung gekommene Abhängigkeit des Breslauer Stuhles von dem Gnesener Erzstifte dadurch zu erneuern, daß er ihn zum Zwecke der gemeinsamen vom Papste angeordneten Proklamirung der Beschlüsse des Tridentinums zu einer Synode nach Petrikau einlud, wußte er unter Berufung auf seine Unabkömmlichkeit als Oberlandeshauptmann in den verbindlichsten Formen einer Theilnahme daran sich zu entziehen, ohne jedoch die Zugehörigkeit seines Bisthums zu dem Gnesener erzbischöflichen Sprengel in Abrede zu stellen (vgl. Montbach, Statuta synod. eccl. Wrat. 140). Dagegen hielt er 1580 in Breslau eine eigene Diöcesansynode, in welcher er sich zu den Beschlüssen des Tridentinums bekannte und damit zugleich den Gegensatz gegen die in dem größten Theile von Schlesien zur Herrschaft gekommene neue Lehre in aller Schärfe hinstellte. Wenn er dabei noch einige Vorbehalte machte und eine Moderatio in nonnullis rebus für nöthig hielt, bezüglich deren eine besondere Gesandtschaft an den Papst abgesandt wurde und eine spätere Synode beschließen sollte (Montbach 143), so betraf das anscheinend wohl nur gewisse Prärogationen der bischöflichen Gewalt, denen man in Trient zu nahe getreten zu sein schien. Was den Gegensatz gegen den Protestantismus anbetrifft, so hat er bezüglich seiner Gesinnung die Erwartungen des ungemein eifrigen Breslauer Domcapitels, welches in ihm einen entschiedenen Vorkämpfer für die katholische Lehre sich zu wählen gemeint hatte, zu rechtfertigen sich bemüht. Er hat unzweifelhaft die Niederhaltung des Protestantismus aufrichtig gewünscht und zur Bekämpfung desselben an einzelnen Orten, wie in Canth, Glogau und auch in Neiße Anläufe genommen, ja er [474] hat sogar dem immer wiederholten Wunsche seines Capitels entsprechend, sich um die Einführung von Patres des Jesuitenordens in Schlesien eifrig bemüht. Etwa 1580 gelang es ihm auch, zwei dieser Väter auf dem Dome zu Breslau zu etabliren, wo der Eine 1581 regelmäßige Predigten begann. Dagegen fand sein weiterer Plan, das Breslauer Dominicanerkloster zu St. Adalbert, nachdem man die wenigen Bewohner desselben anderweitig untergebracht hätte, zu einem Jesuitencollegium umzugestalten, große Hindernisse, namentlich in der auf das Feindseligste gegen den Orden aufgeregten Gesinnung der Breslauer Bevölkerung, und als dann auch die Fürsten und Stände gegen jenen Plan Protest erhoben, versagte ihm selbst der Kaiser jede Unterstützung, ja er tadelte sogar den Bischof wegen der Eigenmächtigkeit, mit der er in dieser Sache vorgegangen sei (v. Prittwitz, Versuche der Einführung der Jesuiten in Schlesien vor 1618, Schles. Zeitschr. XVIII, S. 78). Seinem Domcapitel hat M. freilich nicht genug gethan. Es war im Grunde sehr erklärlich, daß der Bischof, der als Oberlandeshauptmann in der Ausführung der kaiserlichen Aufträge so vielfach sich auf den guten Willen der fast ausschließlich protestantischen Fürsten und Stände angewiesen sah, mehr für eine milde und versöhnliche Politik stimmte. Nach dieser Seite zog ihn auch die ganze humane Anlage seines Charakters. So hat er unbeschadet der eigenen Ueberzeugung bis an seinen Tod in enger Freundschaft zu dem streng protestantischen Herzog Georg von Brieg gestanden, wie dies ein reichhaltiger (auf dem Breslauer Staatsarchive noch aufbewahrter) Briefwechsel bekundet. In ihm ist vielfach von gewechselten Gaben (namentlich Wildpret, Fische, Früchte) die Rede; wir sehen, daß fast bei jedem Familienfeste das in Brieg gefeiert wurde, der Bischof theilnimmt, er hilft nicht nur durch Lieferungen für die Tafel aus, sondern leiht auch sein Silberzeug und seine Majoliken, stellt seine Diener zur Verfügung und erscheint selbst als willkommener Gast, bis in den letzten Jahren zunehmende Kränklichkeit dies verbietet. Auch der Familie des Herzogs zeigte der Bischof herzliches Wohlwollen, die Herzogin nimmt mehrfach und nicht ohne Erfolg seine Verwendung ihrem Gemahl gegenüber in Anspruch. In seinem Testamente vermacht er seinem herzoglichen Freunde seinen besten Ring und einen kostbaren Pelz. So hat M. auch zum Aerger des Domkapitels zu der wichtigen Stellung eines bischöflichen Kanzlers in der Person des Simon Haniwald einen Mann erhoben, den er als treuer Diener schätzte, den aber das Kapitel als Katholiken nicht anzuerkennen vermochte (Extrakt aus den Kapitelsprotokollen bei Kastner, Archiv d. Bisth. Bresl. I, 120). Bei solcher Gesinnung wurden denn auch die Maßregeln gegen den Protestantismus, so z. B. in Glogau und in der bischöflichen Residenz Neiße nur zum Theil ausgeführt und Vieles stillschweigend geduldet, was die strenger Gesinnten nicht billigten (Misberg, Geschichte von Neiße 103). Bei dem wissenschaftlichen Interesse, das er besaß und das er dann auch in einer Verbesserung der Neißer lateinischen Schule bethätigt hat, glaubte er sich auch verpflichtet, auf die Abfassung einer gründlichen Geschichte seiner schlesischen Heimath hinzuwirken, welche dann auch den damals vielgelesenen schlesischen Annalen des Joach. Curäus entgegentreten sollte, da an diesen die Katholiken großes Aergerniß nahmen (Kastner a. a. O. 110, 118). Der Bischof regte zu solchem Werke seinen Rath und Secretär Wenzel Cromer von Krippendorf an und legirte demselben auch in seinem Testamente als Honorar dafür 1000 Thaler. Das Manuscript Cromer’s ist nachmals bei der Verwüstung der Dominsel durch die Schweden 1632 ein Raub der Flammen geworden. Bischof M. starb am 24. Mai 1585 in Neiße, wo er auch in der Jacobikirche seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

[475] Für die vorstehende biogr. Skizze wurde neben handschr. Materiale des Bresl. Staatsarchivs vornehmlich benutzt Heyne, Gesch. des Bisth. Breslau, III, 775–95. Für manche Einzelheiten bringt unser Text die Quellennachweisungen in beigefügten Klammern.