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Artikel „Gabelentz, Hans Conon von der“ von August Leskien in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 286–288, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gabelentz,_Conon_von_der&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 06:12 Uhr UTC)
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Gabelentz: Hans Conon von der G., geb. am 13. Octbr. 1807 in Altenburg (Sohn des 1831 gestorbenen Geheimraths und Kanzlers Hans Karl Leopold v. d. G.), empfing seine Schulbildung auf dem dortigen, damals von Matthiä geleiteten Gymnasium, studirte 1825–28 in Leipzig und Göttingen Rechts- und Cameralwissenschaften, trat 1830 in den herzoglich altenburgischen Staatsdienst und begleitete von 1831–47 die Stelle eines Regierungs- und Kammerraths. 1847 zum Landmarschall des Großherzogthums Weimar gewählt verließ v. d. G. mit dem Prädicate eines Geheimraths den altenburgischen Staatsdienst, ging 1848 als Vertrauensmann der sächsischen Fürstenthümer nach Frankfurt a. M. und fungirte später als Bundestagsgesandter bis zur Auflösung des Bundestages (Juli 1848). Im November 1848 wurde er an die Spitze [287] des Ministeriums in Altenburg berufen und nahm als Minister Theil an den resultatlosen Conferenzen der thüringisch-sächsischen Staaten zur Herstellung eines Verbandes für die Behandlung gemeinsamer Angelegenheiten, legte aber im August 1849 dies Amt nieder, wie er auch kurz vorher beim Eintritt des neuen Wahlgesetzes das weimarische Landmarschallamt niedergelegt hatte; März 1850 wurde er von Altenburg als Mitglied des Staatenhauses zum Erfurter Parlament gesandt, 1851 in den Altenburger Landtag gewählt und war dessen Mitglied und stets wiedergewählter Präsident bis 1870. Von da an entsagte er den öffentlichen Geschäften und starb am 3. Septbr. 1874 auf seinem Gute Lemnitz im Weimarischen (Neustädter Kreise). Als Gelehrter bewegte sich v. d. G. auf zwei sehr verschiedenartigen Gebieten, dem der Sprachwissenschaft und dem der Provinzialgeschichte, und gehört in dem ersteren zu den hervorragendsten Vertretern dieses Faches. Er besaß ein außerordentliches Talent zum Aneignen von Sprachen, die er, wo es irgend möglich war, nicht aus Grammatiken sondern aus der lebendigen Rede von Texten zu lernen suchte, und hat sicher von allen neueren Sprachforschern die umfassendste Sprachkenntniß besessen (in seiner Schrift über das Passivum sind 208 Sprachen herangezogen). Dies Talent war aber mit der weit höheren Befähigung verbunden zu scharfsinniger Durchdringung und strenger wissenschaftlicher Erkenntniß des Baues der Sprachen. Mit beiden ausgerüstet, konnte sich daher v. d. G. das hohe Ziel stecken, sprachliche Erscheinungen wo möglich durch das Gesammtgebiet menschlicher Sprache zu verfolgen und so allgemeine Normen für die Beurtheilung derselben und die menschliche Sprachentwicklung überhaupt zu erreichen; nach ihm ist es nöthig, daß man das ganze Gebiet der Sprachen in allen ihren Theilen übersieht, um die Grundlage zu einer allgemeinen Sprachlehre im wahren Sinne des Wortes zu gewinnen, zu einem Werke, „das dereinst die Krone und den Schlußstein der gesammten Sprachwissenschaft bilden wird.“ In dieser Richtung setzte v. d. G. die ihm als Beispiel vorschwebende Thätigkeit W. v. Humboldt’s fort, und sein Streben mußte es ihm nahe legen, weniger die viel bearbeiteten indogermanischen und semitischen Sprachen als fernliegende, in ihrem Baue von diesen beiden ganz abweichende und von den Sprachforschern oft wenig beachtete Sprachtypen ins Auge zu fassen. Nach den Sprachstämmen oder -Gruppen geordnet betreffen seine Arbeiten mongolische, malaische, melanesische, finnische, afrikanische, amerikanische Sprachen. Auf mongolische Sprachen beziehen sich: „Elémens de la grammaire Mandchoue“, 1832; Ausgabe der Mandschuübersetzung des „Sse-schu, Schu-king und Schi-king mit Wörterbuch“, 1864; „Ueber die Ausdrücke für „Sterben“ im Mandschuischen“ (Zeitschrift des Vereins für Erdkunde zu Leipzig 1874); „Expressions servant à rendre l’idée de „pouvoir“ en mandchou“ (Mém. du congrès international des orientalistes, T. I., Paris 1874); „Beiträge zur mandschuischen Conjugationslehre“ (Zeitschrift der deutsch. morgenländischen Gesellsch. Bd. 18); „Geschichte der großen Liao, aus dem Mandschuischen übersetzt, herausgegeben von H. A. v. d. G.“, St. Petersburg 1877; „Einiges über die mongolische Poesie“ (Zeitschr. für die Kunde des Morgenlandes I. 1837); „Versuch über eine alte mongolische Inschrift“ (ebend. Bd. II); „Chinesisch-mongolische Inschriften“ (Zeitschr. d. deutsch. morg. Gesellsch. Bd. 16); „Ueber die Sprache der Hazâras und Aimak’s (Zeitschr. d. deutsch-morgenl. Gesellsch. Bd. 20). – Malaische Sprachen betreffen: „Grammatik der Dajak-Sprache (Zeitschr. d. deutsch. morgenl. Gesellsch.), 1852; „Ueber die formosanische Sprache und ihre Stellung im malaischen Sprachstamme (Zeitschr. d. deutsch. morgenl. Gesellsch. Bd. 13). – Das Hauptwerk v. d. G. „Die melanesischen Sprachen“ (Abhandl. d. königl. sächs. Gesellsch. der Wissensch. Bd. 3 und 7, 1860, 1873) behandelt diese Sprachengruppe zugleich zur Lösung des Problems über das Verhältniß der polynesischen und melanesischen Race. – Finnische Sprachen [288] behandeln: „Grundzüge der syrjänischen Grammatik“, 1841; „Versuch einer mordvinischen Grammatik“ (Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenl. II); „Die wotjakische Declination“ (Höfer’s Zeitschr. für die Wissensch. d. Sprache I, 1845); „Vergleichung der beiden tscheremissischen Dialecte“ (Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenl. IV); „Ueber die samojedischen Sprachen“ (Zeitschr. d. deutsch. morgenl. Gesellsch. Bd. 5). Eine afrikanische Sprache betrifft: „Ueber die Sprache der Suaheli“ (Zeitschr. d. deutsch. morgenl. Gesellsch. I); amerikanische: „Grammatik der Dakota-Sprache“, 1852; „Grammatik der Kiriri-Sprache“, 1852 (aus dem Portugiesischen des P. Mamiani); „Kurze Grammatik der Tscherokesischen Sprache" (Höfer’s Zeitschr. III). Eine ausser aller Stammesverbindung stehende Sprache behandelt: „Grammatik und Wörterbuch der Kassia-Sprache“ (Berichte der k. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Phil.-hist. Cl. 1858) Allgemein sprachwissenschaftlichen Zielen gewidmet ist die Schrift, in der sich v. d. Gabelentz Kenntnisse und Bestrebungen am besten zeigen: „Ueber das Passivum“ (Abh. d. k. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Phil.-hist. Cl. 8. Bd., 1861). Aus den bisher genannten Kreisen fällt eines seiner Hauptwerke, die mit J. Loebe[WS 1] zusammen unternommene ausgezeichnete Ausgabe des Ulfilas, ganz heraus: „Ulfilas, Veteris et novi testamenti versionis Gothicae fragmenta. Vol. I. textum continens“, Lipsiae 1843; vol. II: „Glossarium der goth. Sprache“, Leipzig 1843, „Grammatik der goth. Sprache“, Leipzig 1846. Eine Nachschrift dazu bildet: Upström’s Codex argenteus, 1860. – Höchst verdienstlich war auch die Thätigkeit v. d. Gabelentz’ auf dem Gebiete der Geschichte seiner engeren Heimath und der benachbarten Landschaften; 1838 wurde, von ihm mitbegründet, in Altenburg die Geschichts- und Alterthumforschende Gesellschaft des Osterlandes gestiftet, deren Präsident er mit kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tode war, und in deren Mittheilungen er seine historischen Forschungen veröffentlichte: „Ueber den Pleißengau und das Pleißenland“; „Ueber die Aufhebung des deutschen Ordenshauses in Altenburg“, Bd. II; „Zur Geschichte des Pleißenlandes unter Heinrich dem Erlauchten etc.“; „Der deutsche Ritter Hans v. d. Gabelentz, Bd. IV; „Zur Geschichte des Nonnenklosters Mariä Magdalenä in Altenburg“; „Ueber die Entstehung der Familiennamen mit besonderer Rücksicht auf Sachsen und Thüringen“; „Ueber eine Urkunde Dietrichs von Leisnig“, Bd. V; „Die Schulen der Stadt Altenburg vor und während der Zeit der Reformation“; „Ueber den limes sorabicus“ Bd. VI; „Ueber den Pleißengau im 10. Jahrhundert; Beitrag zur Geschichte des Bruderkriegs und Apels Vitzthum“, Bd. VII; „Die ausgestorbenen Adelsfamilien des Osterlandes“, Bd. VI und VII; dazu manche kleinere Aufsätze und Mittheilungen.

Vgl. Altenburger Zeitung, 8. November 1874; Illustr. Zeitg. 14. Nov. 1874; Daheim XI. Nr. 3; Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung, 4. März 1875; The Athenaeum, 12. December 1874 (Nekrolog von R. Rost).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Dr. theol. et phil. August Julius Löbe (1805–1900), Pfarrer, Philologe und Historiker.