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Artikel „Ebert, Karl Egon Ritter von“ von Egon von Komorzynski in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 465–468, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ebert,_Karl_Ritter_von&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 14:46 Uhr UTC)
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Ebert *): Karl Egon Ritter von E., deutsch-böhmischer Dichter; geboren am 5. Juni 1801 in Prag, † am 24. October 1882 ebendaselbst. Ebert’s Vater war Hofrath des fürstlich Fürstenbergischen Hauses, dessen Besitzungen in Böhmen und in Baden am Anfang des 19. Jahrhunderts in einer Hand vereinigt waren. Der regierende Fürst war Ebert’s Pathe und dieser erhielt die im Hause Fürstenberg erblichen Vornamen Karl Egon. Die Studienzeit verging in Wien und Prag und 1824 erschien die erste Sammlung von Ebert’s Gedichten. Sie war dem Fürsten Fürstenberg gewidmet und der fürstliche Gönner ernannte den Dichter zum fürstlichen Bibliothekar und Archivar. Auf der Fürstenbergischen Herrschaft Donaueschingen lebte E. in dieser Eigenschaft von 1825 bis 1833; dazwischen erlaubte ihm die Großmuth des fürstlichen Hauses, Reisen nach der Schweiz und nach Schwaben zu unternehmen, die mannichfaltige erhabene Natureindrücke und zahlreiche Bekanntschaften und Freundschaftsbündnisse zur Folge hatten. 1833 wurde E. von [466] seinem Fürsten nach Prag zurückberufen und bei der Administration der fürstlichen Domänen angestellt, 1848 wurde er zum Hofrath, 1854 zum Administrator der fürstlichen Güter in Böhmen ernannt. Kurz nach dem Tode des Fürsten – 1858 – legte E. das letztgenannte Amt nieder und lebte von da an ohne eigentlichen Beruf in stiller Beschaulichkeit in seiner Vaterstadt, wo er 1882 starb.

Ebert’s poetische Begabung war nicht übermächtig und wir suchen in seinen Dichtungen vergeblich Stürmisches und Hinreißendes – aber machtvoll ergreifen uns seine innige Gemüthstiefe, sein liebevolles Sichversenken in die zartesten Regungen des menschlichen Herzens, in die verborgensten Schönheiten der Natur. Dieses zarte und tiefe Fühlen, das den Untergrund von Anastasius Grün’s Poesie bildet und das, zu düsterer Schwermuth gesteigert, Lenau’s schönste Lieder erfüllt, läßt uns E. so recht als den Genossen jener Großen, als einen specifisch österreichischen Dichter erscheinen. E. ist in einer großen Zeit zum Dichter geworden. Siegreich herrschte in der Litteratur die Romantik, die in Berlin und in Dresden ihre gesellschaftlichen Mittelpunkte hatte; die schwäbischen Dichter mußten den jungen österreichischen Poeten ganz besonders anziehen – und noch immer ragte die colossale Gestalt Goethe’s aus einer anderen Zeit herein in die Gegenwart. Die Romantiker hatten die allzulang vergessen gewesenen Sagenschätze der deutschen Vorzeit gehoben und sie funkelnd und leuchtend vor der Mitwelt ausgebreitet. – Wohl mußte es da einen jungen Dichter wie E. locken, die reiche Sagenwelt seiner böhmischen Heimath poetisch zu gestalten, sie im Epos und im Drama zu verherrlichen. Die böhmische Heldensage und Geschichte erschien ihm – so wie später Alfred Meißner und Moritz Hartmann – als eine reiche Fülle poetischer Stoffe, zu deren Bearbeitung ihn die Liebe doppelt lockte, mit der er an seinem an Naturschönheiten so unermeßlich reichen Vaterlande Böhmen hing. Von einem nationalen Haß war damals keine Rede; – die Czechen sahen es gern, daß ihre Mythologie von den Deutschen, denen sie ihre Bildung verdankten, poetisch verherrlicht wurde – betrachtete man doch allgemein Böhmen als ein deutsches Land.

E. hat sich in dreifacher Weise poetisch bethätigt: als Dramatiker, als Epiker und als Lyriker. Selbst wer ihn hochschätzt, muß zugestehen, daß die dramatische Poesie entschieden seine schwächste Seite gewesen ist. Gerade auf diesem Gebiet aber hat E. bereits in seiner frühesten Jugend mit einer geradezu unglaublichen Fruchtbarkeit geschaffen. Soll er doch schon als Jüngling eine ganze Unzahl ungedruckt gebliebener Dramen geschrieben haben. Später behandelte er meist böhmisch-nationale Stoffe im Drama; hierher gehören etwa das 1829 mit ziemlichem Beifall in Wien und Prag aufgeführte dramatische Gedicht „Bretislaw und Jutta“, ferner „Czestmir“, „Udalrich und Bozena“ u. a. m. Allen diesen Dramen ist eine Neigung zur Reflexion eigen, die ihren Werth als Drama entschieden herabmindert. – Weitaus anders steht es mit dem Epiker E. Sein Erstlingswerk auf diesem Gebiet, das 1829 erschienene Heldengedicht „Wlasta“, besitzt – trotz seiner oft getadelten Breite – alle Vorzüge eines epischen Gedichtes. Eine wahre Perle aber hat E. in der 1833 erschienenen idyllischen Erzählung „Das Kloster“ geschaffen. Er hatte damals eben seine Schweizer Reise vollendet und war erfüllt von den mächtigen Eindrücken, welche die Natur des Hochgebirgets auf ihn gemacht hatte. Da führt er uns denn die weltabgeschiedene Stille eines Klosters vor, in das ein aus der Fremde zurückkehrender Reisender Einlaß fordert – der Sohn eines alten Müllers, der im feurigen Freiheitsdrange der Jugend einst die Heimath verlassen hatte und in die Fremde hinausgezogen [467] war. Die halbe Welt hat er durchwandert: über die Eisgebirge der Schweiz ist er geklettert, durch die glühende Wüste ist er gezogen; hundert Mal hat er mit dem Tod gerungen – in der Schlacht, in der Gewalt orientalischer Sklavenhändler, im Kampf mit den entfesselten Elementen. Endlich ist sein Herz ruhig geworden – und stark und stärker regte sich in ihm die Sehnsucht nach der einst verschmähten Heimath, nach den inzwischen alt und weiß gewordenen Eltern, nach der verlassenen treuen Braut. Reuig kehrt er heim – da ist die Mühle verkauft, die Mutter verschollen; der Vater liegt auf dem Kirchhof unter wuchernden Blüthen. Im Kloster findet der Verzweifelte freundliche Aufnahme und warmen Trost; er nimmt theil an einem prächtigen kirchlichen Fest und findet in dem Getriebe seine Braut, die seiner treulich geharrt, und sein Mütterlein. – Diese einfache Handlung ist mit herzergreifender Wärme und in herrlicher Sprache erzählt. Die abenteuerliche Erzählung steht in grellem Gegensatz zu der heiligen Ruhe des Klosterlebens; prachtvoll wird das kirchliche Fest geschildert und die Schönheiten der Natur treten uns ganz entzückend vor die Augen. Der Abglanz Goethe’schen Geistes ist über die Dichtung ausgegossen; „Hermann und Dorothea“ war entschieden Ebert’s Vorbild – allein der Dichter ist frei geblieben von jeder directen Nachahmung oder Nachfühlung. – Auch in späterer Zeit hat E. noch mehrere solcher köstlicher ländlicher Idyllen geschaffen.

Auf dem Gebiet der Lyrik, und ganz besonders auf jenem der den österreichischen Dichtern so sympathischen lyrisch-epischen Dichtung, also der Romanze und der Ballade, hat E. wahrhaft Großes geleistet. 1824 bereits ist der erste Band des dreiundzwanzigjährigen Poeten erschienen, und Männer wie Goethe, Rückert, Fouqué u. A. m. haben seinen Poesien vollen, theilweise begeisterten Beifall gezollt. Unerschöpflich schien der Born der Poesie, der während der ganzen Lebensdauer Ebert’s nicht versiegte. Welch eine Fülle von Empfindung und Gefühl in seinen Liebesliedern, in seinem Sonettenkranz „Mila“ z. B., der wiederum von wahrhaft Goetheschem Geist erfüllt ist! Die schönsten Sagen seiner böhmischen Heimath hat er nach dem Muster Uhland’s in Balladenform poetisch gestaltet. Da erzählt er von Dalibor, der sich seine Kerkerhaft durch Geigenspiel versüßte, bis der König ihm die Geige nehmen ließ – der Gefangene starb aus Gram über das erlittene Unrecht: da erhob sich ein zaubersüßes Klingen, das der König immerdar hören mußte bis in seine Todesstunde. Oder von dem böhmischen Bildhauer Rubik, der seine ungetreue Liebste ermordet hat und den die Reue darüber so foltert, daß er den Leib des Mädchens aus Marmor meißelt, die Statue dem Richter zeigt und sich als den Mörder des Originals anklagt. Begeisterte Liebe zu dem Böhmerland spricht aus der prächtigen „Vision am Wyssehrad“ und aus so manchen anderen böhmisch-nationalen Balladen. – Aber auch deutsche Sagen und deutsche Geschichte hat E. vielen von seinen Balladen zu Grunde gelegt wie „Frau Hitt“, „Schwerting der Sachsenherzog“ u. a. – Liedern, die tief ins deutsche Volk gedrungen sind! Wunderschöne Gedichte treffen wir da, die freilich allzu wenig bekannt sind, wie die Sage von dem Baumeister, der bei Nacht seinem Grab entsteigt und sich der ewigen Dauer des von ihm geschaffenen altersgrauen Domes freut und v. a. m. – – Die Sonettform hat E. meisterlich und mit besonderer Vorliebe behandelt, seinem verstorbenen fürstlichen Gönner ein aus einem prächtigen Sonettenkranz bestehendes „Denkmal“ (erschienen 1854) gesetzt.

E. hat zu seinen Lebzeiten viel unter dem Undank des czechischen Volkes zu leiden gehabt. Um so freudiger stimmte ihn die Ueberfülle warmer, begeisterter Verehrung, die ihm anläßlich seines 70. und anläßlich seines 80. Geburtstages [468] von Seite des ganzen Deutsch-Oesterreich entgegengebracht wurde. 1871 ward er vom Kaiser Franz Joseph in den Ritterstand erhoben; allgemein beging man festlich die Feier seines 80. Geburtstages. E. ist in seinen alten Tagen ein warmer Vorkämpfer für das Deutschthum in Böhmen geworden, was umsomehr anzuerkennen ist, als das Haus Fürstenberg sich – wie so manche andere selbstvergessene adelige Familie in Böhmen – auf die Seite der Czechen gestellt hat. Die Zeiten hatten sich eben geändert. Auch in Ebert’s poetischem Schaffen ist etwa seit dem Jahre 1848 ein Zurücktreten der slavischen Stoffe zu Gunsten der subjectiven Reflexionspoesie zu bemerken.


[465] *) Zu oben, S. 241.