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Artikel „Dorothea Anna Charlotte, Herzogin von Kurland“ von Heinrich Diederichs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 357–358, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dorothea_Anna&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 20:54 Uhr UTC)
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Dorothea Anna Charlotte, Herzogin von Kurland, geb. 3. Febr. 1761 zu Mesothen in Kurland, † 20. Aug. 1821 zu Löbichau in Sachsen-Altenburg. Sie war eine geborene v. Medem, jüngere Stiefschwester Elise’s v. d. Recke. Ihre Jugendzeit verbrachte sie auf dem Lande, wo sie eine nur mehr gesellschaftliche Ausbildung erhielt. Gleich bei ihrem ersten Erscheinen am Hofe zu Mitau wurde der Herzog Peter Biron von ihrer seltenen Schönheit gefesselt. Dieser eitele und genußsüchtige Fürst war schon von zwei Frauen geschieden, als er D. kennen lernte. Nach längeren Verhandlungen entschloß sich Peter endlich, heimlich sich mit ihr zu vermählen, im J. 1779; unmittelbar darauf wurde ihr Vater von K. Joseph II. in den Reichsgrafenstand erhoben. Von einer herzlichen Zuneigung der jüngern schönen und lebhaften Frau zu dem viel älteren, geistesarmen und charakterschwachen Gemahl konnte kaum die Rede sein. Trotzdem war das Verhältniß der Gatten zu einander im ganzen ein gutes. D. erwarb sich durch ihre Anmuth, ihr munteres, liebenswürdiges Wesen, ihre Freundlichkeit und Leutseligkeit bald allgemeine Zuneigung im Lande. Sie gab sich gern den Zerstreuungen und Vergnügungen des Hoflebens hin, in denen ihr leichtlebiger Sinn und ihre Neigung zum Prunke reichliche Befriedigung fanden. Aber auch an den Sorgen der Regierung nahm sie Theil. Sie gebar ihrem Gatten mehrere Kinder, fast alle Töchter; der einzige Prinz starb frühe. Mit ihrem Gemahle machte sie 1784–86 eine längere Reise durch Deutschland und Italien, auf der sie auch Friedrich den Großen besuchte und von ihm sehr freundlich aufgenommen wurde. Die während der Abwesenheit des Herzogs ausgebrochenen Streitigkeiten zwischen der fürstlichen Regierung und der Ritterschaft, in denen der für Kurland so verhängnißvolle O. H. v. d. Howen eine Hauptrolle spielte, veranlaßten Peter und D., früher als beabsichtigt war nach Kurland zurückzukehren. D., der es nicht an Verstand und kluger Einsicht fehlte und die einen großen Einfluß auf die Entschlüsse ihres Gatten ausübte, unternahm jetzt im Interesse des Herzogs häufige Reisen nach Berlin und Warschau. An diesen Höfen entwickelte sie eine nicht geringe politisch-diplomatische Thätigkeit. Den in Folge dessen mehrfach im Lande auftauchenden Plan, den Herzog zur Abdankung zu veranlassen und sie zur Regentin einzusetzen, wies sie jedoch stets zurück. In Warschau gelang es ihr, den König Stanislaus Augustus ganz für sich und den Herzog zu gewinnen und ihn ihrem Plane geneigt zu machen, eine Vermählung zwischen ihrer zweiten Tochter Wilhelmine und dem zweiten Sohne der Erbstatthalterin von Holland, einem Neffen Friedrich Wilhelms II. von Preußen, zu Stande zu bringen. Dieser Prinz sollte dem letzten Biron als Herzog folgen und Kurland so in enge Beziehung zu Preußen treten. Auch Oesterreich, allerdings widerstrebend, stimmte dem Projecte zu. Aber der entschiedene Widerspruch Catharina’s II., der die Einverleibung Kurlandes in Rußland längst beschlossene Sache war, machte den Plan scheitern. Dagegen gelang es D., in dem langjährigen Streite zwischen Ritterschaft und Herzog endlich 1791 eine für den letztern günstige Entscheidung in Warschau durchzusetzen. Doch konnte sich der Herzog derselben nicht lange freuen. Bald entstanden neue Irrungen und die Tage der Selbständigkeit Kurlands waren bereits gezählt. 1795 mußte Peter das Herzogthum Kurland Rußland überlassen und ging mit seiner Familie nach Schlesien, wo ihm das Herzogthum Sagan gehörte. D. kaufte 1796 das Rittergut Löbichau im S.-Altenburgischen, wo sie ihren Wohnsitz nahm und für dessen materielle Hebung und Verschönerung sie außerordentlich viel that. Ihr Gemahl Peter starb in Schlesien 1800. Seitdem führte D. ein [358] ziemlich unstetes Reiseleben, von dem sie sich immer wieder und zuletzt dauernd in ihr Löbichau zurückzog. Die Reize der 40jährigen Frau waren noch so groß, daß sie mehrfache Bewerber anlockten; sie wies jedoch alle ab. Auch in vorgerückteren Jahren blieb ihr die Anmuth der äußeren Erscheinung, der Zauber der Liebenswürdigkeit, große Lebhaftigkeit und Zwanglosigkeit im Umgange. Aber die Schattenseiten ihres Wesens traten im Laufe der Zeit stärker hervor. Sie erschien unbefangenen und wohlwollenden Beobachtern als eine Frau ohne geistige Tiefe und poetische Empfänglichkeit, eine Frau ohne höhere Geistesbildung und mit den sittlichen Anschauungen und der Weltbildung der höheren Stände des alten Frankreich. Daher ihr oft an Frivolität grenzender Leichtsinn, ihre Unfähigkeit, höheren geistigen Interessen dauernd sich hinzugeben. Doch hing auch ihre Wohlthätigkeit, ihre Menschenfreundlichkeit, ihre freilich oft mißbrauchte Arglosigkeit und Gutmüthigkeit mit den Grundzügen ihres Charakters zusammen. Das war im wesentlichen das Urtheil des Schiller’schen Freundeskreises in Dresden über sie. Schon 1790 hatte D. die Bekanntschaft der Körner’schen Familie gemacht und von Löbichau aus erneuerte sie die alten Beziehungen. Durch Körner lernte sie auch Schiller kennen, auf den sie einen recht günstigen Eindruck machte. Zweimal hat sie noch ihre alte Heimath wiedergesehen: im J. 1806, als sie nach Petersburg reiste, um die Erbschaftsangelegenheiten ihrer Kinder zu ordnen, und 1817. Alexander I. behandelte sie mit großer Auszeichnung und ging auf einzelne im Interesse ihres Heimathlandes von ihr ausgesprochene Bitten freundlich ein. Von den Bewohnern Kurlands wurde sie mit wahrer Begeisterung und der größten Verehrung empfangen. Ihre Reise durch das Land glich einem Triumphzuge und während ihres Aufenthaltes in Mitau reihte sich Fest an Fest. 1809 vermählte sie ihre jüngste Tochter Dorothea mit dem Fürsten von Perigord, Talleyrand’s Neffen. Seitdem weilte D. besonders gern in Paris. Sie war eine begeisterte Anhängerin Napoleon’s seit seinem ersten Auftreten und ließ sich durch nichts in ihrer blinden Verehrung für ihn irre machen. In Deutschland fühlte sie sich seitdem nie ganz behaglich, heimisch nur in Paris. Für die Erhebung Deutschlands gegen den Unterdrücker hatte sie natürlich gar kein Verständniß, noch im Herbst 1813 eilte sie nach Paris. Auch nach Napoleon’s Sturz war ihr Frankreich stets das Centrum Europa’s, von dem alles Heil ausgeht. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in Löbichau. Sie that hier viel für die Schulen und für die Hebung des Wohlstandes ihrer Bauern, trat in Verkehr mit Gelehrten, Dichtern, Künstlern und empfing Besuche der verschiedenartigsten Personen. Von dem Leben und Treiben in Löbichau gibt unter anderen Jean Paul, der die Herzogin besucht hatte und von ihr sehr gefeiert worden war, eine lebendige Schilderung. Die deutsche Litteratur war D. übrigens immer fremd geblieben, dagegen war sie mit der französischen recht vertraut. In der Religion huldigte sie dem aufgeklärten Deismus des 18. Jahrhunderts. Die noch Frische und Rüstige entriß ein Nervenschlag unerwartet dem Leben. Ihre 4 Töchter überlebten sie.

Tiedge, Dorothea, Herzogin von Kurland. Leipzig 1823.