ADB:Derfflinger, Georg Freiherr von
[1] Georg Reichsfreiherr v. D., kurbrandenburgischer General-Feldmarschall, wurde 1606 zu Neuhofen, einem Dorfe in Ober-Oesterreich, geboren. [61] Seine Eltern waren arme Leute; von seinem Jugendleben, seiner Erziehung, von dem Unterricht, den er empfangen, haben wir keine Kunde; mit seinen evangelischen Eltern verließ er während der Unruhen kurz vor Ausbruch des 30jährigen Krieges seine Heimath. Als einer der Reiter unter Graf Thurn scheint er nach der Schlacht am weißen Berge in Schlesien gefochten zu haben; nach der Einnahme von Glatz durch die Kaiserlichen trat D. 1622 in sächsische Dienste und wurde dort Officier. Nach Gustav Adolfs Landung trat er in schwedische Dienste. Hier muß er sich ausgezeichnet haben, denn der deutsche Officier, dem Vermögen und Connexionen fehlten, war schon 1635 Oberstlieutenant. Er diente als Reiterführer besonders in Bañer’s und Torstenson’s Heeren, wurde auch zu diplomatischen Missionen verwendet, und nach Bañer’s Tode als Deputirter der im schwedischen Heere dienenden deutschen Officiere nach Stockholm geschickt, um die Soldrückstände von der Krone Schweden einzufordern. Diesen schwierigen Auftrag führte er zur Zufriedenheit beider Parteien aus. Ebenso schickte ihn Torstenson 1642 zu Ragozy nach Ungarn und im folgenden Jahre nach Stockholm, wo er von der Königin zum Generalmajor zu Roß ernannt wurde. 1646 heirathete er Fräulein v. Schaplow, eine reiche Erbtochter, und zog nach dem westfälischen Frieden und der Abdankung des schwedisch-deutschen Heeres nach deren Gut Gusow.
Derfflinger:Hier lebte er als thätiger Landwirth; er hatte viel im Kriege erworben und wußte den Werth der erheiratheten Güter durch Bauten und andere Verbesserungen zu heben. Als ein neuer Krieg 1654 drohte, zog ihn der große Kurfürst in seinen Dienst und ernannte ihn zum Generalmajor der Reiterei. Bei dem Ruf, den sich D. im 30jährigen Kriege erworben, gelang es ihm leicht, neue Reiterregimenter zu bilden; in der dreitägigen Schlacht bei Warschau, Juli 1656, erstürmte er das befestigte Kloster Prement und wurde dafür zum Generallieutenant ernannt, dann verjagte er den General Czarniecki, der verwüstend und plündernd in die Neumark eingefallen war. 1657 wurde er geheimer Kriegsrath, dann 1658 Feldzeugmeister, als solcher begleitete er den großen Kurfürsten auf all dessen Feldzügen gegen die Schweden bis zum Frieden von Oliva 1660. Dann kehrte er auf seine Güter zurück, heirathete, nach dem Tode seiner ersten Frau, 1662 ein Fräulein v. Beeren. Aber auch in der Friedenszeit blieb er thätig in Staatsgeschäften und in dauernder Verbindung mit dem Kurfürsten, der ihn 1670 zum Feldmarschall ernannte und ihm die Leitung des gesammten Kriegswesens, namentlich die Ausbildung der in jener Zeit so wichtigen Reiterei und die der Artillerie übergab. In der Armee führten ein Cürassier-, ein Dragoner- und ein Infanterie-Regiment zu gleicher Zeit seinen Namen. Als 1672 Ludwig XIV. in Holland eingefallen, nahm D. in Begleitung des Kurfürsten an dem Feldzuge Theil, ging nach dem Frieden von Vossem nach Gusow zurück und erhielt 1674 die Würde als kaiserlicher Reichsfreiherr.
1674 wurde D. nach Holland geschickt, um über die Subsidienzahlung bei dem Wiederausbruch des Krieges mit Frankreich zu verhandeln. Trotz der Energie des Kurfürsten blieb der Krieg am Oberrhein resultatlos, der kaiserliche Feldherr Bournonville weigerte sich mit seinen Truppen am Angriff theilzunehmen. Der Kurfürst bezog bald darauf Winterquartiere in Würtemberg und wurde durch den von Frankreich veranlaßten Einfall der Schweden in die Mark im folgenden Jahre dorthin gerufen. In schnellen Märschen hatte er am 11. Juni Magdeburg erreicht, der Kurfürst und D. beschlossen, den in der Mark zerstreut stehenden Feind überraschend anzugreifen. Am 15. Juni, Nachts, überfiel D. Rathenow, wo schwedische Besatzung stand; was nicht niedergehauen, wurde gefangen. Der durch D. vorbereitete und ausgeführte Ueberfall der Stadt ist ein glänzendes Beispiel solcher Unternehmungen. D. zeigte hier so viel Kühnheit und Energie [62] als List und Vorsicht. Zum Siege bei Fehrbellin trug er viel dadurch bei, daß er einen Hügel durch Artillerie besetzte, deren Feuer die Cavallerie unterstützte. Wie überall focht er auch dort persönlich an der Spitze seiner Reiter. Gegen des Kurfürsten erste Absicht drang er auf energische Verfolgung, die er selbst leitete und 8 Kanonen und 200 Wagen, viel Gefangene und viel Vieh erbeutete. Nur mit den Trümmern seines Heeres konnte sich der schwedische General Waldemar Wrangel nach dem Mecklenburgischen retten. Im J. 1676 leitete D. die Belagerung von Stettin, das in Folge des Bombardements nach mannhafter Vertheidigung am 29. Dec. 1676 capitulirte. 72 Jahre alt bat D. um seinen Abschied, den ihm der Kurfürst, da er ihm unentbehrlich sei, nicht gewährte. So nahm er 1678 an der Eroberung von Rügen Theil, setzte sich selbst an die Spitze der zuerst ausgeschifften Dragoner und warf die weit überlegenen schwedischen Reiter zurück. Im October und November eroberte er Stralsund und dann Greifswald. In demselben Winter brachen die Schweden unter Horn in Ostpreußen ein, und in Eilmärschen, mitten im Winter, ging D. mit der kleinen Armee, zu der später der Kurfürst stieß und das Commando übernahm, nach Ostpreußen. Bei strengster Kälte wurden die Operationen begonnen, die Truppen oft auf Schlitten gesetzt und die Schweden überall zurückgedrängt. Nach dem Siege der Brandenburger bei Splitter, in der Nähe von Tilsit, am 20. Januar 1679, gingen die Schweden von Görtzke bis 8 Meilen vor Riga verfolgt, in voller Auflösung nach Livland zurück.
Als der Friede zu St. Germain en Laye im Sommer 1679 geschlossen war, wurde D. auf seine Bitte in den Ruhestand versetzt und lebte mit seiner Familie auf seinen Gütern und am Hofe, vom großen Kurfürsten wie später von Friedrich I. mit hoher Auszeichnung behandelt. Zwei Jahre nach dem Tode des großen Kurfürsten, dessen Tod D. tief betrauerte, rückte er 1690 noch einmal gegen die Franzosen ins Feld und ging dann nach Güsow. Am 4. Febr. 1695 starb er an Altersschwäche und wurde in der von ihm erbauten dortigen Kirche beigesetzt.
D. war nicht nur einer der kühnsten und gewandtesten Reiterführer seiner Zeit, er gehört auch zu den Begründern der brandenburgisch-preußischen Armee, die er organisiren und ausbilden half. Früh schon erkannte er die Bedeutung der Artillerie und verstand sie zu verwenden; obwol er ohne Schulkenntnisse war, wußte er den Mangel durch seinen scharfen Verstand, seine reiche Erfahrung und seine Lebensklugheit so zu ersetzen, daß er oft und mit Erfolg zu diplomatischen Missionen verwendet werden konnte. Friedrich II. sagt von ihm: „Parmi les généraux de l’Electeur Derfflinger et le prince d’Anhalt avaient la plus grande réputation. Le prince d’Anhalt passait pour sage, Derfflinger pour entreprenant, ce dernier servit bien son maître à la surprise de Rathenow, à la poursuite des Suédois après Fehrbellin. et à hâter la diligence extraordinaire des troupes dans la campagne de Prusse.“ Von D. werden viele Anekdoten erzählt, die alle seinen derben Mutterwitz, seine Heiterkeit und Laune beweisen, bei den Soldaten war er im hohen Grade beliebt, sie vertrauten ihm unbedingt; obwol er ohne allen Unterricht im wildesten, ja rohesten Kriegsleben sich entwickelte, war er doch lebensklug und gewandt, ein Italiener jener Tage (Letis) schildert ihn als einen Mann von feinen und sanften Sitten, der sich am Hofe sehr wohl darstelle. Obwol er freigebig war und große nützliche Ausgaben nicht scheute, war er doch zugleich sparsam und in allen Dingen maßhaltend. Er hatte im Kriege Vermögen erworben, bezog ein hohes Gehalt, und hatte bedeutende Einkünfte von seinen drei Regimentern. Der Kurfürst hatte ihm bei verschiedenen Gelegenheiten 82000 Thlr. und eine Verschreibung auf die Comthurei Wildenbruch im [63] Werthe von 102000 Thlrn. geschenkt. So hinterließ D. ein großes baares Vermögen und die Güter Gusow, Wulkow und andere in der Kurmark, der Neumark und in Preußen endlich ein von Nering für ihn erbautes Haus am köllnischen Markte in Berlin.
Söhne hatte er zwei aus seiner zweiten Ehe, die er auf den Universitäten in Frankfurt a. O., dann in Tübingen studiren ließ. Der älteste diente der Republik Venedig, trat dann in brandenburgische Dienste und wurde Generallieutenant († 1724 ohne Kinder). Mit dem Tode der Wittwe (geb. v. Osterhausen) erlosch der Name Derfflinger. Der jüngere Sohn war schon 1686 vor Ofen geblieben.
Die Töchter erster und zweiter Ehe heiratheten die Generale v. Marwitz, Dewitz, Zieten und den Obersten v. Marwitz. – Die Familien der Fürsten v. Schönberg, der Grafen Stolberg, Haugwitz und Podewils, der Herren v. Marwitz, Zieten, Bismark, Bonin nennen, von den Töchtern abstammend, mit berechtigtem Stolz D. ihren Ahnherrn.
D. war ein wohlgebauter, großer kräftiger Mann; nur eine so eiserne Natur konnte die gewaltigen Anstrengungen seines 70jährigen Kriegslebens ertragen und seine Geistesfrische bis in sein 89. Jahr erhalten. Nach einer älteren Schilderung „zierte starkes krauses Haar sein Haupt; sein Gesicht ist durch die breite Stirn, starke Augenbrauen, lebhafte Augen, große Nase, starkes Kinn, volles Gesicht und Unterkehle kenntlich, welches der Bart über der Oberlippe und etwas stehen gebliebenes verstutztes Haar unter der Unterlippe noch mit mehreren Merkmalen versehen“.
Er war ein fromm gläubiger Lutheraner, ließ sich täglich aus Arnd’s „wahrem Christenthum“ vorlesen, und verlebte seine letzten Jahre still und glücklich in seiner Familie. Seiner Bestimmung gemäß war sein Leichenbegängniß höchst einfach, und der Prediger in Gusow durfte in der Leichenrede weder seine Person noch sein Leben erwähnen, wodurch der Nachwelt eine in solchen Fällen sehr wichtige Quelle über seine persönlichen Erlebnisse entgangen ist.
- Biographische Denkmale von Varnhagen von Ense. Thl. II. Artikel Derfflinger in Wagner’s Staats- und Gesellschafts-Lexikon.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 60. Z. 2 v. u.: Derflinger schreibt sich selbst Dörfflinger. [Bd. 11, S. 794]