ADB:Dörpfeld, Friedrich Wilhelm

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Artikel „Dörpfeld, Friedrich Wilhelm“ von Ferdinand Sander in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 47–49, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:D%C3%B6rpfeld,_Friedrich_Wilhelm&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 14:20 Uhr UTC)
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Dörpfeld: Friedrich Wilhelm D., preußischer Volksschulmann und pädagogischer Schriftsteller, geboren am 8. März 1824, † am 27. October 1893. D. wurde 1824 in Sellscheid bei Wermelskirch, Kreis Lennep, als Sohn eines Messerschmiedes und kleinen Ackerwirthes geboren. In seinem Elternhause waltete als Grundton jene in der niederrheinischen gewerblichen Bevölkerung nicht seltene mit allgemeinem Bildungsdrange verbundene evangelische Frömmigkeit, die durch Generationen aus den Tagen des Pietismus sich behauptet hatte. Besonders wirkte sein Großvater, ein philosophisch angelegter, leseeifriger Bauer, in diesem Sinne auf D. ein. Als dem begabten und lernbegierigen Knaben mit elf Jahren die einclassige Ortsschule zu Pohlhausen nicht mehr die wünschenswerthe geistige Nahrung bot, brachte man ihn zu dem tüchtigen und anregenden Lehrer vom Werth im benachbarten Burg a. d. Wupper, der ihn neben der Schule noch in Französisch, Mathematik, Musik und Zeichnen unterrichtete und sein inneres Leben durch Lehre und Beispiel günstig förderte. Im J. 1840 trat der Jüngling in die Präparandenanstalt zu Fild und damit unter den Einfluß des Seminardirectors Franz Ludwig Zahn, dessen ideale, ernst religiöse Ansicht vom Lehrerberufe er begeistert einsog. Näher noch trat er diesem verehrten Meister nach dem damals üblichen, an die Präparandenzeit anschließenden Hülfslehrerjahre als Zögling des Seminars zu Mörs (1842–44). War der Besuch der Anstalt mehrfach durch Krankheit unterbrochen, so scheint dies andrerseits in D. gerade den Drang nach eigener freier Fortbildung kräftig gespornt zu haben. Besonders vertiefte er sich damals in die Psychologie F. E. Beneke’s mit solchem Erfolge, daß Zahn ihn veranlassen durfte, schon während des Besuches der Oberclasse des Seminars seinen eigenen pädagogischen Unterricht durch psychologische Vorträge für die Mitschüler zu ergänzen. Nach Austritt aus dem Seminare wirkte D. vier Jahre (1844–48) an der Präparandenanstalt zu Fild, die er eifrig benutzte, um seine Kenntnisse, besonders in fremden Sprachen, zu erweitern und seine Lehrtüchtigkeit zu befestigen. Im J. 1848 erhielt er Gelegenheit, diese thätig zu beweisen, indem er an die einclassige überfüllte Schule auf dem Heidt bei Ronsdorf, Kr. Lennep, berufen ward, von wo er jedoch bereits im folgenden Jahre als Hauptlehrer der vierclassigen Kirchschule nach Barmen übersiedelte. Diesem Amte blieb er, seit 1872 mit dem Titel Rector, treu, bis ihn 1880 andauernde und heftige asthmatische Beschwerden nöthigten, frühzeitig in Ruhestand zu treten. Die folgenden sieben Jahre lebte er ganz seinen Studien und seiner Schriftstellerei in Gerresheim, Kr. Düsseldorf, zog jedoch 1887 von dort nach Ronsdorf, wo eine Tochter von ihm verheirathet wohnte, und starb hier nach schwerer Krankheit am 27. October 1893. Besondere Freude hatte es ihm in dieser Zeit bereitet, daß sein Sohn Wilhelm (geboren 1855), als Architekt an den Ausgrabungen zu Olympia, Tiryns und Hissarlik rühmlich betheiligt, 1882 von der Universität Würzburg ehrenhalber zum Doctor ernannt, gleichzeitig am deutschen Archäologischen Institute zu Athen angestellt und 1887 als Professor dessen erster Secretär wurde. Aus Dörpfeld’s äußerem Leben ist noch zu erwähnen, daß er im J. 1872 zu den Vertrauensmännern gehörte, die der Minister Falk vor Erlaß der Allgemeinen Bestimmungen vom 15. October d. J. zur Berathung über Volksschul- und Seminarwesen nach Berlin berief.

Den ehrenvollen Ruf des Ministers verdankte D. dem verdienten Ansehen, das er durch seine Wirksamkeit in Barmen bei der gesammten rheinischen [48] Schulwelt und weit über die Grenzen seiner Heimathprovinz hinaus erworben hatte. Dieses Ansehen gründete sich zunächst auf seine eigene vorbildliche Schularbeit. Von Vorgesetzten und Fachgenossen, die in großer Zahl seine Schule als anerkannte Musteranstalt aufsuchten, liegen über ihn als Lehrer die anerkennendsten Urtheile vor. Sodann war es ihm in seltenem Maaße gegeben, durch Conferenzen, die er für engere und weitere Kreise einrichtete und geschickt leitete, sowie durch Vorträge, die er in diesen Vereinen und in eigenen, fortlaufenden Cursen bis in die letzten Jahre seines Ruhestandes hielt, den Trieb der Fortbildung im Volksschullehrerstande anzuregen und in ersprießliche Bahnen zu leiten. Endlich fand der überaus fleißige Mann daneben noch Kraft und Muße zu einer regen litterarischen Thätigkeit, durch die er auf immer weitere Kreise wirkte. Im Mittelpunkte dieser Schriftstellerei stand das von ihm 1857 begründete und bis zu seinem Tode, zuletzt mit Gottlob Heine, geleitete „Evangelische Schulblatt“.

Bevor jedoch auf Dörpfeld’s litterarische Laufbahn etwas näher eingegangen wird, muß versucht werden, in wenigen Strichen anzudeuten, in welchem Geiste er gelebt und gestrebt hat. Daß ihm das religiöse Element, und zwar im positiv evangelischen und biblischen Sinne stets besonders am Herzen lag, ist in seiner Jugendbildung tief begründet. Er blieb, getreu der aus Elternhaus und Seminar mitgebrachten Richtung, durch sein ganzes Leben der echte Schüler und dankbare Anhänger des verehrten Lehrers Zahn, ohne deswegen das Gute, wo es von anderer Seite kam, zurückzuweisen oder zu verkennen. Die Raumer-Stiehl’schen Regulative von 1854 fanden an ihm einen gerechten und billigen Kritiker, der ihre Absichten und einen guten Kern in ihnen anerkannte, ohne doch ihrer gesuchten Form und ihrer Spröde gegenüber den berechtigten Ansprüchen der Gegenwart an das Volksschulwesen zuzustimmen. Auf dem Boden der Allgemeinen Bestimmungen von 1872 konnte er sich freudiger bewegen, hatte aber auch an ihnen manches Einzelne auszusetzen. – Mit dem religiösen verband sich in D. das philosophische Bedürfniß, das wesentlich durch das Berufsinteresse des Schulmannes bedingt war und daher vorzugsweise den Grund- und Hülfswissenschaften der Pädagogik: Psychologie, Logik und Ethik, galt. Früh durch seinen Großvater auf Kant hingewiesen, hatte er sich in dessen Anthropologie vertieft und die kritische Philosophie nach einem ihm zugänglichen Abrisse studirt. Dann gewannen Herder, v. Hippel und Jung-Stilling Einfluß auf sein Denken. Eine Zeit lang glaubte er bei Beneke Befriedigung seines Erkenntnißtriebes zu finden. Endlich wies ihn sein bergischer Landsmann Karl Mayer auf Herbart hin, dessen Psychologie, Ethik und Pädagogik ihn nun dauernd fesselten. Daneben schätzte er später besonders J. G. Hamann, dessen von Goethe formulirtes Princip: „Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun durch That oder Wort oder sonst hervorgebracht, muß aus sämmtlichen vereinigten Kräften entspringen: alles Vereinzelte ist verwerflich“ – ihm zu einem Lebensmotto ward und ihn gegen das, wie er nicht mit Unrecht annahm, eben aus falscher Vereinzelung der Interessen entstandene Parteiwesen der Gegenwart feite. Freilich konnte er sich dem Zwange, in einzelnen praktischen Fragen Partei zu ergreifen, nicht entziehen; wie er denn z. B. gegenüber dem Drängen eines Theiles der liberalen Lehrerschaft auf paritätische Gestaltung des Volksschulwesens fest und entschieden für dessen confessionellen Charakter und für die Erhaltung der evangelischen Schule als solcher eintrat. Er war demgemäß thätiges Mitglied des Vereines evangelischer Schulfreunde für Rheinland und Westfalen und des deutschen evangelischen Schulvereines wie andrerseits des Vereines für Herbartische Pädagogik in Rheinland und Westfalen und des (Herbartischen) Vereines für wissenschaftliche Pädagogik.

[49] Als Schriftsteller hat D. theils unmittelbar für das unterrichtliche Bedürfniß einzelner Lehrfächer, theils für die allgemeine Didaktik gearbeitet, theils endlich in den schulpolitischen Fragen der Zeit seine Stimme erhoben. In ersterer Hinsicht sind besonders zu nennen sein in vielen Auflagen (16 bis zu des Verfassers Tode) verbreitetes „Enchiridion der biblischen Geschichte oder Fragen zum Verständniß und zur Wiederholung derselben“, das „Repetitorium für den naturkundlichen und humanistischen Unterricht“ und die „Gesellschaftskunde“ (4. Aufl. 1895). – Allgemein didaktischer Art sind die Schriften: „Grundlinien einer Theorie des Lehrplans. Nebst dem Ergänzungsaufsatz: Die unterrichtliche Verbindung der sachunterrichtlichen Fächer“ (1873); „Der didaktische Materialismus. Eine zeitgeschichtliche Betrachtung und eine Buchrecension“ (1873); „Denken und Gedächtniß. Beitrag zur pädagogischen Psychologie“ (1884). – Dem Gebiete der Schulpolitik gehören an: „Die freie Schulgemeinde und ihre Anstalten auf dem Boden der freien Kirche im freien Staate“ (1863); „Die drei Grundgebrechen der hergebrachten Schulverfassungen“ (1868); „Ein Beitrag zur Leidensgeschichte der Volksschule nebst Vorschlägen zur Reform der Schulverwaltung“ (1881; 2. Aufl. 1882), „Das Fundamentstück einer gerechten, gesunden, freien und friedlichen Schulverfassung“ (1893) und „Zwei pädagogische Gutachten (a. über vier- und achtklassige, b. über konfessionelle und paritätische Schule“. 3. Aufl. 1899). In diesen Schriften, deren dritte, bekannteste durch die den Lehrerstand verletzende sogen. Aschermittwochsrede des Ministers v. Puttkamer im preußischen Landtage (11. Febr. 1881) veranlaßt war, verficht D. seinen im Titel der ersten angedeuteten Grundgedanken, wonach die Volksschule nicht unmittelbar Sache des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde, auch nicht der Kirche, sondern einer besonderen, an die Kirche angelehnten, vom Staat anerkannten, unterstützten und beaufsichtigten Schulgemeinde sein soll. Diese Schulgemeinde, das „Fundamentstück“, faßt er als einen auf Elternrecht und Gewissensfreiheit gegründeten Verband von Familien zur gemeinsamen Erziehung ihrer Kinder. Das Bedenken liegt nahe, daß damit den wachsenden Volksmassen moderner Staaten und besonders Städte schwerlich zu genügen ist. Die Schulaufsicht soll nach D. nicht argwöhnisch inquirirende oder nur das materielle Wissen constatirende Ueberwachung, sondern anregende, sachkundige, liebevoll eingehende Schulpflege sein. Er gibt darum die pädagogische Ortsschulaufsicht überhaupt preis und will an der Kreisaufsicht den Lehrerstand selbst, dessen Hebung er befürwortet und für den er mehr Vertrauen fordert, betheiligen. – Neben vielem Beachtens- und Beherzigenswerthen zeigen Dörpfeld’s Schriften einen Hang zu weitschweifigem und oft wunderlichem Theoretisiren, der es erklärt, daß sie zwar bei Freund und Feind meist mit Achtung aufgenommen wurden, aber weniger durchschlagende Kraft bewiesen. Volle Anerkennung als redlicher Zeugnisse eines gewissenhaften, tief nachdenkenden und gemüthvollen Schulmannes, der bei aller Milde und Friedensliebe seinen Standpunkt nach rechts und links stets tapfer wahrte, verdienen sie zweifellos, wie ihr Verfasser eine der liebenswerthesten und ehrwürdigsten Gestalten in den hochfluthenden Schulkämpfen seiner Zeit genannt werden darf.

Vgl. Gesammelte Schriften von F. W. Dörpfeld. 10 Bde. Gütersloh 1894–96. – A. Carnap geb. Dörpfeld, F. W. Dörpfeld. Aus seinem Leben und Wirken. Ebd. 1897. – E. Hindrichs, F. W. Dörpfeld in Rein’s Encyklopädischem Handbuche der Pädagogik. Bd. I. Langensalza 1895, sowie die allgemeine und besonders die periodische pädag. Litteratur seiner Zeit.