ADB:Döbel, Heinrich Wilhelm
Doebel: Heinrich Wilhelm D. Forstmann, geb. 1699 im sächsischen Erzgebirge, ältester Sohn eines reitenden Försters gleich. Vorn., gehört einer uralten Jägerfamilie „v. Dobel“ an, deren Vorfahren ihren Namen im dreißigjährigen Kriege, vermuthlich um den Verfolgungen wegen ihrer lutherischen Confession zu entgehen, in das bürgerliche „Doebel“ umgewandelt hatten. Sein Geburtsort ist unbekannt. Der Vater wurde 1715 von dem Fürsten Karl Friedrich zu Anhalt-Bernburg als reitender Förster nach Güntersberge (Unterharz) berufen und wirkte in dieser Eigenschaft bis zu seinem Tode (24. Juni 1738).
Der junge D., schon von frühester Jugend ab dem Waidwerke mit Feuereifer ergeben und frühzeitig in die Mysterien des Faches eingeführt, lernte drei Jahre als Jäger zuerst bei seinem Großvater, dem Förster Hans Rudolf D., [283] und nach dessen Tode bei seinem Vater. Im Herbste 1717 im Forstamt zu Harzgerode nach damaliger Sitte wehrhaft gemacht, d. h. aus der Lehre entlassen, begab er sich – mit Zustimmung seines Vaters – sogleich auf Reisen, um sich im Jagd- und Forstwesen weiter auszubilden und feine Sitten anzueignen. Die nächste Veranlassung hierzu lag in den damals trüben Aussichten auf Anstellung für einen deutschen Jäger, indem an den Höfen der großen und kleinen Potentaten die Nachäfferei französischen Wesens in der höchsten Blüthe stand und demzufolge fast alle Jägerstellen mit Franzosen besetzt waren. Drei Jahre lang durchstreifte D. die Wälder, besuchte die Jägereien im größten Theile Deutschlands etc., richtete hierbei sein Augenmerk vorzugsweise auf die Parforcejagd und kehrte, mit reichen Erfahrungen und Kenntnissen ausgestattet, nach Güntersberge zurück. 1723 trat er als Jägerbursche zu Blankenburg in die Dienste des Herzogs Ludwig Rudolf von Braunschweig, 1725 in diejenigen des Fürsten Leopold von Dessau. Hier legte er bei einer Parforcejagd so große Geschicklichkeit an den Tag, daß ihn der Fürst alsbald hiernach als Piqueur anstellte. Anfangs von dem dortigen Oberpiqueur mit Mißtrauen betrachtet, gelang es ihm doch bald, auch dessen Gunst zu erlangen. Er war kaum in dessen Familie eingeführt, so entspann sich ein zartes Liebesverhältniß zwischen ihm und der jüngeren Tochter des Hauses, Antoinette, einem heiteren Wesen von angenehmem Aeußeren. Ungünstige Gerüchte über den Charakter seiner Geliebten veranlaßten ihn jedoch, auf eine dauernde Verbindung mit derselben zu verzichten. Seine Verlobung mit der jungen Wittwe Agnes Plank (1726) brachte diesen Verzicht zum Ausdruck, führte jedoch eine Katastrophe von Bedeutung herbei, indem es die frühere gekränkte Liebhaberin bei ihrem in der vollen Gunst des Fürsten stehenden Vater durchzusetzen wußte, daß D. ganz plötzlich als Piqueur entlassen wurde. Durch diesen Zufall und den nicht unbedeutenden Grundbesitz seiner Verlobten bestimmt, widmete er sich nach seiner noch 1726 vollzogenen Verheirathung und zwar mit großem Geschicke der Landwirthschaft; allein die nie ganz verglommene Neigung zum Waidwerk loderte nach einigen Jahren bei Gelegenheit eines Besuches, welchen er seinen Eltern abstattete und wobei er seine Brüder in ihren glänzenden Jagduniformen wiedersah (1731), so mächtig in ihm auf, daß er nach seiner Zurückkunft den Beschluß faßte, den Wanderstab abermals zu ergreifen, um sich nach einer Jägerstelle umzusehen. 1733 brach er wirklich von Dessau auf, den anfänglichen Widerspruch seiner Gattin, welche er vorläufig zurückließ, nicht beachtend. Binnen kurzem gelang es ihm, vom König Friedrich August II. von Polen (zugleich Kurfürst von Sachsen) als Oberpiqueur bei der Jägerei zu Hubertusburg angestellt zu werden. Er siedelte nun, da ihm der dortige Jägerhof ein ausreichendes Asyl nicht zu gewähren vermochte, mit seiner Familie nach dem nahgelegenen Reckwitz über, woselbst er 1746 seine „Jägerpractica etc.“ schrieb. Diese verschaffte ihm die Ernennung zum Oberförster. Mit dem siebenjährigen Kriege, durch welchen besonders Sachsen schwer heimgesucht wurde, verschwindet D. aus den Familiennachrichten. Seine Gattin war bereits früher (am 22. April 1746) gestorben, die Jägerei zu Hubertusburg war eingegangen. D. verließ daher Reckwitz, um in einer von den Drangsalen des Krieges mehr verschonten Gegend ein Asyl zu suchen.
Wohin er gegangen, hat nicht ermittelt werden können (Moser läßt ihn in seiner Forstökonomie I. S. 155 um 1757 als Förster zu Falkenberg und Schmekendorf im Sächsischen fungiren); auch sind Jahr und Ort seines Todes nicht bekannt. Es geht jedoch wenigstens so viel aus den Familiennachrichten hervor, daß er seine irdische Laufbahn bei seinem Sohne und einzigen Kind, dem Oberst und Oberstallmeister Friedrich Rudolf v. D. (in Warschau oder in Pleß [Schlesien]) beschlossen hat.
[284] Doebel’s Bedeutung für die Forstgeschichte liegt in der – wie bereits erwähnt – von ihm 1746 veröffentlichten „Jägerpractica“ (die 4. Auflage derselben wurde 1828 und 1829 von Karl Friedr. Lebr. D. und Friedrich Wilh. Benicken herausgegeben). D. schrieb außerdem noch ein umfangreiches Werk unter dem Titel: „H. W. Doebel’s geschickter Hausvater und fleißige Hausmutter oder kurze, doch gründliche Einleitung zur Haushaltung der Landwirthschaft“ (1747) und eine Menge von litterarischen Berichten in die Leipziger ökonomischen Nachrichten (1752–1760).
Diese „Jägerpractica“ (in den Försterhäusern Thüringens und Sachsens sehr verbreitet) ist nämlich das zweite deutsche forstliche Werk von Bedeutung – jedoch von seinem Vorläufer (Carlowitz, Sylvicultura oeconomica 1713 [s. Bd. III. S. 791]) grundverschieden. Während Carlowitz den schriftbewanderten, gelehrten Autor repräsentirt, zeigt sich uns im „Vater Doebel“, wie ihn die Epigonen nannten, der hirsch- und holzgerechte Praktiker.
Das Werk, mit einer schwülstigen Vorrede des königl. preuß. Geheimenrathes und Kanzlers der Universität Halle, Reichsfreiherrn v. Wolff (der Philosoph empfiehlt den Empiriker!) zu Leipzig erschienen, gab die Summe der Erfahrungen im Gebiete des Jagd- und Forstwesens, welche sich D. überhaupt erworben hatte. Mit scharfem Beobachtungssinn ausgestattet, pünktlich, ordnungsliebend, offen, streng gegen sich und Andere, rechtlich, lernbegierig, äußerst thätig, durch und durch praktisch angelegt, hatte sich D., bei abwechselnder Wirksamkeit im Dienste des Waldes und der Landwirthschaft, eine tüchtige Empirie beschafft – und daß er sogar selbst als „schreibender Förster“ auftrat, muß ihm besonders hoch angerechnet werden. Er repräsentirt das urwüchsige Naturgenie des damaligen Jägers, ganz aufgehend im Jäger-Leben und Treiben seines Jahrhunderts, den Ahnherrn und Vorläufer der sogenannten Hirschgerechten, denen die Stubenweisheit ein Greuel war. Stand dem Verfasser auch die Jägerei höher, als die Forstwirthschaft, so wird doch auch die letztere – und zwar im 3. Theil des Werkes – abgehandelt. D. gibt hier ausführliche Beschreibungen der Waldbäume, lehrt die Vermessung, Schlageintheilung, Baumtaxirung (das „Ansprechen“ der Bäume auf ihren Kubikinhalt), die Abholzung, den Verkauf, die Messung und Berechnung der gefällten Hölzer und den Wiederanbau etc. Für Tangelholz (Nadelholz) wird ein 60–80jähriger Umtrieb gefordert! (Im argen Gegensatz zu dieser relativ kurzen, etwa der Culmination der Bodenrente, von welcher D. allerdings keine Ahnung hatte, entsprechenden, ganz neuerdings wieder von der forstlichen Reinertragsschule aufs Panier geschriebenen Umtriebszeit stehen die später von Cotta und den Conservativen geforderten, auf Massenmehrung abzielenden hohen Haubarkeitsalter.) Gegen die Beckmann’sche Kahlschlagtheorie und die von diesem geforderte künstliche dichte Saat zog er (in den Leipziger ökonomischen Nachrichten) mit der Derbheit und Hartnäckigkeit, die den Empiriker in der Regel auszeichnen, zu Felde, indem er für die natürliche Besamung (schlagweisen Hieb mit Belassung von Samenbäumen) eintrat; aber es muß hinzugefügt werden, daß Beckmann (Bd. II. S. 238) die Offensive ergriffen hatte. (Ueber Doebel’s litterarische Fehde mit v. Brocke vgl. Bernhardt a. a. O. II. S. 100.) Von den Durchforstungen hält unser Autor noch nichts; Umwandlung von Wald in Feld erklärt er für durchaus unzulässig; das Streulaub- und Moosrechen findet jedoch in seinen Augen Gnade (– hier blickt der Landwirth durch –); ja er animirt sogar den Ackerbautreibenden zur Ausübung dieser Nutzung. D. verkörpert uns – Alles in Allem genommen – den forstlichen Standpunkt des damaligen Jägerthums: Mangel an allgemeiner Bildung, aber begeisterte Liebe für Jagd und Wald, praktischer Sinn und reiche Erfahrung. Seine litterarische Schöpfung hat selbstverständlich heutzutage nur noch geschichtlichen Werth, aber [285] der Ruf des Autors unter den Grünröcken verblaßte erst, als die wissenschaftliche Erkenntniß des Waldgewerbes – unter Verdrängung der Jagd – in ihre Rechte einzutreten begann.
- Jägerpractica, 4. Aufl. 1828. Einleitung. Fraas, Geschichte der Forstwissenschaft, 1865, S. 519 und 521. Bernhardt, Geschichte des Waldeigenthums etc. I. 1872, S. 253. II. 1874, S. 78, 96, 100.