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Artikel „Claus, Karl“ von Otto Hamann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 498–500, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Claus,_Carl&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 20:48 Uhr UTC)
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Claus: Karl C., Zoologe und Naturforscher, wurde am 2. Januar 1835 in Kassel geboren, wo sein Vater und Großvater das Amt eines Münzwardeins bekleidet hatten. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, dem er ein volles Decennium angehörte. Wie er selbst schildert, besaß er eine geringe Neigung für das Studium der alten Sprachen, insbesondere deren abstract grammatikalische Behandlung, die damals allzusehr in den Vordergrund gestellt wurde. Um so mehr zog ihn der Unterricht in Naturgeschichte, Physik und Mathematik an. Seine Begabung für die Naturwissenschaften zeigte sich frühzeitig, indem er Pflanzen, Mineralien, Insekten sammelte. So wurde bei dem Knaben bereits der Sinn für Beobachtung und feinere Unterscheidung in hohem Grade geschärft. Ostern 1854 bezog C. die Landesuniversität Marburg als Student der Medicin und Naturwissenschaften und trat in das Corps der Hasso-Nassoven ein. Zwei Jahre später siedelte er nach Gießen über, wo er unter Leuckart’s Leitung seine Studien in der Zoologie fortsetzte. 1857 promovirte er zum Doctor philosophiae und habilitirte sich 1858 in Marburg als Privatdocent für Zoologie. Schon im folgenden Jahre 1859 zog er nach Würzburg, da ihm eine ersprießliche Lehrthätigkeit fehlte. Im Wintersemester 1859/60 hielt er hier seine ersten Vorlesungen; da kam auf Leuckart’s Empfehlung eine Berufung nach Dorpat, die er aber ablehnte. Sofort erfolgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor in Würzburg mit 800 fl. Jahresgehalt. Jetzt konnte er Reisen nach Helgoland, Messina und Neapel unternehmen. 1863 folgte C. einem Rufe nach Marburg an Stelle seines verstorbenen Lehrers Herold mit 700 Thlrn. Gehalt, das sich aber steigerte, als er eine Berufung als Director des Thiergartens in Hamburg abschlug. 1864 verheirathete er sich mit Camilla von Napolski, einer Officierstochter, die bereits 1869 starb. 1870 wurde er in Göttingen Nachfolger Keferstein’s. Hier schloß er seine zweite Ehe mit Rose Warder aus London. Auch diese Ehe war von kurzer Dauer; 1872 starb seine Gattin. Eine dritte Ehe fand durch Scheidung ein Ende. Im Spätherbst 1873 siedelte er nach Wien über, wo ihm eine ordentliche Professur für [499] Zoologie übertragen wurde. Hier lehrte er 23 Jahre hindurch. Als auf Beschluß der Facultät das Ministerium im J. 1896 damit umging ein zweites zoologisches Institut an der Universität zu gründen, bat er um seinen Abschied, der ihm auch bewilligt wurde. Diesen Schritt konnte er nicht verwinden, vielleicht sagte er sich auch später selbst, daß es einer Wissenschaft nur förderlich sein kann, wenn sie mehrere gleichberechtigte Vertreter an einer Universität hat, denn auf diese Weise wird am besten einer nur zu leicht sich zeigenden Einseitigkeit entgegengewirkt. – Was C. in Wien geleistet hat, läßt sich in die Worte zusammenfassen: er wurde der Schöpfer der wissenschaftlichen Zoologie Oesterreichs. Durch ihn wurden tausende von Medicinern und Lehrern mit dem Geist der modernen Naturwissenschaft bekannt gemacht. Sein Wirken als Lehrer ging dahin, dem Schüler zunächst eine allgemeine Orientirung zu verschaffen und ihn praktisch durch Uebungen heranzubilden. Dabei unterstützte ihn eine meisterhafte Darstellungskunft. Ihm war ein lebhaftes, unruhiges Naturell, eine geistige Regsamkeit eigen, die frühzeitig seine körperlichen Kräfte erschöpften. Er kannte keine Schonung, seine Arbeitskraft war unermüdlich. Im persönlichen Verkehr konnte er durch seine originelle Persönlichkeit bezaubern. Als Forscher war er in seinen Arbeiten von peinlicher Genauigkeit; nichts war ihm widerlicher als vorschnelle Verallgemeinerungen und falsche Deutungen flüchtiger Beobachtungen. Seine Kritik war dann rücksichtslos scharf, wie seine Besprechungen der Häckel’schen Arbeiten über die Coelenteraten und über allgemeine Probleme zeigen („Häckel’s Gasträatheorie“ 1874, „Zur Wahrung der Ergebnisse meiner Untersuchungen über Charybdea als Abwehr gegen den Häckelismus“ 1881 u. a.).

Seine Werke, die er hinterlassen hat, zeugen von genialer Veranlagung und scharfer Beobachtungsgabe. Er war in allen Fächern der Zoologie zu Hause. Er war kein einseitiger Specialist, sondern ein Naturforscher mit weitem Blick. Wenn er zu den Anhängern der Descendenzlehre gezählt werden muß, so hinderte ihn das nicht, gegen die voreiligen Verallgemeinerungen, die aus dieser Lehre gezogen wurden, zu kämpfen. Durch den Darwinismus war für ihn keineswegs das Räthsel der Entwicklung gelöst; er war sich bewußt, daß dieser nicht allein die Zweckmäßigkeit der organischen Welt erklären könne. – Sein Arbeitsfeld waren vorzüglich die Crustaceen, deren bester Kenner er wurde. Ihre Entwicklung und Anatomie ist uns erst durch seine classischen Arbeiten erschöpfend bekannt geworden. Weiter behandeln viele seiner Abhandlungen die Coelenteraten, daneben schrieb er über Würmer, Gliederthiere und Wirbelthiere. Allgemeinen Fragen widmete er frühzeitig seine Aufmerksamkeit, so verdanken wir ihm Schriften über den Generationswechsel, „Ueber die Bildung des Insekteneies“, „Ueber die Grenze des thierischen und pflanzlichen Lebens“. Das beste zur Zeit vorhandene Lehrbuch hat C. zum Verfasser. 1868 unter dem Titel „Grundzüge der Zoologie“, später als Lehrbuch erschien es 1897 in 6. Auflage mit vorzüglichen Abbildungen. Es ist gleich mustergültig dem Inhalt wie der Form nach. Seit 1878 gab er die Zeitschrift: „Arbeiten aus dem zoologischen Institut der Universität Wien und der zoologischen Station in Triest“ heraus. Ein Verzeichniß seiner Veröffentlichungen enthält die Fortsetzung seiner Autobiographie von Guido v. Alth. C. starb am 18. Januar 1899 im 65. Lebensjahre als Hofrath in seiner Villa in den Wiener Cottageanlagen. Er war Inhaber des Ritterkreuzes des Leopold-Ordens, Mitglied der K. Akademie in Wien und vieler gelehrten Gesellschaften.

Carl Grobben, Nachruf an Carl Claus, in: Verhandl. d. k. k. zool.-bot. [500] Gesellsch. Wien, Bd. 49. – Hofrath Carl Claus, Autobiographie bis 1873, vollendet von Prof. v. Alth. Marburg 1899, m. d. Bildn.