ADB:Brockes, Barthold Heinrich

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Artikel „Brokes, Barthold Heinrich“ von Carl Christian Redlich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 345–346, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brockes,_Barthold_Heinrich&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:25 Uhr UTC)
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Band 3 (1876), S. 345–346 (Quelle).
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Brokes: Barthold Heinrich B. (Brockes), geb. 22. Sept. 1680 zu Hamburg, † daselbst 16. Jan. 1747. Sein Vater, ein wohlhabender Kaufmann, starb schon 1694, seine Mutter, die als Wittwe sehr eingezogen lebte, ließ ihm mehr Freiheit, als seiner Vorbereitung auf das Studium dienlich war. Erst in seinem 20. Jahre bezog er die kurz vorher gegründete Universität Halle, um die Rechte zu studiren, doch scheint er nie die Ausübung der Advocatur beabsichtigt zu haben. Die Hälfte seiner Studienzeit, die bis Ende 1704 dauerte, füllen Reisen in Deutschland, Italien, der Schweiz, Frankreich und Holland; die schon auf der Schule erlangte Uebung im Zeichnen und in der Musik auszubilden, fand er auf diesen Zeit und Gelegenheit; dabei konnte er seine Vorliebe für vornehmen Umgang und cavaliermäßiges Leben befriedigen. Das väterliche Vermögen durch eine reiche Heirath zu vermehren und „seine Fortune bei Hofe zu suchen“ war nach seiner eigenen Angabe sein Zukunftsplan, als seine durch den Tod ihrer letzten Tochter ganz vereinsamte Mutter ihn nach Hause rief. Rasch besorgte er nun in Leyden seine Promotion zum Licentiaten der Rechte und kehrte in seine Vaterstadt zurück, wo er fast 16 Jahre ohne Amt ganz seinen Lieblingsneigungen lebte, obgleich er sich nicht verhehlte, daß er damit in dem thätigen Hamburg, statt Ehre einzulegen, leicht den Namen eines Müßiggängers davontragen konnte. Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen eine begüterte Erbin heimzuführen, die er besonders seit dem Tode seiner Mutter 1709 gemacht, fand er 1714 in Anna Ilsabe Lehmann, „einer der considerabelsten Partien“, eine Lebensgefährtin, mit der er bis 1736 in sehr glücklicher, mit 12 Kindern gesegneten Ehe gelebt hat. Auch sein Ehrgeiz sollte Befriedigung finden. Er ward am 13. Aug. 1720 unverhofft zum Senator erwählt und hatte als solcher wiederholt Gelegenheit, auf Gesandtschaftsreisen und bei fürstlichen Besuchen in Hamburg seine hofmännischen Talente zum Nutzen seiner Vaterstadt zur Geltung zu bringen. Von 1735–1741 saß er als Amtmann in Ritzebüttel, wo eine von ihm angelegte Holzung den Namen Brockeswalde noch heute bewahrt. Den unermüdlich thätigen und anscheinend rüstigen Mann ereilte der Tod nach dreitägiger Krankheit. Von seinen Söhnen sind zwei als Schriftsteller aufgetreten. Seine Studien der französischen und italienischen Litteratur und verschiedene Uebersetzungen, mit denen er sich nach seiner Rückkehr von der Universität beschäftigte, erweckten in ihm die Lust, selbständige Versuche in der Poesie zu machen. Ein Hochzeitgedicht für seinen Freund Vegesack aus dem Jahr 1708 war sein erstes Druckwerk. Die von ihm angeregte Stiftung der „teutschübenden Gesellschaft“, eines Vereins von sechs Gelehrten, die wie [346] später die Bremer Beiträger und der Göttinger Dichterbund in regelmäßig wiederkehrenden Sitzungen einander ihre Werke vorlasen und kritisirten, wurde für ihn ein Sporn zu eifriger Fortsetzung dieser Versuche: einzelne Gelegenheitsreimereien in Weichmann’s Poesie der Niedersachsen und besonders „der verteutschte bethlehemitische Kindermord des Ritters Marino nebst etlichen von des Herrn Uebersetzers eigenen Gedichten“ fallen in diese Zeit.[1] Die Thätigkeit der Gesellschaft, zu der Triewald, J. A. Fabricius, Richey, König und später Hoefft und Joh. Hübner gehörten, schlief schon im dritten Jahre ihres Bestehens ein. Mit Fabricius und Richey gründete B. sieben Jahre später die patriotische Gesellschaft und lieferte zu ihrer moralischen Wochenschrift „Der Patriot“ verschiedene Beiträge. Sein wichtigstes Interesse nach denen seines Amtes blieb ihm aber die Poesie, und zwar jene malende und moralisirende, die für ihn eine Art von Gottesdienst wurde. „Wenn ich aber gar bald gewahr ward“, sagt er in seiner Selbstbiographie, „daß die Poesie, wofern sie keinen sonderlichen und zwar nützlichen Endzweck hätte, ein leeres Wortspiel sei und keine große Hochachtung verdiente, als bemühete ich mich solche Objecte meiner Dichtkunst zu erwählen, woraus die Menschen nebst einer erlaubten Belustigung zugleich erbauet werden möchten. Da ich denn erstlich das bekannte nachher in verschiedene Sprachen übersetzte Passionsoratorium verfertigt, nachgehends aber durch die Schönheit der Natur gerühret, mich entschloß, den Schöpfer derselben in fröhlicher Betrachtung und möglicher Beschreibung zu besingen. Wozu ich mich um so viel mehr verpflichtet hielte, als ich eine so große und fast unverantwortliche Nachlässigkeit, Unempfindlichkeit und den daraus folgenden Undank gegen den allmächtigen Schöpfer für höchst sträflich und dem Christenthum ganz unanständig hielte. Verfertigte demnach, zumal zur Frühlingszeit, verschiedene einzelne Stücke und suchte darin die Schönheit der Natur nach Möglichkeit zu beschreiben, um so wohl mich selbst als andere zu des weisen Schöpfers Ruhme durch eigenes Vergnügen je mehr und mehr anzufrischen.“ So entstand allmählich sein Hauptwerk, „Das irdische Vergnügen in Gott“, das von 1721–1748 in neun starken Bänden herauskam. Seine Zeitgenossen nahmen es mit der größten Bewunderung auf; wer reimen konnte sang ihn dafür an; der erste Band erlebte sieben Auflagen; Fürst Günther von Schwarzburg[WS 1] machte ihn aus Dankbarkeit 1730 zum kaiserlichen Pfalzgrafen; Hagedorn veranstaltete einen Auszug aus den ersten fünf Theilen. Die Unermüdlichkeit, mit der er in immer neuen Variationen die leblose Natur zu besingen verstand, hat die wenigen Proben, welche moderne Sammlungen aus seinen Gedichten aushoben, fast zum Gegenstand des Spottes gemacht. Für seine Zeit ist er aber von einem nicht zu unterschätzenden Einfluß gewesen. Seine Jugendliebhabereien veranlaßten ihn, mit der Dichtkunst die Schwesterkünste der Musik und Malerei möglichst eng zu verbinden, wie es in roherer Weise die Pegnitzschäfer gethan hatten, aber gerade in dieser Verkehrtheit erwarb er sich ein doppeltes Verdienst in Beziehung auf Form und Inhalt der deutschen Poesie: er brach die Alleinherrschaft des Alexandriners und erweckte den Natursinn, durch den die Erlösung von dem unwahren Schwulst der zweiten schlesischen Dichterschule und der öden Leere der in Hamburg wie in Sachsen florirenden Wasserpoeten gefunden wurde.

Zeitschrift des Vereins für Hamb. Geschichte II. 167 ff. 533 ff. Lexikon der Hamb. Schriftsteller I. 394 ff.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 346. Z. 6 v. o.: Eine Biographie von B. H. Brockes (nebst darauf bezüglichen Briefen von J. U. König an J. J. Bodmer) von A. Brandl erschien 1878 in Innsbruck, Wagner’sche Univ.-Buchh. [Bd. 7, S. 795]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Günther I. (XLIII.) von Schwarzburg-Sondershausen (1678-1740), seit 1720 regierender Fürst von Schwarzburg-Sondershausen.