Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Blaramberg, Johann von“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 8–12, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Blaramberg,_Johann_von&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 05:27 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Blanz, Josef
Nächster>>>
Blau, Otto
Band 47 (1903), S. 8–12 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand September 2013, suchen)
Ivan Blaramberg in Wikidata
GND-Nummer 124251730
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|47|8|12|Blaramberg, Johann von|Viktor Hantzsch|ADB:Blaramberg, Johann von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=124251730}}    

Blaramberg: Johann von B., Generallieutenant in russischen Diensten, Reisender und Geograph, ist am 8. April 1800 zu Frankfurt a. M. als Glied eines alten Adelsgeschlechtes geboren. Er besuchte die Schulen seiner Vaterstadt, zeigte schon früh hervorragende Begabung, siedelte 1808 mit seinen Angehörigen nach Hanau über und wurde 1812 nach dem Tode beider Eltern in ein Privatinstitut nach Offenbach zur weiteren Erziehung gebracht. Infolge der fortwährenden Durchzüge fremder Truppen anläßlich der Napoleonischen Krieges begann er sich lebhaft für Länder- und Völkerkunde zu interessiren. Schon als Knabe eignete er sich ausgedehnte Sprachkenntnisse an, die er nach seiner [9] Confirmation in Frankfurt noch weiter vertiefte. 1820 begab er sich nach Gießen, um die Rechte zu studiren. Da er nicht in Conflict mit den Behörden zu kommen wünschte, hielt er sich von dem studentischen Treiben, insbesondere von der burschenschaftlichen Bewegung grundsätzlich fern. Während er sich nach Vollendung seiner Studien nach einer geeigneten Lebensstellung umsah, erhielt er durch einen in Odessa als russischer Staatsrath lebenden Verwandten die Aufforderung, nach Rußland zu kommen, da dort begabte junge Leute aus guter Familie günstige Aussichten auf ein gutes Fortkommen hätten. Er folgte diesem Rufe, ging zunächst auf ein Jahr nach Moskau zu einem andern Verwandten, um die russische Sprache zu erlernen und reiste dann 1824 nach Odessa ab. Nachdem er einen hinlänglichen Einblick in die Verhältnisse des russischen Staatsdienstes gewonnen hatte, nahm er sich vor, die Laufbahn eines Ingenieurs zu ergreifen. Er studirte deshalb privatim die mathematischen und technischen Wissenschaften. Auch veranstaltete er in der Umgegend von Odessa Ausgrabungen und verschaffte sich eine gründliche Kenntniß der dort vorkommenden griechischen Alterthümer. 1825 wurde er in die staatliche Hochschule für Wege- und Brückenbau in Petersburg aufgenommen, beschäftigte sich hier hauptsächlich mit der Theorie und Praxis der astronomischen, trigonometrischen und topographischen Landesaufnahmen und des Kartenzeichnens, absolvirte den dreijährigen Cursus mit bestem Erfolg, bestand auch die Officiersprüfung und trat in die russische Armee ein. Zu seiner weiteren praktischen Ausbildung wurde er 1829 zunächst nach Odessa und dann nach dem Balkan und in die Gegend von Adrianopel geschickt, wo er allerlei Vermessungen ausführte und nebenbei, seinen künstlerischen Neigungen folgend, Ansichten der schönsten von ihm besuchten Gegenden zeichnete, die er später lithographiren ließ und zu einem Album vereinigt herausgab. Nachdem er diese Probezeit bestanden hatte, kehrte er nach Petersburg zurück, trat in den Generalstab ein und wurde 1830 als Ingenieurofficier nach dem Kaukasus gesandt. Er durchzog dieses ausgedehnte Gebirge nach allen Richtungen, machte Aufnahmen, sorgte für Verbesserung der Straßen und Brücken und betheiligte sich an verschiedenen Streifzügen gegen die Kisten, Tagaurzen, Tschetschenzen, Lesgier, Galgaier, Tscherkessen und andere Bergvölker, deren ethnographische Eigenthümlichkeiten er studirte und deren Sprachen er sich anzueignen suchte. Nachdem er noch die Naphthaquellen von Baku und andere Merkwürdigkeiten dieser Gegend untersucht hatte, erhielt er 1832 den Befehl, nach Petersburg zurückzukehren. Hier verfaßte er zunächst auf Grund seines reichen, an Ort und Stelle gesammelten Materials eine ausführliche Beschreibung der kaukasischen Bergvölker in russischer Sprache, die er dem Kaiser vorlegte und für welche er eine namhafte Geldbelohnung erhielt. Sie wurde allerdings nicht gedruckt, sondern dem Archive des Generalstabs einverleibt. 1833 bekam er von der Regierung den Auftrag, Untersuchungen über die Einrichtung und Verwendbarkeit des optischen Telegraphen anzustellen, der damals von Frankreich aus in Rußland eingeführt wurde. Im folgenden Sommer unternahm er mit einem französischen Hauptmann eine Rundreise zur Besichtigung und topographischen Aufnahme der Schlachtfelder des Jahres 1812. Im nächsten Frühling wurde er zum Mitglied einer Expedition ernannt, welche unter Führung des Assessors Karelin die Ostküste des Kaspischen Meeres erforschen und aufnehmen, Handelsverbindungen mit den dort wohnenden turkmenischen Stämmen anknüpfen und Erkundigungen über den ehemaligen Lauf des Oxus einziehen sollte. B. begab sich mit den erforderlichen geodätischen und astronomischen Instrumenten nach Astrachan, überwachte hier den Bau eines zur Aufnahme der Expedition bestimmten Schiffes und reiste dann nach Tiflis, um alle in den dortigen Archiven befindlichen wichtigen Schriftstücke über das Kaspische Meer und dessen Anwohner [10] durchzusehen und copiren zu lassen. Nach Vollendung dieser Vorarbeiten durchzog er zunächst die am Südwestufer des Kaspi gelegene Landschaft Talisch bis zur persischen Grenze und fuhr dann nach Baku, wo ihn das unterdessen fertig gestellte Expeditionsschiff erwartete. Er segelte nun mit seinen Gefährten in südöstlicher Richtung über den See, führte eine Reihe von Tiefenmessungen aus und begann seine Küstenaufnahme beim Golf von Asterabad an der persischen Grenze, den er für die Anlage einer russischen Flottenstation geeignet fand. Dann fuhr er, immer mit Vermessungen beschäftigt, nordwärts an der Küste hin, untersuchte eingehend die Naphthainsel Tschelekän, die Bucht von Krasnowodsk, den großen Meerbusen Karabogas und die Alexanderbai und kehrte hierauf nach fünfmonatlicher Seefahrt nach Astrachan zurück. Hier ordnete er seine Aufzeichnungen und reiste dann nach der Hauptstadt.

Nachdem er sich hier einige Wochen erholt hatte, erhielt er den Auftrag, als Topograph zur russischen Gesandtschaft nach Persien zu gehen. Er begab sich über Tiflis, Eriwan und Täbris nach Teheran, machte sich zunächst mit Sprache, Sitte und Charakter des Volkes vertraut, unterrichtete nebenbei den Sohn des Gesandten, unternahm zahlreiche wissenschaftliche Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung der Stadt und sammelte Materialien zu einer geographisch-statistischen Beschreibung Persiens. Da der Schah Mahomed damals gerade im Begriff stand, den räuberischen Khan von Herat zu züchtigen und deshalb diese Stadt belagerte, reiste B. im Gefolge des Gesandten dorthin ab, um das persische Heerwesen durch eigenen Augenschein kennen zu lernen und zugleich die Methoden der Kriegführung in diesen Gegenden zu studiren. Sie folgten zunächst der großen Pilgerstraße nach Meschhed und gelangten dann durch ausgedehnte Salzwüsten nach Herat. Hier fanden sie die persische Armee infolge völliger Unfähigkeit der Anführer in einem überaus jämmerlichen Zustande, wohnten einem verunglückten Sturme auf die Festung bei und kehrten mit dem Heere, das nach zehnmonatlicher vergeblicher Belagerung abziehen mußte, nach Teheran zurück.

Nachdem B. im Frühjahre 1840 eine Reise nach Ispahan unternommen hatte, um die Zustände im südlichen Persien kennen zu lernen, wurde er benachrichtigt, daß er zum Chef der Landesaufnahme im Gouvernement Orenburg und in der Kirgisensteppe ernannt worden sei. Er begab sich auf weiten Umwegen durch den Kaukasus und die Krim dorthin und blieb nun 15 Jahre hier. Unter seinem Befehle stand ein Corps von Topographen, die jedes Frühjahr in die noch nicht aufgenommenen Gebiete des Gouvernements geschickt wurden, dort die nöthigen astronomischen, geodätischen und topographischen Arbeiten ausführten, im Herbst nach Orenburg zurückkehrten und ihre Meßtischblätter ins Reine zeichneten. Diese wurden dann nach Petersburg geschickt, dem Kaiser und den Militärbehörden vorgelegt und endlich im Kriegskartendepot geprüft, gestochen, gedruckt und aufbewahrt. B. mußte nun jeden Sommer eine Inspectionsreise durch das weite Gebiet seines Bezirks unternehmen, um die Arbeiten der Topographen zu beaufsichtigen. Diese Reisen führten ihn nach Norden bis in den Ural, nach Westen zum Obtschei Syrt, nach Süden zum Kaspi- und Aralsee durch die Kirgisensteppe, auf das Plateau Ust-Urt und in das Stromgebiet des Syr-Darja, nach Osten bis in die Landschaften am oberen Tobol. Sie bereicherten sein Wissen ungemein und machten ihn zu einem der besten Kenner der europäisch-asiatischen Grenzgebiete und Turkestans. Während der Wintermonate mußte er die Ergebnisse der vergangenen Vermessungsperioden zusammenstellen, Pläne für die Arbeiten des nächsten Jahres entwerfen, Vorbereitungen für die zeitweise nöthigen Streifzüge gegen die räuberischen Turkmenen treffen, und die Verproviantirung der Militärstationen in der Steppe [11] leiten. Auch sammelte er Stoff zu einer Beschreibung der Kirgisensteppe und ihrer Bewohner. So war seine Thätigkeit eine äußerst vielseitige und erfolgreiche. Gelegentlich wurde dieselbe durch außergewöhnliche, jedoch gleichfalls in den Dienst der Landesvermessung gestellte Reisen unterbrochen. So begleitete er im Sommer 1841 zwei russische Gesandtschaften, die nach Chiwa und Buchara gehen sollten, zu ihrem Schutze mit einer größeren Truppenmacht durch die Steppe bis zum Syr Darja und durchforschte bei dieser Gelegenheit die Sandwüste Kara Kum. Im December desselben Jahres unternahm er einen kürzeren Ausflug nach Uralsk, um die dort üblichen Methoden des Fischfangs unter dem Eise kennen zu lernen. 1842 besuchte er die Gegend am oberen Tobol, um die Anlage einer neuen Militärstation daselbst vorzubereiten. Im folgenden Jahre kam er zu demselben Zwecke wieder in diese Landschaft, zog dann weiter nach dem südlichen Ural, um die dortigen Goldwäschereien und Eisenwerke zu besichtigen und geologische Studien zu treiben, hielt sich dann einige Zeit in der Baschkirei auf, um dort günstige Punkte für Ackerbaucolonien ausfindig zu machen, und begab sich endlich nach dem Obtschei Syrt, um Streitigkeiten unter den dort wohnenden Kosaken zu schlichten. 1845 wurde er zum Oberst ernannt und mit Truppen nach der Barsukiwüste geschickt, um hier am Flusse Irgys ein neues Fort zu erbauen, dem er den Namen Uralskoje gab. 1846 zog er abermals aus, um an der Emba und am Syr Darja günstig gelegene Stellen zur Errichtung von Forts auszusuchen. 1852 erhielt er den schwierigen Auftrag, einen Streifzug gegen die räuberischen Chokaner zu unternehmen, die von der Festung Akmetschet am mittleren Syr Darja aus die unter russischem Schutze stehenden Kirgisen fortwährend beunruhigten. Er belagerte und beschoß die Stadt, vermochte sie aber, da er mit ungenügenden Mitteln versehen war, nicht zu erobern, wurde jedoch wegen seiner Tapferkeit zum Generalmajor ernannt.

Nachdem er 1856 die Vermessung des Orenburger Ländergebietes vollendet hatte, wurde er abberufen und als Director des kaiserlichen Kriegskartendepots nach Petersburg versetzt. An der Spitze dieser großartigen Anstalt wartete seiner eine umfassende Thätigkeit. Ein ganzes Heer von Stabsofficieren, Topographen, Zeichnern, Kupferstechern, Lithographen, Photographen, Druckern und Mechanikern stand zu seiner Verfügung. Unter seiner Oberleitung wurden die astronomischen und geodätischen Instrumente, welche für die kartographische Aufnahme Rußlands nöthig waren, angefertigt und reparirt, alle topographischen Aufnahmen, trigonometrischen Vermessungen und astronomischen Bestimmungen aus allen Theilen des Reiches geprüft und eine Unmenge von Meßtischblättern, Generalstabs-, Special- und Uebersichtskarten hergestellt. Außerdem hatte er die werthvolle Kartensammlung und das reichhaltige Archiv dieses Instituts und dessen umfangreiche Correspondenz zu überwachen. Nachdem er sich zunächst mit dem Geschäftsgange vertraut gemacht hatte, begann er mit der Abstellung einiger Mißstände. Bisher waren nämlich aus übertriebenem Mißtrauen die Specialkarten nicht dem Publicum zugänglich gemacht worden, auch hatte man die Kartenverzeichnisse und die jährlichen Berichte über die Fortschritte der Vermessungsarbeiten nur in russischer Sprache drucken lassen, so daß sie im Auslande fast völlig unbeachtet blieben. B. veröffentlichte nun mit Genehmigung des Ministeriums eine französische Uebersetzung des Katalogs der vorhandenen Specialkarten, ließ dieselben zu mäßigen Preisen verkaufen und verfaßte in deutscher Sprache eine Reihe von Berichten über die kartographischen Fortschritte Rußlands, die in Petermann’s „Mittheilungen“, der angesehensten und auch im Auslande am meisten verbreiteten geographischen Zeitschrift Deutschlands erschienen.

[12] Mehrfach wurde seine anstrengende amtliche Thätigkeit durch Reisen unterbrochen. So besuchte er 1859 Finnland, um die eigenthümlichen Schwierigkeiten in Augenschein zu nehmen, welche die zerrissene Oberflächengestalt dieses Landes dem Topographen bietet. 1860 unternahm er eine Studienreise ins Ausland, um die berühmtesten kartographischen Anstalten und deren neueste Fortschritte insbesondere auf dem Gebiete der Photographie, Zinkographie und Galvanoplastik kennen zu lernen. Er besichtigte die königl. Plankammer in Berlin, das Topographische Bureau des sächsischen Generalstabs in Dresden, die Perthes’sche geographische Anstalt in Gotha, wo er mit August Petermann und Emil v. Sydow Freundschaft schloß, die Dépôts de la guerre in Brüssel und Paris, sowie verschiedene kartographische Institute in England, München und Wien. Dann begab er sich über Constantinopel nach Odessa, inspicirte die Vermessungsarbeiten in den Gouvernements Charkow und Orel und kehrte dann nach Petersburg zurück. 1864 trat er eine zweite Studienreise ins Ausland an, nahm in Berlin an den Berathungen der Conferenz für die mitteleuropäische Gradmessung theil und lernte bei dieser Gelegenheit eine Reihe der ausgezeichnetsten Geodäten und Astronomen kennen. 1867 sah er sich infolge eines beschwerlichen Blasenleidens genöthigt, seine Pensionirung nachzusuchen. Er lebte noch einige Jahre in Petersburg und auf Reisen, zog sich aber dann, um in einem milderen Klima zu leben, auf seine Güter bei Sewastopol zurück, vollendete hier noch seine Memoiren, und starb am 22. December 1878 zu Simferopol.

Von seinen Werken sind folgende zu erwähnen: in russischer Sprache eine Beschreibung der kaukasischen Bergvölker (vollendet 1833, ungedruckt), eine Statistische Uebersicht von Persien (1841), eine Militärstatistische Beschreibung des Gouvernements Orenburg und der Kirgisensteppe (1847), eine Schilderung seiner Fahrt auf dem Kaspisee (1850), ein Bericht über seine Reisen in Persien (1853, letztere beiden in den Schriften der russischen geographischen Gesellschaft) und 10 Bände Memoiren des kaiserlichen Kriegskartendepots (1857–66), in deutscher Sprache eine Reihe von Aufsätzen, meist Berichte über den Stand der kartographischen Arbeiten in Rußland enthaltend, in den Jahrgängen 1857–76 von Petermann’s Mittheilungen, sowie seine Selbstbiographie.

Erinnerungen aus dem Leben des Kaiserlich russischen Generallieutenants Johann von Blaramberg. Berlin 1872–75, 3 Bände (mit Bild). – Schellwitz, Uebersicht der russischen Landesaufnahmen (Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin Bd. 22, 1887).