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Artikel „Bayer, Aloys“ von Max Zenger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 274–277, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bayer,_Aloys&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 17:14 Uhr UTC)
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Bayer: Aloys B., berühmter Tenorist an der Münchener Hofoper in deren Glanzperiode, unter den Königen Max Joseph I. und Ludwig I. Er wurde geboren 1802 zu Sulzbach in der Oberpfalz. Sein Vater, welcher daselbst Lehrer und Chorregent war, erkannte alsbald das musikalische Talent des Knaben, der nach wenigem Unterricht als bester unter den Singknaben seine [275] ersten bescheidenen Lorbeeren sammelte. Da jedoch Aloys auch anderweitige geistige Begabung in reichem Maße verrieth, schickte ihn der Vater an das Gymnasium zu Regensburg, wo er den Grund zu seiner allgemeinen Bildung legte, nebenbei aber die Musik und namentlich den Gesang eifrig betrieb. Nach Vollendung dieser Vorstudien ging der herangewachsene Jüngling nach München und trat daselbst ins Lyceum (1821), um nach dem Willen des Vaters sich zum geistlichen Stand auszubilden. Ein Zufall machte ihn aber mit dem berühmten Baritonisten Mittermayr, dem Schüler Brizzi’s, bekannt, welcher die schöne Tenorstimme Bayer’s bewunderte und in ihm sofort Anlagen entdeckte, welche weit eher den Dramatiker als den Sohn der Kirche zieren würden. B. kam der Aufforderung des erprobten Meisters, sich der Kunst zu widmen, mit Begeisterung entgegen, und jener ergriff auch sogleich die nöthigen Maßregeln, das aufgefundene Talent in die Künstlerwelt einzuführen und zunächst die Existenz seines Schützlings zu sichern. So suchte er vor allem die Aufmerksamkeit des Königs Max I. für ihn zu gewinnen, und bewerkstelligte dies auf folgende Art. Der König hielt eben Hof in Tegernsee, wo er im Schloßgarten unter einem Zelt zu tafeln pflegte. Die Musik durfte dabei nicht fehlen und Mittermayr mußte gewöhnlich mit anderen Sängern in kleiner Entfernung Quartette u. dgl. vortragen. Eines Tags machte er den Versuch mit B. als erstem Tenor. Kaum war die erste Strophe eines Liedes vorüber, als der entzückte Monarch in seiner leutseligen Weise ausrief: „Aber der Bub singt schön!“ Dieser Augenblick entschied Bayer’s Laufbahn. Der König überantwortete ihn nun ganz der künstlerischen Pflege Mittermayr’s, und am 15. Juli 1823 trat B. in der deutschen Oper zum ersten Mal als Joseph mit dem besten Erfolg auf. Das Anstellungsdecret, welches ihm noch unter demselben Datum ausgefertigt wurde, lautete indeß seltsam genug: „Herr Aloys Bayer tritt vom 15. Juli l. J. an bei dem k. Hoftheater in den königlichen Dienst, und verbindet sich alle Chöre und Singrollen, welche ihm bei der deutschen Oper zugetheilt werden, mit größtem Fleiße darzustellen, auch im Schauspiele, so oft es nothwendig befunden wird, zu figuriren und alle nach Maßgabe seiner Fähigkeit zugetheilt werdenden kleinen Rollen zu übernehmen. Wogegen Herr A. B., bei gegenseitiger 3monatlicher Aufkündigung, einen Jahresgehalt von 200 fl. an der Cassa des Hoftheaters in Monatsraten zu beziehen hat“. So wenig ermuthigend diese Stellung, abgesehen davon, daß sie große Selbstverleugnung in Anspruch nahm, für ihn bei seiner damaligen Mittellosigkeit sein mußte, um so mehr mochte er sich als wahrer Kunstjünger zum höchsten Streben angespornt fühlen, wenn er das günstige Geschick überdachte, welches seine Lehrjahre gerade in die Blüthezeit der Oper, und insbesondere des deutschen Schauspiels, versetzt hatte. Gab es nämlich damals in München an der italienischen und deutschen Oper der herrlichsten Muster in der Gesangskunst eine Menge, so waren die großen Schauspieler, welche der Münchener Bühne theils angehörten, wie Eßlair, Vespermann, Urban, theils durch Gastspiele mit derselben in Berührung kamen, wie die Familie Devrient u. A., von mindestens ebenso großer Bedeutung für Bayer’s Zukunft, dessen Stärke späterhin neben einer ausgezeichneten Gesangsmethode auch in einer correcten Declamation und einer geradezu universellen Darstellungskunst bestand. B. benutzte seine Zeit auch redlich, indem er seinen Vorbildern die seiner Künstlerindividualität zusagenden Pointen abzugewinnen suchte, und wußte sich durch stets wackere Leistungen bald so verdient zu machen, daß er im Jahre 1826 als „wirklicher“ Opernsänger mit dem vorläufigen Functionsgehalt von 500 fl. ernannt, und ihm diese Summe noch im October desselben Jahres auf 700 fl. erhöht wurde. Ein weiterer Contract vom Jahr 1828 bezeichnet ihn schon als den ständigen Vertreter der ersten Tenorpartien [276] mit dem ständigen Gehalt von 1300 fl., und sichert ihm einen alljährlichen Urlaub von zwei Monaten, „wenn nicht solche unerwartete Verhältnisse eintreten sollten, welche die Erfüllung dieser Zusicherung absolut unmöglich machen würden“. Wie unentbehrlich B. schon damals der Intendanz gewesen sein muß, geht daraus hervor, daß diese unerwarteten Verhältnisse stets eintraten, wenn er von auswärtigen Bühnen zu Gastspielen eingeladen wurde. So mußte er die ehrendsten Anträge von Mailand, Turin und Paris ablehnen, weil es die Intendanz für praktisch hielt, seine Gesuche um Reiseurlaub mit Umgehung seiner rechtlichen Ansprüche sechs Jahre lang consequent abzuweisen. Erst im Frühjahr 1835 sehen wir ihn als Gast in Wien, wo er zufällig mit Rubini, dem größten Sänger seiner Zeit, auf den Kampfplatz treten mußte. Die unerreichte Gesangskunst dieses mächtigen Rivalen hielt aber das Wiener Publicum bei Bayer’s Ankunft mit solchem Zauber gefangen, daß man nicht geneigt war, auf dessen Vorzüge, die mehr in einer tiefer gehenden Auffassung bestanden, einzugehen. So war es natürlich, daß unser Landsmann, der nach eigenem offenem Geständniß selbst zu den Bezauberten gehörte, dem Wälschen den Lorbeer überlassen mußte. Desto glänzender waren seine Erfolge auf dem Königstädtischen Theater in Berlin, wo er sich kurz darauf in einem Cyclus von 12 Rollen den ungetheilten Beifall des Publicums und das übereinstimmende Lob der Kritik erwarb. Zurückgekehrt von dieser Kunstreise, der einzigen, welche er infolge der ihn stets bindenden Verhältnisse unternehmen konnte, widmete er bei einer sich stetig entwickelnden Meisterschaft in Anwendung und Beherrschung seiner Kunstmittel fortan wieder alle Kraft, mitunter auch auf Kosten seiner Gesundheit, dem Dienst der Münchener Hofbühne, und beschloß nach 20jähriger unermüdeter Thätigkeit seine dramatische Laufbahn am 18. October 1843 mit der Rolle des Königs Lusignan in Fr. Lachner’s „Katharina Cornato“. Der Enthusiasmus, ja man kann sagen die Rührung und Erschütterung des Publicums, welches von seinem liebgewonnenen Sänger wie von einem Bruder Abschied nahm, waren an jenem Abend unbeschreiblich. Und die damaligen Theaterbesucher Kleinmünchen’s wußten, was sie an B. verloren. Abgesehen von den ihm zu Gebote stehenden großartigen und sympathischen Stimmmitteln, welche durch kunstgerechte Ausbildung und ausdauernden Fleiß ihn befähigten, die tieferen wie die höheren, die getragenen wie die colorirten Tenorpartien gleich ansprechend und correct zu singen, und abgesehen von der tiefen musikalischen Bildung und dem in jeder Beziehung geläuterten Geschmack, der ihm die virtuose Wiedergabe jedes Tongedichtes im Geiste des Tondichters unendlich erleichterte, waren es Bayer’s stark und harmonisch angelegte Geistes- und Gemüthskräfte, welche die Grundlage seiner rechten und gerechten Allseitigkeit als dramatischer Gesangskünstler bildeten. Ein Empfindungsvermögen, welches der Aufnahme und Wiedergabe leidenschaftlicher Gluth und heldenhafter Thatkraft ebenso fähig war wie der gemäßigteren und feineren Stimmung declamatorischer Lyrik, wies ihn vor allem auf das Fach der tragischen und romantischen Helden, sowie auf die lyrisch-declamatorischen Partien hin, wie letztere namentlich in der classischen Oper so unübertrefflich vorliegen. Da waren es vorzugsweise die Rollen des Masaniello und Othello, die des Licinius, Hüon, Adolar, Crociato, Robert und Zampa, da waren es die Partien des Orestes, Tamino, Octavio, Joseph, Arnold von Melchthal, in welchen er alle Abstufungen tiefergriffenen Gefühlslebens, von der heißblütigsten Leidenschaft an bis herab zu den sanfteren Regungen der Liebe und der Verzeihung, den Hörer mitempfinden ließ. Außerdem befähigten ihn eine seiner Bildung entsprechende feine Beobachtungsgabe und ein natürlicher Humor zu trefflichster Wiedergabe jener heiteren, zum Theil komischen Charaktere, wie die italienische und französische Conversationsoper in [277] so pikanter Gestaltung dieselben hervorgebracht hat, und so sind beispielsweise sein Fra Diavolo, George Brown, Postillon, Brauer von Preston, Graf Almaviva und andere heute noch vielbewunderte Reminiscenzen aus der guten alten Zeit. Nicht minder erwarb sich B. das schwärmerische Lob der damaligen Musikkreise Münchens, wenn er Schubert’s, Weber’s, Mendelssohn’s, Taubert’s geweihte Tonpoesien im sinnigsten Vortrag, fern von aller Manierirtheit und Effecthascherei, verdeutlichte. Zu alledem war er ein eifriger Förderer der Kammermusik, und seiner Aneiferung und Unterstützung dankt es München, daß das noch heute unübertroffene Mittermayer’sche Streichquartett ins Leben trat. Diese weit über die Grenzen seiner nächsten Lebensaufgabe hinausgehende Allseitigkeit, womit er nach allen Seiten klar blickend sozusagen das ganze Tongebiet beherrschte, machte ihn auch zum trefflichen Lehrer und Rathgeber. Aus seiner Schule ging Härtinger hervor, der ein getreuer Pfleger der Vorzüge und Errungenschaften des Meisters in neuer Individualität war. – Im Frühjahr 1862 kaufte B., dessen Vermögensverhältnisse sich sowol durch einen letzten Contract als durch seine Verheirathung mit einer wohlhabenden Bürgerstochter wesentlich gebessert hatten, das Gut Grabenstadt am Chiemsee, wovon gerade ein paar Tage vor der Uebernahme sämmtliche Gebäulichkeiten niederbrannten. Dieser Schrecken sowol als die angestrengte und für eine Künstlernatur ungewohnte Thätigkeit beim Wiederaufbau übten auf seine schon nicht mehr feste Gesundheit einen so nachtheiligen Einfluß, daß er am 7. Juli desselben Jahres nach kurzem Leiden einem Blutsturz erlag. Seine Angehörigen erschreckte er am letzten Abend damit, daß er „wie ein Schwan im Sterben“ die schönsten Partien aus einer Reihe seiner vorzüglichsten Rollen mit fast jugendlich frischer Stimme sang, die ihm seit Jahren versagt war. Mit ihm schied einer jener wahren gottbegnadeten Künstler, wie sie heut zu Tage leider umsonst gesucht werden dürften.

Allgemeine Zeitung, Beilage Nr. 215 vom 3. August 1863.