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Artikel „Baur, Wilhelm“ von Ernst Christian Achelis in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 270–273, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Baur,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 09:00 Uhr UTC)
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Baur: Friedrich Wilhelm B., 1826–1897, Generalsuperintendent der Rheinprovinz, Bruder des Geh. Kirchenrathes Gustav Baur, geboren in Lindenfels im Odenwalde am 16. März 1826, wuchs unter ähnlichen Einflüssen der Erziehung und Umgebung heran, wie sein um zehn Jahre älterer Bruder. Nur durfte er länger im Elternhause verweilen, erst als 14jähriger Knabe wurde er aufs Gymnasium nach Darmstadt entlassen, um von seinem Bruder Gustav, der für ihn und für die übrigen zahlreichen Geschwister mit opferfreudigster Hingebung sorgte, während seiner Schüler- und Studentenzeit treulichst geleitet zu werden. Humorvoller Geistreichthum zeichnete auch Wilhelm B. aus, obgleich seine Begabung ihn von vornherein in praktische Bahnen wies; dieselbe Sanges- und Wanderlust, dieselbe Begeisterung an der Geschichte des deutschen Vaterlandes, vornehmlich in der Zeit der Befreiungskriege, und an den Sängern jener Tage, der E. M. Arndt, Max v. Schenkendorf und Theodor Körner, auch dieselbe bis ins Alter jugendliche Gluth für Freundschaft, wie wir sie bei Gustav Baur gesehen haben. Nach Vollendung des Trienniums (1847) wurde er Hauslehrer im Graf Degenfeldt’schen Hause, später in Darmstadt bei den Söhnen des Oberst v. Rabenau. Hier war es, wo J. H. Wichern zuerst sein Herz gewann; sein Einfluß und die thatträftige Liebe zu den Werken der Inneren Mission begleitete ihn sein ganzes weiteres Leben hindurch. Seit 1852 war er als Vicar in Arheiligen, dann in Bischofsheim thätig, seit 1855 als Pfarrer in Ellingshausen und (1862) in Ruppertsberg. Im J. 1855 trat er in die Ehe mit Meta v. Bétaz in Bückeburg, in der er eine gleichgesinnte Helferin an seinem Lebenswerke fand. Auf Wichern’s Veranlassung erhielt B. 1864 einen Ruf an die Anscharcapelle in Hamburg, eine Art Predigtstation der übergroßen St. Michaelis-Gemeinde, zugleich Mittelpunkt für die Stadtmission. Mit seinem Bruder Gustav, dem Hauptpastor an St. Jacobi, in gleichem Sinne und gemeinsamer, besonders unter den gebildeten Ständen höchst erfolgreicher Predigtthätigkeit vereint, entfaltete er eine weitverzweigte Thätigkeit in der Seelsorge und in der Fürsorge für Gefallene und Verwahrloste. Im J. 1872 folgte er dem Rufe nach Berlin als Hof- und Domprediger an Stelle des verstorbenen Snethlage. Obgleich nicht eine der Predigergrößen ersten Ranges, wußte er auch hier sich eine vielgestaltige Wirksamkeit zu eröffnen, bis er 1883, mittlerweile von der Universität Berlin zu ihrem Ehrendoctor der Theologie ernannt, als Generalsuperintendent der Rheinprovinz nach Koblenz übersiedelte. B. war der erste Generalsuperintendent, der nicht aus den Predigern der Provinz hervorging; so war sein Anfang nicht leicht; die Rheinländer konnten es längere Zeit nicht verwinden, daß ein Berliner Hofprediger an die Spitze ihrer Provinzialkirche gestellt war, und auf mannichfache Weise wurde ihm der Unmuth zu verstehen gegeben. Es gehörte die unermüdliche Herzenswärme und Leutseligkeit Baur’s dazu, den Mißmuth in Liebe und treue Anhänglichkeit zu verwandeln; das gelang um so mehr, als es bald genug deutlich wurde, daß ein tieferes Verständniß für die rheinische Eigenart, vor allem für [271] die eifersüchtig gewahrte kirchliche Selbständigkeit und Freiheit ihm eigen war. Bis in sein 70. Lebensjahr wurde ihm die geistige Frische und Arbeitskraft ungetrübt erhalten; da aber machte sich das Alter in einem schmerzhaften Unterleibsleiden und einem plötzlich auftretenden Herzübel fühlbar. Er mußte daran denken, in den Ruhestand zu treten; schon war sein Abschiedsgesuch eingereicht, und die Vorbereitungen waren getroffen zur Uebersiedelung nach seinem Geburtsorte Lindenfels, wo er in seiner Villa die Abendstunden seines Lebens zu feiern gedachte, als am 18. April 1897 unerwartet er abgerufen wurde.

Infolge seiner geistreichen lebhaften Predigtweise, seines unverblümten Zeugnisses von Christus, dem einigen Heiland der Sünder und der seligen Ruhe aller Gotteskinder, vor allem auch infolge seiner liebewarmen und durch freundlichen, mit gewinnendem Humor gepaarten tiefen Ernst geweihten Persönlichkeit, hat er als Prediger und Seelsorger der Gemeinde, als geschätzter Festprediger und thatkräftiger Freund der Inneren Mission und des Gustav-Adolf-Vereins eine bedeutende Wirksamkeit ausgeübt. Als Volksschriftsteller, insonderheit als begeisterter und begeisternder Herold vaterländischer Geschichte und Poesie nimmt er eine der ersten Stellen ein, und seine zahlreichen Schriften dieser Art werden für längere Zeit zu den litterarischen Freunden vieler deutscher Familien gehören.

Seine Schriften sind: „Gebet- und Liederbüchlein für Kinder“ (1. Heft. Darmstadt 1851); „Das Kirchenlied in seiner Geschichte und Bedeutung. Zur Beleuchtung der Gesangbuchsnoth im Großherzogthum Hessen. Eine Weckschrift für die Gebildeten in der Gemeinde“ (Frankfurt a. M. 1852); „Predigt, gehalten in der deutsch-reformirten Kirche zu Frankfurt a. M.“ (Frankfurt a. M. 1852); „Zeugnisse evangelischen Glaubens. Drei Predigten“ (Darmstadt 1852); „Lazarus von Bethanien und seine Schwestern. Erbauliche Betrachtungen“ (Gießen 1854. 2. Aufl. 1869); „Von der Liebe. Sechs Reden“ (Frankfurt a. M. 1858. 3. Aufl. Calw 1887); „Das Leben des Freiherrn v. Stein. Nach Pertz erzählt“ (Gotha 1860. 4. Aufl. Berlin 1895); „Ernst Moritz Arndt’s Leben, Thaten und Meinungen, nebst einigen seiner geistlichen und weltlichen Lieder. Ein Buch für das deutsche Volk“ (Zwickau 1861. 5. Aufl. Hamburg 1883); „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit. Ein Weihnachtsgespräch“ (1. u. 2. Aufl. Hamburg 1862); „Stein und Perthes. Der Reichsfreiherr und der Bürger in der Zeit der Befreiungskriege“ (Zwickau 1862); „Geschichts- und Lebensbilder aus der Erneuerung des religiösen Lebens in den deutschen Befreiungskriegen“ (Hamburg 1864. 5. Aufl. 1893); „Die Prinzessin Wilhelm von Preußen. Ein christliches Lebensbild aus den Befreiungskriegen“ (Hamburg 1864); „Die Herrlichkeit Jesu Christi in seinem ersten Wunder geoffenbart. Wahl-Predigt für die Predigerstelle an der St. Anscharkapelle in Hamburg“ (Hamburg 1865); „Predigt über Matth. 10, 32, 33 vor der Konfirmation des Prinzen Ludwig zu Solms-Hohensolms-Lich am 26. März 1865“ (Lich 1865); „Antrittspredigt über Joh. 21, 15–17 bei seiner Einführung in das Amt als Prediger an der St. Anschar-Kapelle in Hamburg“ (Hamburg 1865); „Advent und Weihnacht, Jahresschluß und Neujahr. Vier Predigten“ (Hamburg 1868); „Der Beweis des Glaubens durch die Liebe. Predigt beim Jahresfest des Vereins für Innere Mission in der St. Stephani-Kirche zu Bremen gehalten“ (Bremen 1869); „Christus und Welt. Zwei Predigten am Karfreitag und Bußtag gehalten“ (Hamburg 1870); „Ernst und Liebe, Kampf und Friede. Vier Predigten“ (Hamburg 1870); „Die Freiheit, welche den Christen bleibt in den überwältigenden Ereignissen dieser Zeit. Predigt“ (Hamburg 1866); „Der Friede des Christen mitten im Krieg. Predigt am Sonntag nach der Kriegserklärung“ (Hamburg 1870); „Glaube und Werk. Vier Predigten“ (Hamburg 1869); „Jesus Christus unsere Versöhnung. Ein Ostergruß in sechs Predigten“ [272] (Hamburg 1867); „Die Kraft der Müden und die Stärke der Unvermögenden. Vier Predigten“ (Hamburg 1866); „Ostersegen. Vier Predigten in der Osterzeit 1867 gehalten“ (Hamburg 1867); „Kreuz und Kraft, Fried’ und Freude. Sechs Predigten. Als Anhang die Predigt: Das gute Bekenntniß“ (Hamburg 1868); „Vaterschaft und Kindschaft. Vier Predigten“ (Hamburg 1867); „Der Weg des Kreuzes. Eine Passionspredigt“ (Hamburg 1867); „Die großen Wahrheiten, welche durch die Reformation wieder offenbar geworden sind. Predigt am Reformationsfest“ (Hamburg 1869); „Drei Predigten beim Jahreswechsel“ (Hamburg 1870); „Rüstung aus Gottes Wort für die Kriegszeit. Vier Predigten, gehalten seit der Kriegserklärung“ (Hamburg 1870); „Straßburg, eine deutsche Stadt. Rede zur Feier des 18. Okt. 1870“ (Hamburg 1870); „1813 und 1870. Vortrag“ (Bremen 1870); „Beicht- und Communionbuch“ (Hamburg 1872. 4. Aufl. Gotha 1885); „Christus und seine Gemeinde. Vier Predigten“ (Hamburg 1871); „Durch Kampf zum Frieden, durch Saat zur Ernte. Vier Predigten“ (Hamburg 1870); „Das Evangelium und sein Dienst. Sechs Predigten“ (Hamburg 1871); „Im Frieden. Vier Predigten“ (Hamburg 1871); „Die Friedensarbeit des deutschen Volkes. Predigt“ (Hamburg 1871); „Das Friedensgeläute im deutschen Lande. Predigt am Sonntag nach dem Friedensschluß“ (Hamburg 1871); „Abschiedspredigt“ (Hamburg) 1872); „Von der nimmer aufhörenden Liebe. Eine Abschiedsgabe in acht Predigten“ (Hamburg 1872); „Das Gesicht des Propheten, Licht für die Gemeinde. Predigt, gehalten während des 16. evangelischen Kirchentags in der St. Laurentii-Kirche zu Halle“ (Halle 1873); „Es ist in keinem Anderen Heil. Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres zu Hamburg und Berlin gehalten“ (Gütersloh 1874); „Ueber die Magdalenensache und das Magdalenenstift in Berlin. Vortrag“ (Hamburg 1874); „Zur Sammlung und Organisation der Freunde der positiven Union in der preußischen Landeskirche. Vortrag“ (Berlin 1874); „R. Pearsall Smith in Berlin.“ (1. u. 2. Aufl. Berlin 1875); „Feire den Sonntag! Predigt über Off. St. Joh. 1, 10“ (Ducherow 1875); „Ueber christliche Erweckungen. Vortrag“ (Berlin 1876); „Die Genfer und die schweizerische Gesellschaft zur Heiligung des Sonntags“ (Hamburg 1876); „W. Baur und Carl Bastian, Die Magdalenensache. Zwei Ansprachen“ (Dresden 1876); „John Coleridge Patteson, der Missionsbischof von Melanesien“ (Lebensbilder aus der Heiden-Mission, herausg. von G. Warneck, 5. Band) (Gütersloh 1877); „Die Hinderungen der Sonntagsfeier und ihre Ueberwindung. Vortrag“ (Hamburg 1878); „Das deutsche evangelische Pfarrhaus. Seine Gründung, seine Entfaltung und sein Bestand“ (Bremen 1878. 4. Aufl. 1896); „Die Magdalenensache“ (Hamburg 1879); „Friedrich Christoph Perthes. Ein deutsches evangelisches Bürgerleben aus der Zeit der Befreiungskriege“ (2. Aufl. Barmen 1879); „Der Sonntag und das Familienleben“ (Berlin 1879. 2. Aufl. 1883); „Predigt zur Eröffnung des Preußischen Landtags am 11. Nov. 1878“ (Aus „Christlich-vaterländische Weihestunden“) (Berlin 1880); „Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein“ (4. Aufl. Barmen 1880); „Die verlorenen Töchter unseres Volkes und ihre Rettung“ (Betlin 1880); „Wie feiere ich den Sonntag?“ (Berlin 1881. 4. Aufl. 1882); „Ueber die gesunden Elemente rechten Jugendlebens. Festrede“ (Hamburg 1882); „Für meine erste und meine letzte Gemeinde. Zwei Predigten“ (Frankfurt a. M. 1883); „Das große Gut der Freiheit, welches Luther der Christenheit wieder erobert hat“ (Magdeburg 1883); „Evangelisches Neujahrswort“ (Magdeburg 1883. 2. Aufl. unter dem Titel: „Evangelischer Neujahrsgruß für das Lutherjahr“. Magdeburg 1883); „Zur Rüstung auf die Lutherfeier. Fünf Predigten“ (2. Abdruck. Frankfurt a. M. 1883); „Deutsches Volksthum und evangelisches Christenthum in Martin Luther[273] (Aus „Kirchliche Monatsschrift“) (Frankfurt a. M. 1883); „Rede bei der Grundsteinlegung zum Ausbau der Willebrordi-Kirche zu Wesel am Lutherfest, am 11. Nov. 1883“ (Wesel 1884); „Rede bei der Jubelfeier des Rauhen Hauses“ (Hamburg 1884); „Voran im Werk. Festpredigt“ (Elberfeld 1886); „Singet dem Herrn ein neues Lied. Predigt über Jesaia 42, 10 zum Abendgottesdienst bei dem IV. deutsch-evangelischen Kirchengesangsvereinsfest am 16. Sept. 1885“ (1. bis 3. Aufl. Nürnberg 1886); „Unsere weibliche Jugend. Seelsorgerliche Erfahrungen und Rathschläge“ (Hamburg 1886); „Prinzeß Wilhelm von Preußen, geborene Prinzeß Marianne von Hessen-Homburg. Ein Lebensbild aus den Tagebüchern und Briefen der Prinzessin“ (Hamburg 1886. 2. Aufl. 1889); „Lebensbilder aus der Geschichte der Kirche und des Vaterlandes“ (Bremen 1887); „W. Baur, Scholz und Vieregge, Drei Festpredigten bei der 42. Hauptversammlung des evangelischen Vereins der Gustav-Adolf-Stiftung in Halle a. S. am 4. und 5. Sept. 1888“ (Leipzig 1888); „Christus und die Gemeinde. Ein Jahrgang Predigten in freien Texten“, I (Bremen 1889); „Alexander M. Mackay, Pionier-Missionar von Uganda. Von seiner Schwester. Uebersetzt von J. H. Nebinger. Mit Skizze seiner Persönlichkeit aus persönlichem Verkehr von W. B.“ (1. und 2. Tausend. Leipzig 1891. 1892); „Paul Händler, Der Apostel Paulus. Neun Bilder aus seinem Leben. Erläutert und zu einem Gesammtbilde des Apostels verbunden von W. B.“ (Dresden 1893); „John Coleridge Patteson, Missionsbischof von Polynesien“ (Rheinische Missionstraktate. 2. Aufl. Aus „Allgemeine Missionszeitschrift“) 1893; „W. Baur, Doeblin und Braune, Drei Predigten bei der 47. Hauptversammlung des evangelischen Vereins der Gustav-Adolf-Stiftung in Darmstadt am 11. und 12. Sept. 1893“ (Leipzig 1894); „Lebensbild des weiland ersten Generalsuperintendenten der Provinz Sachsen Leopold Schultze“ (Magdeburg 1894); „Vermächtniß an die Freundinnen der jungen Mädchen. Mit einem Vorwort von Meta Baur (Hamburg 1897); „Neue Christoterpe“, seit 1879 herausgegeben von R. Kögel, E. Frommel, W. Baur; „Gesammelte Schriften. I. Christliche Männer und Frauen aus alter und neuer Zeit (Bremen 1898). II. Aus Gottes Welt und Gottes Reich (Bremen und Leipzig 1900). III. Aus dem Quell der Wahrheit in dem Meer der Liebe“, wird 1901 erscheinen.

Allgemeine evangelisch-lutherische K.-Z. 1897, Sp. 460 f. – Briefliche Mittheilungen der Wittwe Frau Meta Baur.