„Schleswig-Holstein, meerumschlungen!“

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Titel: „Schleswig-Holstein, meerumschlungen!“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 44–46
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe Das Chemnitz-Bellmann-Denkmal in Schleswig, 1896, Heft 34
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„Schleswig-Holstein, meerumschlungen!“

Am 24. Juli 1844 saßen in der großen Sängerhalle zu Schleswig wohl an 3000 Sängerfestgenossen und unter ihnen sämmtliche Mitglieder jener denkwürdigen schleswigschen Ständeversammlung desselben Jahres, welche durch die beharrliche deutschpatriotische Vertheidigung ihres selbstständigen Rechtsbodens, der vom Könige Christian VIII. selbst damals die ersten offenbaren Angriffe erfuhr, sich die Ungnade desselben erworben hatte. Es war kaum eine Woche seit dem Schluß und landesherrlichen Abschied jener Versammlung vergangen, in welcher der „Herzog“ von Schleswig die trotzige Stirn des „Königs“ gezeigt, während die jütische Ständeversammlung, die zu gleicher Zeit in Viborg getagt und geschlossen hatte, durch ihre maßlosen Angriffe auf das deutsche Wesen der Herzogthümer im Sonnenschein der königlichen Huld sich spreizte. Durch Schleswig und Holstein ging von diesem Tage an ein schwerer Zug der Besorgniß vor der Zukunft, des Kummers über das ungewisse Schicksal des Landes, des Trotzes gegen die drohende Gewalt, der Zuversicht auf den deutschen Geist des Volks und der Hoffnung auf die Hülfe der deutschen Nation.

In dieser Stimmung saßen die Festgenossen in der Sängerhalle zu Schleswig, in der zum ersten Male seit langer Zeit, man sagt seit 200 Jahren, wieder das alte schleswig-holsteinische Banner entfaltet war. Und da geschah es, daß ein Lied, ein einfaches Lied mit seiner ebenfalls einfachen Singweise so glücklich und so ganz und voll für das Gefühl, das in allen Herzen wogte, das rechte Wort und den rechten Ton in den Mund des Volks legte, daß es wie mit einem elektrischen Schlage durch die Bevölkerung des Landes fuhr, wie Donnerrollen und Sturmesbrausen, und noch am selben Abend die Würde eines Nationalgesangs errungen hatte und vor Allem als ein unvertilgbarer Protest gegen alles Dänenthum und als einer der gefährlichsten Feinde desselben dastand.

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Matthäus Friedrich Chemnitz,
der Dichter des Liedes „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“.

Seit jenem 24. Juli 1844 ist in Schleswig-Holstein kein Tag der Freude und kein Tag der Trauer begangen worden, an welchem nicht dieses Lied erklungen wäre, und als im August des Jahres 1845 zum ersten Male die 36 Schlagbäume des deutschen Bundes von den Sängern des deutschen Volkes niedergesungen wurden, als das erste große deutsche Sängerfest zu Würzburg das beredteste Bild vom Einheitsdrang der Nation darstellte, fehlten auch die Sänger von Schleswig-Holstein nicht, und ihre siegreiche Volkshymne ward hier zum Eigenthum der deutschen Nation.

So hat denn dieses Lied das 20. Jahr seiner wunderbaren Wirksamkeit begonnen, es reiht sich mit jedem Tage mehr an Bedeutung jenen Nationalgesängen an, welche in der Geschichte Europa’s ihre Stelle behaupten: dem ehernen Kampflied des Protestantismus „Ein’ feste Burg ist unser Gott“, das in den Glaubenskriegen Tausende in die Schlachten geführt, der „Marseillaise“, die zum unsterblichen Freiheitslied der Franzosen geworden ist, und der ewigen deutschen klagenden Frage: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Und mehr als irgend früher ist es heute nicht blos das Schlagwort im ganzen deutschen Volk, sondern die Augen der ganzen gebildeten Welt, wie sie auf die rollende Schicksalswoge von Schleswig-Holstein gerichtet sind, müssen sich auch auf das Lied richten, das jene Woge unaufhörlich umrauscht. Helfe nur der Himmel in den deutschen Herzen und Häuptern, daß die Kriegsmusik der Sachsen, wie sie mit dieses Liedes Klängen ihren Einzug in die erste Stadt des meerumschlungenen Landes verherrlichte, mit ihnen auch den Siegerheimzug feiere!

Die patriotische Glorie, in welche die Zeit das Lied gehoben hat, macht es uns zur Pflicht, über den Ursprung desselben unseren Lesern einiges Nähere mitzutheilen.

Zu dem oben genannten schleswig-holsteinischen Sängerfest hatte der in Berlin lebende Kreisjustizrath Dr. Straß unter drei kleinen Liedern auch eines auf die Herzogthümer zur Composition eingesandt, das mit folgenden Versen beginnt:

Schleswig-Holstein, schöne Lande,
0 Wo mein Fuß die Welt betrat,
O, daß stets an eurem Strande
0 Keime wahren Glückes Saat!
Schleswig-Holstein, stammverwandt,
Haltet fest der Eintracht Band!

Das friedlich-gemüthliche Liedchen wurde von dem Cantor Bellmann componirt, und die Melodie fand allgemeinen Beifall. Um so mehr bedauerte man, daß der Text, der in weniger erregter Zeit geschrieben war, mit der Stimmung des Landes nach dem schleswigschen Landtagsschluß nicht in Einklang stehe. Um diesen Mißklang zu beseitigen, dichtete Matthäus Friedrich Chemnitz, der damals als Rechtsanwalt in Schleswig lebte, mit Zugrundelegung des Straß’schen Textes das neue Lied.

Außer dem Versmaß, an das er durch die Melodie gebunden war, und dem ersten Verse des Refrains „Schleswig-Holstein, stammverwandt“ entnahm jedoch Chemnitz dem Straß’schen Texte nur die Verse:

Gott ist stark auch in den Schwachen,
Wenn sie gläubig ihm vertraun,
Straß: Und ein gut gelenkter Nachen
Chemnitz:      Zage nimmer – – und dein Nachen
Straß: Kann 0 trotz Sturm den Hafen schaun.|
Chemnitz: Wird

Chemnitz: Alles Uebrige im Chemnitz’schen Liede ist selbstständige Dichtung und an Kraft dem Straß’schen bei Weitem überlegen. – Die erste Ausgabe des Chemnitz’schen „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“ mit der Bellmann’schen Composition erschien noch 1844 in der M. Bruhn’schen Buchhandlung und ist auf dem Titelblatte geschmückt mit der Vignette der Doppel-Eiche. Die fremde Grundlage [46] seines Liedes deutete Chemnitz selbst auf dem Titel durch die Worte an: „Nach einem Gedichte von Straß.“ Damit glauben wir eine Mittheilung der in Hamburg erscheinenden, sonst gut unterichteten „Nessel“ genügend widerlegt zu haben, welche die Urheberschaft des Schleswig-Holstein-Liedes ausschließlich Straß vindiciren wollte.

Da die Gartenlaube in den Stand gesetzt ist, ihren Freunden das einzige bis jetzt vorhandene Bildniß des Dichters vorlegen zu können, so fügen wir jenem zugleich einige biographische Notizen bei.

Matthäus Friedrich Chemnitz ist am 10. Juni 1815 zu Barmstedt, einem Marktflecken im südlichen Holstein, geboren. Der Reichthum seines Vaters, eines Predigers, waren nach dem Sprüchwort und nach der Weise der meisten Geistlichen: liberi und libri, zu Deutsch: Kinder und Bücher. Der ersteren besaß er über ein Dutzend, und unser Chemnitz war von den sieben Söhnen der älteste. Nachdem er in einer glücklichen Kindheit den Unterricht seines Vaters genossen, bezog er das Gymnasium zu Altona und 1834, im Todesjahre seines Vaters, die Universität Kiel. Im Jahre 1810 ließ er sich, nachdem er die juristische Staatsprüfung glänzend bestanden, als Rechtsanwalt in Schleswig nieder. Hier versah er mehrere Jahre zugleich die Stelle eines Substituts des Staatsanwalts für das Herzogthum Schleswig, und hier wurde er sehr bald mitten in die Kämpfe des Landes gegen das immer frecher andringende Dänenthum eingeführt. Aus dieser Zeit kennt man, außer dem Nationalliede, noch einige andere politische Dichtungen von ihm; außerdem war er ein eifriger Correspondent für deutsche Zeitungen im Interesse der Herzogthümer. Auch die Gründung des Beseler-Fonds verdankt ihm ihre erste Anregung. Inzwischen war der März des Jahres 1848 herangekommen mit einem hoffnungsreichen Freiheitshauche. Am 24. erhoben sich die Herzogthümer, und am selben Tage warf Chemnitz eine Schleswig-Holstein’sche Marseillaise – wie er seine schwungwllen Verse nannte – in die allgemeine Begeisterung.

„Auf, Schleswig-Holstein, auf, erwache!
Der Tag bricht an, der Morgen graut.
Horch! Dich ruft die heil’ge Sache,
Ruft zu Waff’ und Wehr Dich laut,“

so begann das Lied, welches die ersten schleswig-holsteinischen Truppen mit nach Flensburg und Bau hinauftrugen.

Während der Jahre der Volkserhebung in den Herzogthümern war Chemnitz erst einer der Beamten der „Provisorischen Regierung“ und später Secretair in dem Gottorfer Verwaltungs- und Justizamte erster Instanz. Nach dem elenden Untergang der schleswig-holsteinischen Volksbestrebungen siedelte er erst nach Hamburg, wo er für eine Zeitung thätig war, und 1851 nach Würzburg über, wo er seine zweite Heimath fand. Dort war er bis 1854 Secretair der Maindampfschifffahrts-Gesellschaft und ist seitdem Secretair des polytechnischen Vereins, dessen 50jährige Geschichte er 1856 geschrieben hat. Chemnitz lebte seit 1855 in glücklicher Ehe, die leider im vorigen Jahre der Tod zerriß; zwei Kinder, ein Söhnchen und ein jüngeres Töchterchen, sind sein Trost und seine Liebe geblieben. Seine bürgerliche Stellung ist eine bescheidene; es wäre dem verdienten Manne wohl zu wünschen, daß das Glück seiner alten Heimath, wenn es erblüht ist, auch ihm persönlich mit zu Gute käme.

Gegen öffentliche Kundgebungen von Ergüssen seiner männlich freien Gesinnung hatte der Ausgang der Sache seiner Heimath im Jahre 1851 ihn lange Zeit zu sehr verbittert. Erst 1861 langte er die verstaubte politische Leier wieder herab von der Wand. Seine drei Lieder: „Deutschland, mein Hort!“ „Die deutsche Kaiserkrone“ und „Das deutsche Lied“, componirt von V. E. Becker, wurden von den Liedertafeln freundlich aufgenommen, und sein „Schleswig-Holsteins Recht“ zum 18. October und „Jetzt oder nie!“ vom 24. Novbr. 1863 zeugen dafür, daß auch er in seinem Herzen

„treu gewahrt, was schwer errungen,
Bis ein schönrer Morgzen tagt.“