Textdaten
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Autor: Fr. Hfm.
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Titel: „Ein reizendes Buch“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 807–808
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[807] „Ein reizendes Buch“ nennt ein bekannter Naturforscher das Werkchen, in welchem der Ornitholog Dr. A. C. E. Baldamus eine Reihe von Forschungen und Belehrungen über das Leben der gefiederten Welt in einem entsprechenden Gewande darbietet. „Vogelmärchen“ betitelt der Verfasser sein Buch, gesteht aber im Vorwort selbst in scherzender Weise zu, daß es eigentlich keine Märchen seien. Er hat die Form der Thierfabel benutzt, um den Leser in das von ihm jahrelang beobachtete, dem Laienauge verborgene Familienleben und gesellige Treiben gerade derjenigen Vogel einzuführen, für welche er so gern den Ruf an alle fühlenden Herzen richtete: „Liebe auch du meine Lieblinge und trage, so [808] viel du vermagst, zu ihrem Schutze bei!“ – Es ist ein ungewöhnlicher, ganz außerordentlicher Genuß, den uns dieses Buch bereitet, und wir legen es nur aus der Hand, um, wie schon Viele gethan, Weib und Kinder herbeizurufen und die Freude an demselben mit ihnen zu theilen. Wir merken gar nicht, wie viel wir lernen, während wir dem Naturforscher, der hier mit vollster Beherrschung seines reichen Stoffes zum Dichter geworden ist, von Gruppe zu Gruppe seiner sechs Vogelschicksalsbilder folgen. Sie treten ja alle selbst vor uns auf, diese gefiederten Lieblinge der Kinder und aller guter Menschen; sie erzählen uns ihre Erlebnisse, und wir lauschen sowohl ihrem traulichen Geplauder, wie auch ihren bitteren Klagen über feindselige Begegnung von Seiten ihres eigenen Geschlechts und noch mehr über das Böse, das sie zu erdulden haben von dem „ungefiederten Zweibein“, dem Menschen. Bald erquickt uns dabei das Harmlose und Sinnige ihres geselligen Treibens; bald erfüllt uns der Anblick ihrer Verfolgungen, Mißhandlungen und Quälereien das Herz mit Wehmuth und mit Zorn. Und wie nahe die Parallele zwischen dem Menschen- und Vogelleben auch liegt, so verläßt den Verfasser doch keinen Augenblick der Ernst der Wahrheit; nie verfällt er in Spielerei, und kein einziger der oft sehr geschwätzigen Vögel spricht etwas anderes, als er in jedem bestimmten Fall sprechen würde, wenn er die menschliche Sprache reden könnte. Nirgends findet sich ein Verstoß gegen die Vogel-Logik, und jedes dieser gefiederten Thierchen spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

Wir können hier auf die einzelnen Stücke nicht näher eingehen, sondern deuten nur kurz ihren Inhalt an. Im ersten Stück, im „Elfenprinzeßchen“, wird die Kukuksfrage, welche auf dem letzten internationalen Bachstelzentage am Menzalahsee auf der Tagesordnung stand, durch das Erlebniß in einer Bachstelzen-Wochenstube illustrirt. – Das zweite Stück, „Eine Künstlerlaufbahn“, wird trotz des heiteren Stieglitzenlebens mit dem lieblichen Spiel „Zweigleinvermiethens“ zu einem sehr düsteren Bilde durch die Erzählung des schicksalreichen Fritz Stieglitz, der uns erst die Abscheulichkeit des mörderischen Singvögelfangs mit dem Schlaggarn und dann die Peinigung der begabtesten Sänger durch die Dressur zum „Komödianten“ schildert. – Im dritten Stück, „Die Rache der Kleinen“, wird ein frecher Spatz in ein Schwalbennest eingemauert; die praktischen Lehren der Schwalbenschwiegermutter über den Nesterbau werden vom Schwalbenschwiegersohn nicht beachtet, und so stürzt sein zu naß geklebtes Nest auf den Boden, ein Beweis, daß auch die Vögel nur durch Schaden klug werden. – Das vierte Stück heißt: „Ein Winterkindelbier an der Roßtrappe“. Weil Frau Kreuzschnabel Krünitz schon um Neujahr das erste Mal ausbrütet, so kann Herr Krünitz zu einer Sylvester- und Kindtaufsfeier zugleich einladen und gewährt uns so den Genuß eines prachtvoll geschilderten Wintervergnügens der eingeladenen Vogelgesellschaft.

Im hellsten Glanze strahlt das fünfte Stück: „Eine Vogelsymphonie“, welche eine Vergleichung von Beethoven’s Pastoralsymphonie mit dem Gesange der schönstimmigsten Singvögel aufstellt und mit einem Lobe der berühmten Nachtigall im „Ring der Nibelungen“ schließt. – Von erschütternder Tragik ist das letzte Stück: „Eine Straußenjagd“. Vor unseren Augen wird der König der Wüste mit seinem Volke von der wilden Habgier zu Tode gehetzt. Man reißt aus den noch zuckenden Leibern die prächtigen Federn, welche einst von den Helmen der alten Römer und der Ritter des Mittelalters weheten – „die noch heute von Deinem Hute nicken, verehrte Leserin! – Bist Du nicht reizend – auch ohne den blutigen Schmuck?“ So schließt das Buch.

Sollen wir uns vielleicht entschuldigen, daß wir unseren Lesern mit Baldamus’ „Vogelmärchen“ keine sogenannte „Novität“ empfehlen, sondern ein Werk, das nicht mehr ganz neu ist? Wir halten dafür, daß es zur Pflicht der Presse gehört, das Publicum auch aus solche Werke aufmerksam zu machen, die es bei der Ueberfülle des Büchermarktes übersehen und deren wahren Werth es nicht erkannt hat. Das Neueste ist bekanntlich nicht immer das Beste. Außerdem können wir nur wünschen, daß Baldamus seine Märchenmappe, wie er es versprochen hat, recht bald noch einmal öffne.
F. Hfm.