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Titel: „Die drei Pinto’s“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 99–100
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bericht über die posthum aufgeführte Oper Carl Maria von Webers in der Bearbeitung und Ergänzung durch Gustav Mahler. Anlässlich der Uraufführung am 20. Januar 1888 in Leipzig.
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[99] „Die drei Pinto’s.“ Neuerdings hat eine interessante Aufführung stattgefunden, eine Art von Ausgrabung, durch welche nachgelassene Kompositionen eines großen Meisters ans Licht gezogen worden sind. Es handelt sich um keinen Geringeren als den Komponisten des „Freischütz“, den Liebling des deutschen Volkes, Karl Maria von Weber. Aus seiner Lebensbeschreibung erfahren wir, daß er, bald nachdem er den „Freischütz“ eingereicht, bei der Direktion des Dresdener Hoftheaters anfragte, ob dieselbe auch geneigt sei, eine neue Oper von ihm zu geben, mit deren Ausarbeitung er gerade beschäftigt sei; er erhielt die Antwort, daß man jetzt von den Vorbereitungen zum „Freischütz“ hinlänglich in Anspruch genommen und daß es überhaupt nicht üblich sei, zwei Werke eines und desselben Komponisten in einer Saison zu geben. So vollendete Weber „Die drei Pinto’s“ nicht, zu denen Theodor Hell den Text geschrieben hatte, und auch später kam er nicht dazu, sich mit dem Werke zu beschäftigen. Er hatte, wie man erfährt, 7 Nummern vollendet und für 17 Nummern Tonart und Tempo angegeben. Nach seinem Tode wandte man sich an Meyerbeer mit dem Anliegen, daß er die Oper vollenden solle. Doch dieser lehnte dasselbe ab. Auch spätere Versuche, einen Komponisten zu finden, der das Werk auf Grundlage des vorhandenen Textes, der ausgeführten Nummern und der Aufzeichnungen Weber’s zu Ende führe, blieben erfolglos.

Da nahm sich neuerdings der Enkel Weber’s, der in Leipzig lebende Hauptmann von Weber, des vergrabenen Schatzes an, dichtete den Text von Theodor Hell um und fand in dem Leipziger Kapellmeister Mahler einen jugendlichen, unternehmungslustigen Musiker, der vor der schwierigen Aufgabe nicht zurückschreckte, den Weber’schen Torso zu restituiren, mit Benutzung der hinterlassenen Musikstücke und Bemerkungen des Meisters und im Anschluß an dessen Eigenart. Daß ihm das Werk gelungen, [100] bewies der schöne Erfolg der ersten Aufführung in Leipzig, und es ist wohl kein Zweifel, daß „Die drei Pinto’s“ ihren Weg über die meisten deutschen Bühnen machen werden.

Der einer Novelle entlehnte Stoff würde sich zu einem Intriguenlustspiel eignen, ist aber für eine komische Oper nicht besonders geschaffen; denn es fehlt ihm die Feinheit, die in Mozarts „Hochzeit des Figaro“ so anziehend wirkt; er ist mehr von schwankartiger Derbheit. Ein spanischer Edelmann will seine Tochter einem Don Pinto zur Frau geben, der einer befreundeten und von ihm hochverehrten Familie angehört. Dieser Don Pinto ist aber ein plumper ungebildeter Landedelmann; ein lustiger Student übernimmt es, seine Rolle bei der Braut zu spielen und bemächtigt sich seines Empfehlungsbriefes; doch dort angekommen, findet er, daß die Braut bereits ihr Herz einem Dritten verschenkt hat, und verzichtet, indem er diesem den Brief überläßt. Derselbe fährt denn auch die Braut in aller Eile heim und der zuletzt ankommende echte Pinto wird geprellt und ausgelacht.

Vielleicht hätten die Bearbeiter dem Text neue Würze geben können, wenn sie sich nicht allzu pietätvoll an die Weber’schen Reliquien gehalten hätten: es fehlt die Steigerung; der zweite Akt ist dramatisch inhaltlos und enthält nur lyrische Nummern, so war auch sein Erfolg beiweitem matter als der des ersten Aktes; das Ganze vertrug überhaupt feinere Verknüpfung und schlagfertigeren Humor.

Die musikalischen Reliquien Weber’s stammen aus der Zeit, in der er den „Freischütz“ komponirt hatte, gehören also einer Epoche frischen und freudigen Aufschwungs an. Namentlich gilt dies von den Liedern und dem Terzett des ersten Aktes; aber auch das Terzett des dritten Aktes und das Lied des Ambrosio, mag es nun von Weber herrühren oder ihm nachkomponirt sein, sind von graziöser Haltung und gewinnender Frische. Die Arie der Clarissa und das Lied der Laura im zweiten Akt erinnern an die Herzensergüsse von Agathe und Aennchen: beide sind nach andern nicht veröffentlichten Themen des Meisters komponirt. Die Introduktion zum zweiten Akt ist von Mahler sehr geschickt zusammengestellt, wie überhaupt die ganze Einrichtung als eine achtungswerthe Talentprobe des jungen Komponisten erscheint. Die Melodien selbst sollen fast alle aus dem Weber’schen Nachlaß entnommen sein, wenn sie auch nicht für die drei Pinto’s komponirt waren.

Wie sich um Weber’s Büste am Schluß der Leipziger Vorstellung auf der Bühne die Lorbeerkränze häuften: so wird überall die Erinnerung an den Meister durch die pietätvolle Hingebung, mit welcher die Oper nun ins Leben gerufen wurde, neu belebt werden. Weber ist nicht nur einer der größten deutschen Tondichter, sondern er ist jedenfalls der volksthümlichste unter den großen, und das Volk wird seinen Namen stets in Ehren halten.
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