Textdaten
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Titel: Zwischen Eiswänden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 670
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[670] Zwischen Eiswänden. Da, wo der ewige Schnee anfängt, auf den Bergen und Hochebenen im Lande Tyrol, hört die Gemüthlichkeit auf. Des Wandrers Fuß wird oft plötzlich durch einen Riss, einen Spalt gehemmt, der die Schneefläche jach auseinander theilt, und sind diese Spalte von irgend beträchtlicher Breite, so hüten sich selbst die an diese Wegehindernisse gewöhnten Bergsöhne, sie mit ihrem Gebirgsstocke, Schaft genannt, und mit ihren Steigeisen an den Füßen, mittelst welcher sie im Stande sind, sicher aufzutreten, ohne Gefahr zu laufen bei jedem Schritte auszugleiten – zu überspringen, da ihre Tiefe oft so bedeutend und Menschenhülfe gewöhnlich so fern ist und die eigne Kraft und der Zufall nicht immer so durchhelfen, wie es in dem hier zu erzählenden Falle geschah. Lassen wir uns von einem kühnen Gemsensäger, der im Eifer der Verfolgung einer „Gamserl“ in einen solchen Schnee- und Eisspalt gerieth, mittheilen, wie er wieder heraus und an das warme Licht der Sonne kam.

„Alte Gemsböcke – so hub mein alter Führer an, mit dem ich das Gebirge durchstrich – führen das Leben eines Einsiedlers. Ungeselliger noch, als diese, erlesen sie zu ihrem Standorte die einsamsten, höchst gelegensten und unzugänglichsten Schlupfwinkel, zu welchen dann gewöhnlich nur ein Pfad führt, der kaum für ihres Gleichen gangbar ist, und es ihnen deswegen um so leichter macht, den Jäger zu verderben. Bergab auf ihn niederrennend, ist’s dem Bocke eine Kleinigkeit das Geschick zu wenden und denjenigen von der Felswand zu werfen, der ihm den Tod aus seiner Büchse zugedacht hatte. Ehe er das Fleckchen ausgefunden und all’ die Listen und Ränke erlernt, ist gewiß manches schöne Jahr über sein Haar hingegangen; doch nun steckt auch die Weisheit im Barte und des langen Lebens Erfahrung kommt ihm um so mehr zu Statten.

„Einen solchen alten Gemsbock also hatte ich ausgekundschaftet und brannte vor Begierde, seine Bekanntschaft zu machen, obwohl seine Winter- und Sommerwohnung eben nicht bequem zu erreichen war, und ich wohl wußte, daß ich auf dem zerklüfteten Steige den Stock gut brauchen müßte, um nicht in einen Riß zu gleiten. Es war über Nacht frischer Schnee gefallen und der Gletscher davon dicht überdeckt. Ich achtete in meinem Eifer dessen kaum, – ehe ich mir’s jedoch versah, wich die noch lose Decke unter meinen Füßen, und ich rutschte durch die ganze Dicke des ewigen Eises hinunter auf den steinigen Grund des Risses. Hören und Sehen waren mir vom Aufstoße vergangen. Als ich wieder zu mir selber kam, fühlte ich mich ganz erfroren, und alle Glieder thaten mir weh. Das aber war gut: Schmerz und Kälte hatten mich wieder zum Leben erweckt. Zum Sterben hatte ich damals eben keine Lust; am Wenigsten aber wollte ich lebendig begraben sein. So betete ich denn in meiner Herzensangst gar andächtig und auch wohl inbrünstiger, als dies je geschehen war, und legte mein Geschick in Gottes Hand. Nun erst schaute ich mich genauer um, zu sehen, wohin ich eigentlich gerathen. Nach dem Gottvertrauen hielt ich das für das Nothwendigste und Beste, denn dem beizustehen, der nicht wenigstens versucht, sich selber zu helfen, dürfte der liebe Herrgott wohl kaum verpflichtet sein.

„Der erste Aufblick gewährte mir freilich keinen sonderlichen Trost. Unweit von einander abstehende Eiswände erhoben sich zu beiden Seiten so hoch und steil, daß mich zum ersten Male ein Schwindel überfiel. Da hinaus zu kommen, sah ich keine Möglichkeit. Oben auf meinem offenen Sarge lag der sonst so schön gewölbte Himmel platt wie ein Kuchendeckel, und sah dermaßen schwarz, daß ich, trotz des hellen Tageslichtes oberhalb, die lieben Sterne an ihm deutlich funkeln sah. Vielleicht funkelte es mir auch nur vor Schreck so vor den Augen. Dadurch, daß die Erdwärme das ihr nächste Eis abgeschmolzen, hatte sich der untere Raum des Schneerestes zu einer mäßigen Wölbung erweitert, auf deren Sohle das Gletscherwasser gar lustig hinplätscherte. Nach einigem Ueberlegen klopfte ich an meine Tasche, und da ich fand, was ich suchte, so ging ich sofort an’s Werk.

Der Anfang war schwer, weil ich zum Ersteigen jener Höhe, wo die Eiswände einander näher traten, kein anderes Hülfsmittel hatte, als meinen Schaft. Sobald dieser mir nur ein Mal bis dahin geholfen, ward es mir leicht, mich mit angestemmtem Rücken und Steigeisen in der Schwebe zu erhalten, und rasch begann ich nun zu thun, wie ich mir vorgenommen hatte. Freudig schlug ich mein großes Einlegemesser auf und binnen Kurzem hatte ich damit mir gegenüber eine Stufe in das Eis gehauen. Nach Art der Schlotfeger mich zu ihr hinaufschiebend, fußte ich bald mit beiden Beinen darauf, und als ich nun so gemächlich und sicher auf dieser ersten Sprosse meiner Himmelsleiter stand, da johlte ich so jubelnd, als sei damit schon Alles abgethan, und ich aus meinem schaurigen Grabe erlöst. Dem war jedoch nicht also, denn ehe ich noch in dieser mühseligen Weise die Hälfte der Kluft erklommen – da brach meine Klinge ab, und aus war's mit Hoffnung und Lustigkeit. Fast weinte ich im Niedersteigen, und es dauerte lange, ehe mir unten wieder ein guter Gedanke kam. Noch niemals hatte ich mich so hülflos gewußt, und war deshalb sehr traurig. Unverwandten Auges sah ich auf das rieselnde Eiswasser nieder, indem ich dabei nur der mich erwartenden Qualen der Einsamkeit, des Hungers und der Verzweiflung gedachte; vor Allem jedoch fürchtete ich den Spuk der heillosen Berggeister bei einbrechender Nacht.

„Je länger ich aber in dieser Trostlosigkeit auf das geschäftige Wasser niederblickte, um so deutlicher gewahrte ich, daß sich sein Lauf beschleunige, je weiter es vorwärts kam. „Wie? – das Bächlein so fleißig, und du so müßig?“ – sagte ich da zu mir selber, und im Schreck über den klingenden Widerhall der eigenen Stimme in dieser schweigsamen Oede sprang ich auf und lief mit dem Wasser, und je schneller es mir voranging, um so hastiger lief ich ihm nach, denn der Boden senkte sich stark, und so ward uns Beiden das Laufen leicht. Bald aber war's alle damit. Der Raum verengte sich plötzlich und das Fortkommen ward immer schwieriger, Bald mußte ich im Wasser auf allen Vieren hinkriechen, bald mich durch eine Klemme zwängen und ein Mal hatte ich mich in einer solchen so festgefahren, daß ich weder vor- noch rückwärts konnte. Auf die Gefahr hin mich für immer hier einzukeilen, drängte ich mich dennoch muthig gerade aus durch und kam so noch ziemlich wohlfeilen Kaufes davon. Mühseligkeiten und Angst aber hatten mich dermaßen erschöpft, daß ich fast ohnmächtig über einen Eisblock hinsank. „Nun ist's aus mit dir!“ Das war mein letzter Gedanke. Als ich nach einiger Zeit wieder erwachte – horch, da klangt wie der fröhliche Reigen eines Alpenhorns! „Jesus Maria, das Leben auf der Erde ist doch ein lustiges Leben!“ Das Johlen sorgloser Hirten? In diesen Klängen ging mir der Himmel auf, obwohl die letzte Strecke der Gletscherrinne nach oben so eng zusammenlief, daß ich ihn nicht sehen konnte. Um so größer aber wurde meine Sehnsucht nach seinem Lichte und die müden Beine thaten Wunder. Ich schritt rasch wieder vorwärts. Endlich hörte ich auch das Getöse des niederstürzenden Gießbaches näher und näher, die Wand vor mir that sich auf, und die sonnig warme Luft blies mich an. – Ich holte tief, tief Athem. – Wie mir da zu Muthe gewesen, lieber Herr, das kann ich nimmer beschreiben.