Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Samuel Christian Friedrich Hahnemann
Der berühmte Erfinder und Begründer der Homöopathie
wurde zu Meißen, Sohn eines schlichten Porcellanmalers,
geboren, und benutzte erst die Stadt- dann
die Fürstenschule seiner Vaterstadt zu seiner Ausbildung,
hatte aber mit Kränklichkeit viel zu kämpfen.
Da die Mittel des Vaters es nicht erlaubten, den
Sohn, der sich durch rühmlichen Fleiß auszeichnete,
fortstudiren zu lassen, so unterstützten die Lehrer den
jungen fähigen Schüler, und es wurde dennoch möglich,
daß Hahnemann 1775 nach Leipzig abging, um dort
Medicin zu studiren. Er that dies unter fortdauerndem
Druck der Dürftigkeit, fristete sich durch Stundengeben,
ging, um eine Klinik zu besuchen, 1777 nach Wien,
konnte aber auch dort nur 9 Monate wegen Geldmangel
ausdauern. Gleichwohl fand sein Streben und
seine Begabung Anerkennung; der k. k. Leibarzt von
Quarin nahm Hahnemann in seinen besondern Schutz,
beschäftigte ihn bei seinen Privatkranken, und dann berief
der Gouverneur von Siebenbürgen, Baron von
Bruckenthal, auf gute Empfehlung hin, ihn zum Leibarzt
und Bibliothekar in Hermannstadt. Dort boten
theils ärztliche Praxis, theils treffliche Sammlungen
des Statthalters an Büchern und Münzen reiche Belehrung
Nach einem Aufenthalte von 2 Jahren zog
es indeß Hahnemann doch wieder nach Deutschland zurück:
er hörte noch einmal medicinische Vorlesungen
in Erlangen, schrieb dort seine Inauguraldissertation,
ging dann in das Mansfeldische und 1781 nach Dessau,
wo er prakticirte, und sich viel mit Chemie und Pharmacie
beschäftigte. Lange vorher, ehe er mit seiner neuen
Heilmethode und Heilmittellehre auftrat, war er schon
den Chemikern und Pharmaceuten vortheilhaft bekannt,
so z. B. durch die Erfindung eines salpetersauern Ouecksilberpräparates,
des nach ihm benannten Mercurius
solubilis Hahnemanni und durch sein an sich brauchbares
Apothekerlexikon, darin er nur bei den
Pflanzennamen sich der Seltsamkeit bediente, verschiedene
Namen einer und derselben Pflanze in ein Wort zusammenzuziehen,
was sehr häufig an das abgeschmackte
streifte. Hahnemann heirathete auch die Stieftochter
eines Apothekers, wurde Physikus zu Gommern bei
Magdeburg, fand sich aber daselbst nicht heimisch, und
[Ξ] zog 1784 nach Dresden, wo er abermals und nicht
ohne Glück und Verdienst als praktischer Arzt wirkte.
Gleichwohl verleidete ihm mancherlei die ärztliche Praxis,
er gab sie auf und zog 1789 nach Leipzig, wo er
fortgesetzten wissenschaftlichen Studien oblag und sich
vorzugsweise mit Chemie und Schriftstellerei beschäftigte.
Zahlreiche größere und kleinere Werke erschienen von
ihm und gaben ihn als ein vielseitiges Talent kund;
er verschmähte es nicht, selbst den Uebersetzer französischer
Werke über Liqueur- und Essigfabrikation abzugeben,
übersetzte aus dem Italienischen ein Buch über die Kunst
Wein zu bereiten, und ließ einer Untersuchung über
Natur und Kur der Lungenschwindsucht – eine Geschichte
von Abälard und Heloise – vorhergehen.
Ueber Ackerbau und Materia medica, Pferdearzneikunde
und Balneographie, Physiologie und Pharmokopöen
gingen Werke aus des fleißigen Mannes Feder hervor.
Die Materia medica war es vornehmlich, die ihn
endlich zu der durch ihn zuerst bekannt gemachten Entdeckung
führte, daß ein Arzneimittel die Krankheit
erzeugen könne, die es heilt, und diese Erfahrung soll
eine eingenommene starke Dosis Chinarinde hervorgerufen
haben. Es ist um diesen Erfahrungssatz schon
a priori etwas mißliches, denn unbedingt heilt nicht
China jedes Fieber, und man giebt sie nicht in jedem,
und noch viel weniger ruft China in jedem Individuum
Fieber hervor. Trotz alledem baute Hahnemann auf
seinen Wahrnehmungen weiter, machte Versuche auf
Versuche an sich, übte sie mit Erfolg bei andern, kurirte
unter andern zu Georgenthal bei Gotha den durch das
Schandbuch »Barth mit der eisernen Stirne« wahnsinnig
gewordenen Klockenbring, und machte dadurch
vieles Aufsehen. Von Georgenthal zog Hahnemann
nach Walschleben, dann nach Pyrmont, nach Braunschweig,
nach Königslutter, und vermochte überall nicht
der verlockenden Neigung zu widerstehen, nach mittelalterlicher
Weise, die sich aber in Thüringen namentlich
bis zur neuesten Zeit erhielt, selbst Arzeneien, versteht
sich selbstbereitete, zu verabreichen, was ihm allseits
den Zorn der privilegirten Apotheker, und der Aerzte,
die sich, bestehenden Gesetzen zu Folge, dieses nicht
unterfangen durften, zuzog. Hahnemann nahm nach
einander später zu Hamburg, zu Altona, zu Eilenburg,
zu Wittenberg, zu Torgau und wieder zu Leipzig,
Aufenthalt, und trat nun mit der nach und nach von
ihm ausgebildeten Heilmethode öffentlich auf. Es vergingen
indeß Jahrzenhnte, ehe in die deutschen Apotheken
ein Gedanke der homöopathischen Lehre drang, draußen
ließ man die Gelehrten sich darüber streiten. Man
verlachte diese Lehre und hielt sich an die großen Gläser,
Pillen- und Pulverschachteln. Und statt mit gründlicher
Wissenschaftlichkeit der Lehre von der homöopathischen
Heilart entgegen zu treten, wurde sie mit der unwürdigsten
Gemeinheit von vielen Gegnern bekämpft; nie
kam in einer wissenschaftlichen Streitsache so viel starre
Unduldsamkeit, so viel Ungeschliffenheit und Pöbelhaftigkeit
zu Tage, als in den gegenseitigen Parteischriften
der Allopathen und Homöopathen, und es genügte
vollkommen, zwei zu lesen, um an allen übergenug
zu haben. Hahnemann’s Hauptwerk führte den Titel:
»Organon der rationellen Heilkunde«, und erschien 1810.
Es erlebte binnen 10 Jahren 4 Auflagen, und wurde
in mehrere fremde Sprachen übersetzt, ebenso die »Reine
Arzneimittellehre«, Dresden 1811–1821. 6 Theile.
Die neue Heilmethode gewann sich viele, und sehr befähigte
Jünger, sie beeinträchtigte aber freilich das bisherige
ganze Apothekerwesen, das sich naturgemäß gegen
sie erhob, überall Verbote des Selbstdispensirens auch
der homöopathischen Aerzte hervorrief, und dadurch
deren Thätigkeit ebenso hemmte, wie die Hahnemann’s
in Leipzig selbst. Da rief ihn aus dem gebotenen
Stillstand seiner umfassenden Praxis der Herzog Ferdinand
zu Anhalt-Köthen in seine Residenz, und dort
fand nun Hahnemann und seine Kunst eine schöne
Freistätte. Mit dieser Kunst und Lehre war es Hahnemann
ein heiliger Ernst, er verdiente nicht die Schmähungen
seiner Gegner, sein strebender Geist forschte
eifrig fort und bereicherte die Wissenschaft noch mit
mancher neuen wichtigen Entdeckung. Am 10. August
1829 wurde Hahnemann’s Doctorjubiläum feierlich begangen,
es wurde eine homöopathische Gesellschaft gegründet,
und Hahnemann zu Ehren 1833 in Leipzig
eine homöopathische Heilanstalt. Jetzt gehen in Deutschland
die alte und die neue Lehre ziemlich friedlich neben
einander, und auch für die beibehaltene alte bewirkte
die neue das Gute einfacheren Heilverfahrens, einfacherer
Arzneimiltelgaben. In Amerika überwiegt die Homöopathie
aus natürlichen Gründen. Hahnemann verheiratete
sich noch als 79jähriger Greis mit einer jungen
Französin, zog nach Paris und beschloß daselbst seine
Tage im hohen Alter. Seine Verehrer, Schüler und
Anhänger – darunter viele tüchtige und würdige
Männer – haben ihm in den Anlagen Leipzigs ein
Denkmal errichtet.