Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann Jacob Scheuchzer

Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Johann Jacob Scheuchzer
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 325–326
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Johann Jacob Scheuchzer.
Geb. d. 4. August 1672, gest. d. 25. Juni 1733.


Ein Mann, der nicht nur in seiner Heimath, der Schweiz, sondern auch für das ganze Deutschland mit lebendigem Sinne und unermüdlichem Fleiße die neuere Naturforschung anbahnen half. Er wurde zu Zürich geboren, Sohn eines dortigen Arztes und Stadtphysikus, und wählte nach zurückgelegten Knabenjahren mit Freudigkeit den Beruf des Vaters. Er besuchte zuerst 1692 die Universität Altorf und begab sich im darauf folgenden Jahre nach Utrecht, wo er 1694 als Arzt promovirte. Hierauf unternahm Scheuchzer eine wissenschaftliche Reise, welche er aus den Niederlanden nach Friesland, Brandenburg, Sachsen und Böhmen ausdehnte, worauf er durch Franken und Bayern in seine Schweizerheimath zurückkehrte, wo er zunächst, und noch ehe er sich den eigenen Heerd gründete, eine Alpenreise antrat, und dort mitten im großen erhabenen Tempel der Natur, in ihrem Allerheiligen gleichsam, sich selbst zu ihrem Priester weihte. Hierauf begab sich Scheuchzer noch einmal nach Altorf und Nürnberg, um sich dort im Studium der Mathematik noch mehr zu befestigen, wo Sturm und Eimmart seine Lehrer waren, und dann erst ließ er sich häuslich in seiner Vaterstadt nieder. Dort wurde Scheuchzer 1702 das Amt zu Theil, welches sein Vater begleitet hatte; er wurde Stadtphysikus und erhielt 1710 den Lehrstuhl als Professor der Mathematik an der dortigen Hochschule, nach andern aber nur am dortigen Gymnasium. Fort und fort ließ Scheuchzer es sich angelegen sein, die Naturgeschichte seines Vaterlandes auf das eifrigste zu erforschen und diese dann mit aller Gründlichkeit zu bearbeiten, doch verschafften ihm schon mehrere kleinere gelehrte Abhandlungen, die er in Leipziger, Londoner und andere wissenschaftliche Zeitschriften einrücken ließ, bereits Ruf und Anerkennung, so auch die Mitgliedschaft der kaiserlichen Academia Naturä Curiosorum, der königlich großbritannischen und der königlich preußischen Societät der Wissenschaften.

Nun wurde Scheuchzer der ausschließliche Naturhistoriograph des Schweizerlandes, und leistete durch seine im Druck anfangs heftweise veröffentlichten Forschungen der überall mit frischer Regsamkeit auflebenden Naturforschung wesentlichen Vorschub, wie seinem Vaterlande [Ξ] wesentliche Dienste. Scheuchzer baute die Stufen, auf denen andere bequemer und leichter, als es ihm geworden war, aufsteigen konnten zu tieferem Eindringen in die Geheimnisse des an Naturschätzen so reichen Alpenlandes; er brach die Bahn noch mitten im Nebelgefild naturhistorischer Vorurtheile und Irrthümer, und in einer Zeit, wo ein Naturalienkabinet fast nur aus sogenannten Kuriositäten und Naturspielen bestand, wo man die keltischen Streitkeile und Opfermesser für Donnerkeile, die Belemniten für abgebrochene Teufelsfinger, die germanischen Urnen auch für losus naturae oder Fabricate der Erdzwerge hielt, und auch die Versteinerungen kaum als etwas anderes ansah, als für Spielsachen, die sich und ihren Menschenkindern zum Vergnügen Mutter Natur in guter Laune zubereitet habe. Daher konnte es nicht fehlen, daß auch Scheuchzer ab und zu auf einen Irrweg gerieth; so glaubte er noch an einen homo antediluvianus. Gleichwohl machte er sich durch seine Vorarbeiten um die Versteinerungskunde der Schweiz außerordentlich verdient; er gab ein Herbarium diluvianum in einem Foliobande heraus, ebenso ein Specimen lithographiae helveticae curiosae, eine Cataclysmographia (Ueberschwemmungskunde) Helvetiae, schrieb Schweizer-Alpenreisen, eine Hydrographie, Meteorologie und Oryctographie der Schweiz, und anderes, und setzte seinem verdienstlichen Wirken die Krone auf durch sein in mehreren Folianten bestehendes Pracht- und Kupferwerk Physica sacra, welches Werk man sehen muß, um es gerecht zu würdigen. Alles was irgend in einem Buche oder Capitel der heiligen Schrift in den Bereich der Natur gehört oder auch nur darauf hindeutet, ist mit einem Aufwand umfassender Gelehrsamkeit beschrieben, gedeutet und naturwissenschaftlich bestimmt und durch gelungene, oft wirklich geistvolle Kupfer erläutert, die alle von genialen Arabesken, die sich nie wiederholen, umrandet, das beste bieten, was jene Zeit in der Illustration nur immer zu leisten vermochte. Himmel und Gestirne, metereologische Erscheinungen am Firmament, Thier- und Pflanzenwelt, Metalle und Steine, alles ist erwähnt, nichts vergessen, was nur immer in den Büchern der heiligen Schrift von Gegenständen der Natur erwähnt wird, und nicht etwa in einfacher Abbildung, nein, in Verbindung gesetzt mit ansprechenden Scenerien aus der heiligen Geschichte, die vollendetste Bilderbibel, die man sich denken kann, nicht, wie so viele, einzig hervorgegangen aus des zeichnenden Künstlers Phantasie, sondern auf dem Grunde wissenschaftlicher Forschung fußend. Jetzt ist dieß Werk nur noch wenig gekannt, eine vergessene Zier der Bibliotheken, aber zu seiner Zeit war der Beifall, dessen es sich erfreuete, so groß, daß es gleich, nachdem es in lateinischer und in deutscher Sprache 1731 erschienen war, auch in die niederländische, die französische und englische Sprache übersetzt wurde. Wenn der Physica sacra oder Biblio ex physicis illustrata auch mancher Mangel und Irrthum anhaftet, so war doch die Anregung, durch die Naturforschung zum Bibelstudium und durch die Bibel zur Naturforschung hinzulenken, von unberechenbarer Wichtigkeit und von großen sittigendem Einfluß, während die heutige Naturforschung sich angelegen sein läßt, der Bibel zu spotten und die Menschenweisheit dünkelvoll der göttlichen entgegenzuhalten und sich wunderwichtig zu machen, weil wir jetzt manches besser wissen als Hiob, David und Salomo, die großen Naturkundigen ihrer Zeit.

Scheuchzer vollendete sein nützliches, der Wissenschaft ganz geweihtes Leben im 61. Jahre; er hatte auch einen Bruder, Johann, welcher sich ebenfalls wissenschaftlichen Studien und zwar der Mathematik und Kriegswissenschaft gewidmet hatte, des Bruders Nachfolger als Stadtphysikus wurde, eine Gräserkunde der Schweiz herausgab und den Bruder nur um 4 Jahre überlebte.