Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann Gottlieb Seume

Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Johann Gottlieb Seume
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aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 343–344
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Johann Gottlieb Seume.
Geb. d. 29. Janr. 1763, gest. d. 13. Juni 1800.


Poet und Patriot, Mann aus dem Volke, vielen noch heute ein Liebling, andern nur ein Irrstern, den leider das Schicksal auf rauhen Bahnen umzuirren gebot, und dessen Leben ein steter Kampf war mit Widerwärtigkeiten, daher die rauhe Schale um den edeln innern Kern, um den Charakter des Mannes.

Seume war Sohn eines armen Bauern im Dorfe Poserne bei Weißenfels, und des frühverwaisten nahm sich Graf Hohenthal-Knauthayn an, der ihm den Schulunterricht zu Borna angedeihen ließ, und ihn dann auf die Nicolaischule zu Leipzig that. Der Knabe zeigte sich fähig und eifrig, besonders zog das Alterthum ihn an, und zwar mit jener überwiegenden Vorliebe, welche alles nichtklassische als kaum zum Dasein berechtigt gelten lassen möchte. Seume wollte in Leipzig Theologie studiren, aber er vermochte es nicht, ihre Fessel hätte ihm die antike Freiheit beeinträchtigt. Die philologischklassische[WS 1] Einseitigkeit, die ihn antrieb, nur nach einer Richtung hin zu streben, und von ihr Glück und Befriedigung zu erwarten, machte das Unglück seines Lebens. Seume verließ Leipzig und wollte sich nach Paris wenden, wo er hoffte, seinem Drange nach ausschließlich klassischen Studien genügen zu können. Ein Jüngling von 18 Jahren wanderte er die Heerstraße entlang, hatte Eisenach schon hinter sich und kam nach Vacha. Dort waren im ganz nahen hessischen Dorfe Creuzburg Werber stationirt, die den jungen unerfahrenen Wanderer preßten. Es war in der Zeit, wo Friedrich II., Landgraf zu Hessen-Kassel, Truppen warb, um sie an England zum Kampfe gegen die junge Freiheit Nordamerikas zu vermiethen. Als hessischer Soldat machte Seume gezwungen einen Feldzug an den Grenzen Canada’s mit, und hatte das Glück, unter denen sich zu befinden, denen Rückkehr in die deutsche Heimath vergönnt war. Froh der wiedergewonnenen Freiheit ging er von Bremen aus ungewissem Loose entgegen, fiel in die Hände preußischer Werber, und mußte abermals dem Kalbfell folgen. Zwei Fluchtversuche wurden vereitelt, er hatte von Glück zu sagen, daß er der Strafe der wiederholten Desertion, dem unfehlbaren erschießen, entging. Ein Bürger in Emden erkaufte endlich dem armen [Ξ] Krieger wider Willen um 80 Thaler einen Urlaub nach Sachsen, und Seume versprach ihm, das Geld zurückzuerstatten, sobald dieß ihm immer möglich sei. Dieß Wort zu erfüllen, übersetzte Seume in Leipzig einen englischen Roman, nahm seine Studien wieder auf, wurde Doctor der Philosophie und nahm dann, als er einsah, daß die ausschließliche Beschäftigung mit dem klassischen Alterthum zwar höchst ehrenvoll sei, auch innere Befriedigung aber kein Brod ihm gewähre, die Stelle eines Sekretairs bei General Ingelström in Warschau an, welche Stelle ihn abermals zum Militairstande führte, denn als Sekretair eines Generals war es nothwendig, daß er die Epauletten trage. Der furchtbare Aufstand in Warschau am 17. April 1794 brach aus, und kaum vermochte sich Ingelström nach einem dreitägigen schlachten in den Straßen der empörten Stadt zu retten. Abermals mußte Seume, dessen Seele von antiken Freiheitsträumen immer noch erfüllt war, gegen die Freiheit kämpfen, mußte dann mit vor Praga stehen, und dem Blutbade beiwohnen, das der unglücklichen Stadt 15000 Einwohner raubte.

Sobald als es ihm möglich war, machte Seume sich los aus dem Gewirre von Blut und Gräueln und alle dem schrecklichen, was niedergeworfene Aufstände im Gefolge haken, ging nach Leipzig zurück und beschrieb sein Erlebtes, schrieb auch seine Obolen, gab Unterricht in der englischen Sprache und hielt Vorlesungen über klassisches Alterthum. Leider reichte der klassische Honig von Milettos nicht aus zum Leben im deutschen Norden, und Seume hatte es noch als ein Glück zu betrachten, daß ein wohlwollender Freund, der Buchdrucker und Buchhändler Göschen in Grimma, ihm bei sich ein Unterkommen als Correktor bot. Da weilte nun der Mann mit der Feuerseele, mit der Sehnsucht nach dem klassischen Süden, mit dem unbezwinglichen Drang, aus sich selbst noch großes und bedeutendes zu schaffen, und corrigirte die Druckbogen der Werke anderer. Wieder ein Glück war auch dabei, diese Werke anderer waren jene Klopstocks und Wielands, und so quoll dem Armen doch aus denen des letztgenannten klassischer Anhauch, Verständniß der antiken Welt und ihrer ewigen Schönheit, daher auch neue Lockung, neues Verlangen, das endlich der Dichter, seinem Dränge folgend, befriedigte und eine großartige Fußreise antrat, die er unter dem Titel »Spaziergang nach Syrakus« beschrieb. Diese Reise machte Glück, gründete ihm den wohlverdienten Ruf und nun auf einmal, nachdem Seume den Süden gesehen, zog es ihn nach dem entgegengesetzten Pole, er machte eine Reise nach Petersburg, Moskau, Finnland und Schweden, und beschrieb auch diese in dem Buche »Mein Sommer im Jahr 1805.« Seume gefiel sich in der Rolle eines rastlosen weltfahrenden Peter Schlemihl, doch mit vielem Schatten, der als Schroffheit des Wesens und Herbe der Ausdrücke selbst in seinen Schriften zu Tage trat und mehr abstieß als anzog. Ohne je das schöne Ziel der Jugendträume verwirklicht zu sehen, ohne auch nur auf kurze Zeit einem wahren Glück im Arme zu ruhen, erlag Seume dem tiefempfundenen Schmerze seines Patriotismus über Deutschlands tiefste Erniedrigung und einem chronischen Leiden, gegen das er im Bade Teplitz Hülfe suchte, ohne sie zu finden. Dort schmückt ein einfacher Denkstein sein Grab, von einer Eiche beschattet.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: philologischkassische